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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Observations- und Belagerungscorps momentan hätte trennen wollen, um
Vortheile aus einer derartigen Eventualität zu ziehen, vielleicht darnach sogar
einen der beiden Heertheile mit gesammelter Macht zu überwältigen. Andere
sind der Meinung, es habe sich dabei nur um eine Diversion zu Gunsten eines
großen Ausfalls aus der Festung gehandelt, welcher auch wirklich stattfand
und infolge dessen drei Batterien der Belagerer beinahe völlig zerstört wurden.
Wie dem nun auch sein möge, die Russen haben gezeigt, daß sie zu einer
äußerst activen Kriegführung befähigt sind, und zugleich die Kräfte besitzen,
um derselben, gegenüber dem Heere der Verbündeten, einen offensiven Charak¬
ter zu geben.

Hier in Konstantinopel hatte man sich in den ersten Tagen der ver¬
gangenen Woche mit ganz anderen Erwartungen, als auf die Nachricht von
einer derartigen Schlacht geschmeichelt und, wie auch ich Ihnen dies damals
schrieb, die Wegnahme von Sebastopol in nächster Aussicht vermuthet. Neuer¬
dings ist kaum noch die Rede von einem Sturm auf die Festung und es tritt
dagegen eine andere Frage in den Vordergrund: die nämlich, ob die Russen
im Stande sein werden, ähnliche Angriffe, wie der jüngste bei Jnkerman,
demnächst zu wiederholen. Geschieht dies, dann wird man dem Platz gegen¬
über eine defensiv-beobachtende Stellung einnehmen und sich darauf beschränken
müssen, die seither ausgeführten Arbeiten zu wahren, ohne im Stande zu sein,
den gedeckten Vorgang weiterzuführen. Der Hauptaccent der Kriegführung
wird in diesem Falle nach der Ebene zwischen Jnkerman und Balaklava ver¬
legt werden, wo es gilt, zwei Drittel der ganzen Armee zu vereinigen, um
dem erneuerten Andrange zu widerstehen.

Natürlich wird dies nur ein Provisorium sein, aber ein solches, dessen
Dauer erst mit der Ankunft der von Marseille her in Aussicht gestellten Re¬
servearmee enden dürfte. Was man auf der Krim vor allen Dingen nöthig
hat, ist, um es rund herauszusagen, die doppelte Zahl der bis dahin dort
vereinigt gewesenen Truppen. Dieselben werden in diesem Augenblick nicht
ganz 80,000 Mann ausmachen -- man wird demnach neuer 80,000 Mann
bedürfen, um die Dinge schnell zu Ende zu führen, Sebastopol zu nehmen,
und über Backtschi Serai und Siinpheropol vorrückend, den Angriff aus die
Linie von Perekop zu verlegen.

Es scheint, daß man in Paris und London, namentlich am ersteren Orte,
die Lage nicht als so schwierig sich vorgestellt hat, wie sie es ohne Frage seit
zwei oder drei Wochen wirklich ist. Die Mittel, welche man bis heute in
Anwendung gebracht hat, sind mindestens wenig noch den großen Dimensionen
deS vorgesetzten Zweckes proportional. Zur Zeit langen auf einzelnen Dam¬
pfern nur erst ganze und halbe Bataillone an. Allerdings kann man die
Zahl der wöchentlich eintreffenden Verstärkungen aus mehre tausend Mann


Observations- und Belagerungscorps momentan hätte trennen wollen, um
Vortheile aus einer derartigen Eventualität zu ziehen, vielleicht darnach sogar
einen der beiden Heertheile mit gesammelter Macht zu überwältigen. Andere
sind der Meinung, es habe sich dabei nur um eine Diversion zu Gunsten eines
großen Ausfalls aus der Festung gehandelt, welcher auch wirklich stattfand
und infolge dessen drei Batterien der Belagerer beinahe völlig zerstört wurden.
Wie dem nun auch sein möge, die Russen haben gezeigt, daß sie zu einer
äußerst activen Kriegführung befähigt sind, und zugleich die Kräfte besitzen,
um derselben, gegenüber dem Heere der Verbündeten, einen offensiven Charak¬
ter zu geben.

Hier in Konstantinopel hatte man sich in den ersten Tagen der ver¬
gangenen Woche mit ganz anderen Erwartungen, als auf die Nachricht von
einer derartigen Schlacht geschmeichelt und, wie auch ich Ihnen dies damals
schrieb, die Wegnahme von Sebastopol in nächster Aussicht vermuthet. Neuer¬
dings ist kaum noch die Rede von einem Sturm auf die Festung und es tritt
dagegen eine andere Frage in den Vordergrund: die nämlich, ob die Russen
im Stande sein werden, ähnliche Angriffe, wie der jüngste bei Jnkerman,
demnächst zu wiederholen. Geschieht dies, dann wird man dem Platz gegen¬
über eine defensiv-beobachtende Stellung einnehmen und sich darauf beschränken
müssen, die seither ausgeführten Arbeiten zu wahren, ohne im Stande zu sein,
den gedeckten Vorgang weiterzuführen. Der Hauptaccent der Kriegführung
wird in diesem Falle nach der Ebene zwischen Jnkerman und Balaklava ver¬
legt werden, wo es gilt, zwei Drittel der ganzen Armee zu vereinigen, um
dem erneuerten Andrange zu widerstehen.

