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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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widereinanderringenden Vordertreffen entzogen, ganz in der Lage zu erkennen,
zu urtheilen, zu lenken und zu leiten.

Wie ganz anders ist dagegen der britische Aufmarsch, das Antreten der
Engländer und Schotten zur Schlacht. Langsam genug gehen sie dem Feind
entgegen, um für längere Zeit die Zielscheibe seiner Batterien zu sein und
außerdem in geschlossenen Linien; aufgelöst, um das Terrain zu recognosciren,
wird nicht eine Compagnie. Aber in dieser gemessenen und nirgends Eile,
auch nicht im heftigsten Feuer, bekundenden Bewegung wird keine Stockung
fühlbar. Die feindlichen Kugeln sausen durch die Linien und Massen, welche
sich wie am Draht bewegen, hindurch und werfen ganze Reihen mit einem
einzigen Schlage nieder: es erschüttert sie nicht und bringt sie nicht zum Stehen.
Mag fallen wer fällt. Mit solchen Soldaten vermag man jeden Feind an¬
zugreifen, aber bei jeder Action wird die bedenkliche Frage sich aufdrängen:,
wieviel übrigbleiben werden?

Um den relativen Werth der französischen und englischen Fechtart richtig
abschätzen zu können, muß man wissen, daß der moderne taktische Calcül eben-
sowol auf die Erlangung eines numerischen Uebergewichts über den Gegner
durch eine größere Oekonomie im Ausgeben und Verbrauchen der Streitmittel,
wie auf die Delogirung desselben aus seinen Positionen hinausläuft. In dieser
Hinsicht war Napoleon der größte Taktiker nicht nur seiner, sondern aller
Zeiten; was nicht behauptet werden darf, insofern man unter Taktik lediglich
das Ineinandergreifen der militärischen Kräfte für den Zweck der Action ver¬
steht. Der Kaiser pflegte nie eine Entscheidung auf dem Schlachtfelde unvor¬
bereitet und bevor der Gegner mürbe geworden war, zu geben. Das erste,
worum es sich bei ihm im Treffen handelte, war die Deplacirung des Gleich¬
gewichts der entgegenstehenden Kräfte zu Gunsten der seinigen, und erst nach¬
dem er dieses Ziel erreicht hatte, ging er daran, den Hauptschlag zu führen,
welcher den Feind zermalmen sollte. In diesem System liegt ein hohes Ver¬
ständniß der Schlacht im allgemeinen und die neueste Zeit ist bei ihm stehen
geblieben, weil sie kein besseres zu finden wußte. Preußen und Oestreicher,
überhaupt alle gebildeten Armeen nahmen es von den Franzosen an, und zwar
noch während der gegen Napoleon geführten Kriege -- die es störrig von der
Hand wiesen, waren allein die Engländer.

Die Russen hatten den Willen, sich alle modernen Künste im Kriegswesen
anzueignen; aber es gebrach ihnen für vieles an der Befähigung, es aufzufassen
und zu lernen. Ihr Fußvolk hatte zur Zeit der Napoleonischen Kämpfe den
Ruf, solid, und im besonderen in der Colonne äußerst tauglich zu sein.. Gute
Tirailleure hatten sie nie, mit Ausnahme der finnischen Jäger. Das ist wol
so geblieben, nur mit dem Unterschiede, daß Kaiser Nikolaus, durch seine über¬
triebene Vorliebe für Gamaschendienst, auf Kleinigkeiten ein Gewicht zu legen


LK*

widereinanderringenden Vordertreffen entzogen, ganz in der Lage zu erkennen,
zu urtheilen, zu lenken und zu leiten.

Wie ganz anders ist dagegen der britische Aufmarsch, das Antreten der
Engländer und Schotten zur Schlacht. Langsam genug gehen sie dem Feind
entgegen, um für längere Zeit die Zielscheibe seiner Batterien zu sein und
außerdem in geschlossenen Linien; aufgelöst, um das Terrain zu recognosciren,
wird nicht eine Compagnie. Aber in dieser gemessenen und nirgends Eile,
auch nicht im heftigsten Feuer, bekundenden Bewegung wird keine Stockung
fühlbar. Die feindlichen Kugeln sausen durch die Linien und Massen, welche
sich wie am Draht bewegen, hindurch und werfen ganze Reihen mit einem
einzigen Schlage nieder: es erschüttert sie nicht und bringt sie nicht zum Stehen.
Mag fallen wer fällt. Mit solchen Soldaten vermag man jeden Feind an¬
zugreifen, aber bei jeder Action wird die bedenkliche Frage sich aufdrängen:,
wieviel übrigbleiben werden?

Um den relativen Werth der französischen und englischen Fechtart richtig
abschätzen zu können, muß man wissen, daß der moderne taktische Calcül eben-
sowol auf die Erlangung eines numerischen Uebergewichts über den Gegner
durch eine größere Oekonomie im Ausgeben und Verbrauchen der Streitmittel,
wie auf die Delogirung desselben aus seinen Positionen hinausläuft. In dieser
Hinsicht war Napoleon der größte Taktiker nicht nur seiner, sondern aller
Zeiten; was nicht behauptet werden darf, insofern man unter Taktik lediglich
das Ineinandergreifen der militärischen Kräfte für den Zweck der Action ver¬
steht. Der Kaiser pflegte nie eine Entscheidung auf dem Schlachtfelde unvor¬
bereitet und bevor der Gegner mürbe geworden war, zu geben. Das erste,
worum es sich bei ihm im Treffen handelte, war die Deplacirung des Gleich¬
gewichts der entgegenstehenden Kräfte zu Gunsten der seinigen, und erst nach¬
dem er dieses Ziel erreicht hatte, ging er daran, den Hauptschlag zu führen,
welcher den Feind zermalmen sollte. In diesem System liegt ein hohes Ver¬
ständniß der Schlacht im allgemeinen und die neueste Zeit ist bei ihm stehen
geblieben, weil sie kein besseres zu finden wußte. Preußen und Oestreicher,
überhaupt alle gebildeten Armeen nahmen es von den Franzosen an, und zwar
noch während der gegen Napoleon geführten Kriege — die es störrig von der
Hand wiesen, waren allein die Engländer.

Die Russen hatten den Willen, sich alle modernen Künste im Kriegswesen
anzueignen; aber es gebrach ihnen für vieles an der Befähigung, es aufzufassen
und zu lernen. Ihr Fußvolk hatte zur Zeit der Napoleonischen Kämpfe den
Ruf, solid, und im besonderen in der Colonne äußerst tauglich zu sein.. Gute
Tirailleure hatten sie nie, mit Ausnahme der finnischen Jäger. Das ist wol
so geblieben, nur mit dem Unterschiede, daß Kaiser Nikolaus, durch seine über¬
triebene Vorliebe für Gamaschendienst, auf Kleinigkeiten ein Gewicht zu legen


LK*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/371>, abgerufen am 24.08.2024.