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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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annehmen, aber ebensoviele und mehr werden durch eine einzige Schlacht wie
die von Jnkerman mit einem Schlage aus der Rechnung gestrichen, so daß
man kaum annehmen darf, die Armee sei wirklich stärker geworden, als sie bei
Eröffnung der Belagerung war.

Die Witterung war, im schroffen Gegensatz zu hier, bis zum Anfang der
letzten Woche in der Krim sehr zufriedenstellend; nachher traten trübe Tage
und Regengüsse ein, die indeß nicht lange andauerten. Der Herbst nimmt
demnach in Taurien einen durchaus anderen Verlauf, als im Bosporus, wie-
wol vorauszusehen ist, daß der furchtbare Sturm, welcher, während ich Ihnen
dieses schreibe, eben über Stambul dahinbraust, auch eine Witterungsän-
derung für die Nordgestade des Pontus herbeiführen und die rauhe Jahres¬
zeit eröffnen wird.

Man bangt hier sehr davor, daß die tosenden Windstöße den Flotten
bedeutende Verluste zufügen werden. Die egyptische Marine büßte bereits in
dem Orkane, welcher während der Nacht vom 30. zum 31. October wüthete,
zwei größere Kriegsschiffe, nämlich einen Dreidecker und eine Fregatte ein,
und das türkische Linienschiff Mahmudieh von 132 Kanonen gewann nur mit
Mühe den Eingang der Meerenge, nachdem es viele Gefahren uns dem schwar¬
zen Meere ausgestanden hatte.

In den letzten Tagen langten hier vier Linienschiffe des französischen Ge¬
schwaders von Sebastopol an; sie gehören der Abtheilung an, welche Hei
Gelegenheit des Angriffs aus die Forts am Eingang der Rhede sich im Feuer
befanden, und gehen nach Touloy, um sich ausbessern zu lassen. Man ver¬
mißt unter ihnen mit Befremden die "Ville de Paris", welche bekanntlich bei
jener Gelegenheit am meisten gelitten hatte. Möglich, daß man sie vorerst
nach Sinope sendete, um im dortigen Arsenal die allerdrohlichsten Schäden zu
repariren, bevor sie sich der Bevölkerung von Stambul zeigt.

Man kann nicht leugnen, daß dies alles Vorkommnisse sind, die zu manchen
dunklen Besorgnissen Anlaß, zu geben vermögen. Umsomehr ist es nothwen¬
dig, alle Sehnen und Muskeln anzuspannen, um Verluste auszugleichen,
die schon groß sind, und wie die Dinge nun einmal liegen, mit jedem Tage
durch andere vermehrt werden können. Um keinen Preis gebe man die Unter¬
nehmung auf. England liegt zu fern und seine Hilfsmittel für die Land¬
kriegführung sind nicht schnell genug auszubeuten, als daß man heute an
seine Thätigkeit und seinen Großhirn appelliren dürfte; aber Frankreich ist wol
füglich im Stande, den vier französischen Divisionen in der Krim schnellstens
drei oder vier weitere nachzusenden.

In der Nacht von gestern zu heute wüthete hier ein Sturm, wie man ihn
seit lange nicht erlebte. Die Wogen im Bosporus gingen hoch, und hätte


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annehmen, aber ebensoviele und mehr werden durch eine einzige Schlacht wie
die von Jnkerman mit einem Schlage aus der Rechnung gestrichen, so daß
man kaum annehmen darf, die Armee sei wirklich stärker geworden, als sie bei
Eröffnung der Belagerung war.

Die Witterung war, im schroffen Gegensatz zu hier, bis zum Anfang der
letzten Woche in der Krim sehr zufriedenstellend; nachher traten trübe Tage
und Regengüsse ein, die indeß nicht lange andauerten. Der Herbst nimmt
demnach in Taurien einen durchaus anderen Verlauf, als im Bosporus, wie-
wol vorauszusehen ist, daß der furchtbare Sturm, welcher, während ich Ihnen
dieses schreibe, eben über Stambul dahinbraust, auch eine Witterungsän-
derung für die Nordgestade des Pontus herbeiführen und die rauhe Jahres¬
zeit eröffnen wird.

Man bangt hier sehr davor, daß die tosenden Windstöße den Flotten
bedeutende Verluste zufügen werden. Die egyptische Marine büßte bereits in
dem Orkane, welcher während der Nacht vom 30. zum 31. October wüthete,
zwei größere Kriegsschiffe, nämlich einen Dreidecker und eine Fregatte ein,
und das türkische Linienschiff Mahmudieh von 132 Kanonen gewann nur mit
Mühe den Eingang der Meerenge, nachdem es viele Gefahren uns dem schwar¬
zen Meere ausgestanden hatte.

In den letzten Tagen langten hier vier Linienschiffe des französischen Ge¬
schwaders von Sebastopol an; sie gehören der Abtheilung an, welche Hei
Gelegenheit des Angriffs aus die Forts am Eingang der Rhede sich im Feuer
befanden, und gehen nach Touloy, um sich ausbessern zu lassen. Man ver¬
mißt unter ihnen mit Befremden die „Ville de Paris", welche bekanntlich bei
jener Gelegenheit am meisten gelitten hatte. Möglich, daß man sie vorerst
nach Sinope sendete, um im dortigen Arsenal die allerdrohlichsten Schäden zu
repariren, bevor sie sich der Bevölkerung von Stambul zeigt.

Man kann nicht leugnen, daß dies alles Vorkommnisse sind, die zu manchen
dunklen Besorgnissen Anlaß, zu geben vermögen. Umsomehr ist es nothwen¬
dig, alle Sehnen und Muskeln anzuspannen, um Verluste auszugleichen,
die schon groß sind, und wie die Dinge nun einmal liegen, mit jedem Tage
durch andere vermehrt werden können. Um keinen Preis gebe man die Unter¬
nehmung auf. England liegt zu fern und seine Hilfsmittel für die Land¬
kriegführung sind nicht schnell genug auszubeuten, als daß man heute an
seine Thätigkeit und seinen Großhirn appelliren dürfte; aber Frankreich ist wol
füglich im Stande, den vier französischen Divisionen in der Krim schnellstens
drei oder vier weitere nachzusenden.

In der Nacht von gestern zu heute wüthete hier ein Sturm, wie man ihn
seit lange nicht erlebte. Die Wogen im Bosporus gingen hoch, und hätte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/387>, abgerufen am 24.08.2024.