Natürlich wird dies nur ein Provisorium sein, aber ein solches, dessen
Dauer erst mit der Ankunft der von Marseille her in Aussicht gestellten Re¬
servearmee enden dürfte. Was man auf der Krim vor allen Dingen nöthig
hat, ist, um es rund herauszusagen, die doppelte Zahl der bis dahin dort
vereinigt gewesenen Truppen. Dieselben werden in diesem Augenblick nicht
ganz 80,000 Mann ausmachen — man wird demnach neuer 80,000 Mann
bedürfen, um die Dinge schnell zu Ende zu führen, Sebastopol zu nehmen,
und über Backtschi Serai und Siinpheropol vorrückend, den Angriff aus die
Linie von Perekop zu verlegen.

Es scheint, daß man in Paris und London, namentlich am ersteren Orte,
die Lage nicht als so schwierig sich vorgestellt hat, wie sie es ohne Frage seit
zwei oder drei Wochen wirklich ist. Die Mittel, welche man bis heute in
Anwendung gebracht hat, sind mindestens wenig noch den großen Dimensionen
deS vorgesetzten Zweckes proportional. Zur Zeit langen auf einzelnen Dam¬
pfern nur erst ganze und halbe Bataillone an. Allerdings kann man die
Zahl der wöchentlich eintreffenden Verstärkungen aus mehre tausend Mann


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[0386] Observations- und Belagerungscorps momentan hätte trennen wollen, um Vortheile aus einer derartigen Eventualität zu ziehen, vielleicht darnach sogar einen der beiden Heertheile mit gesammelter Macht zu überwältigen. Andere sind der Meinung, es habe sich dabei nur um eine Diversion zu Gunsten eines großen Ausfalls aus der Festung gehandelt, welcher auch wirklich stattfand und infolge dessen drei Batterien der Belagerer beinahe völlig zerstört wurden. Wie dem nun auch sein möge, die Russen haben gezeigt, daß sie zu einer äußerst activen Kriegführung befähigt sind, und zugleich die Kräfte besitzen, um derselben, gegenüber dem Heere der Verbündeten, einen offensiven Charak¬ ter zu geben. Hier in Konstantinopel hatte man sich in den ersten Tagen der ver¬ gangenen Woche mit ganz anderen Erwartungen, als auf die Nachricht von einer derartigen Schlacht geschmeichelt und, wie auch ich Ihnen dies damals schrieb, die Wegnahme von Sebastopol in nächster Aussicht vermuthet. Neuer¬ dings ist kaum noch die Rede von einem Sturm auf die Festung und es tritt dagegen eine andere Frage in den Vordergrund: die nämlich, ob die Russen im Stande sein werden, ähnliche Angriffe, wie der jüngste bei Jnkerman, demnächst zu wiederholen. Geschieht dies, dann wird man dem Platz gegen¬ über eine defensiv-beobachtende Stellung einnehmen und sich darauf beschränken müssen, die seither ausgeführten Arbeiten zu wahren, ohne im Stande zu sein, den gedeckten Vorgang weiterzuführen. Der Hauptaccent der Kriegführung wird in diesem Falle nach der Ebene zwischen Jnkerman und Balaklava ver¬ legt werden, wo es gilt, zwei Drittel der ganzen Armee zu vereinigen, um dem erneuerten Andrange zu widerstehen. Natürlich wird dies nur ein Provisorium sein, aber ein solches, dessen Dauer erst mit der Ankunft der von Marseille her in Aussicht gestellten Re¬ servearmee enden dürfte. Was man auf der Krim vor allen Dingen nöthig hat, ist, um es rund herauszusagen, die doppelte Zahl der bis dahin dort vereinigt gewesenen Truppen. Dieselben werden in diesem Augenblick nicht ganz 80,000 Mann ausmachen — man wird demnach neuer 80,000 Mann bedürfen, um die Dinge schnell zu Ende zu führen, Sebastopol zu nehmen, und über Backtschi Serai und Siinpheropol vorrückend, den Angriff aus die Linie von Perekop zu verlegen. Es scheint, daß man in Paris und London, namentlich am ersteren Orte, die Lage nicht als so schwierig sich vorgestellt hat, wie sie es ohne Frage seit zwei oder drei Wochen wirklich ist. Die Mittel, welche man bis heute in Anwendung gebracht hat, sind mindestens wenig noch den großen Dimensionen deS vorgesetzten Zweckes proportional. Zur Zeit langen auf einzelnen Dam¬ pfern nur erst ganze und halbe Bataillone an. Allerdings kann man die Zahl der wöchentlich eintreffenden Verstärkungen aus mehre tausend Mann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/386>, abgerufen am 22.07.2024.