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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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und zwar von militärischgebildeten, kennen. Dieselben stellen es außer Frage,
daß die englische Armee auf einer ziemlich niederen Stufe in der taktischen
Ausbildung steht, daß ihre Infanterie des Geschicks entbehrt, um ein Gefecht
gehörig einzuleiten, dem Feind seine Stärke abzufragen, ihn hinzuhalten, zu
ermüden und die eignen Kräfte bis zur Stunde, in welcher die Haupt-
entscheidung fallen soll, aufzusparen; daß man den Tirailleurdienst ihr nur
schlecht gelehrt hat,, und sie ziemlich unfähig dazu ist, in der Form des mo¬
dernen Feuergefechts <zu äöban"Zk einzutreten. Ihre Vorzüge dagegen sind,
daß sie in der Fronte, beim Vormarsch kein lebendiges Hinderniß kennt und in
Linie wie in Colonne fechtend beim Fall des Zusammenstoßes nur die eine
Alternative gelten laß: entweder den Feind zu werfen oder aufgerieben zu
werden. Diese UnVerzagtheit bis zum Ertrem, diese opferfreudige Tapferkeit
wohnt kaum einer andern Truppe in der Welt inne, und sie hat sicherlich ihren
hohen Preis. Aber der Fehler klebt ihr an, daß infolge derselben eine eng¬
lische Armee sich eher abnutzen wird, wie jede andere, was hier um so schlimmer
ist, weil England unter den europäischen Großmächten diejenige ist, deren Heer
sich am schwersten ergänzen läßt.

Die französische Infanterie hat den Ruf einer hohen Bravheit von jeher
besessen; nur in den Jahren 1813 und 14 gab sie einen dann und wann sich
lächerlich ausnehmenden Respect vor den Kosacken kund, der indeß jetzt nicht
wiedergekehrt ist. Sie ist außerdem von gleichem Geschick für alle taktischen
Formen und im Tirailleurgefecht unbestritten von keinem andern Fußvolk der
Welt erreicht, geschweige denn übertroffen. , Aber den Bulldoggenstnn der
Briten, welcher sie bei jedem Gefecht sich in den Gegner sozusagen verbeißen
läßt, besitzt sie nicht. Man wird deßungeachtet in den meisten Fällen mehr
mit ihr auszurichten vermögen, wie mit der englischen Infanterie. Nur wenn
es darauf ankommt, mit ruhigem Blut eine Bresche zu ersteigen oder einer
Batterie in geschlossener Fronte entgegenzurücken, im hohlen Carre und unter
dem reihenlichtenden Kreuzfeuer wird unbestritten dieser der Preis gehören. Das
französische Fußvolk umtastet und befühlt den Feind, bevor es mit ihm ernstlich
zu ringen beginnt. Es vergewissert sich von der Stärke und Lage seiner
Muskeln und Sehnen und der Wucht seiner Kraft. Mit dem, welchen es für
zu stark erachtet, wird es schwerlich anzubinden versuchen. Die Einleitung des
Gefechts ist dann meisterhaft. Wolken von Tirailleurs, die jedes Bodenhinderniß
benutzen und hinter jedem Baum, jedem Strauch ihre Deckung suchen und
finden, weil sie mit dem größten Geschick die Vortheile auszunutzen wissen, wie
mager sie sich ihnen auch bieten mögen; -- sodann leichte souliers, hinter
ihnen mobile, von einem Punkt zum andern eilende Colonnen; -- im Hinter¬
grunde erst die großen Heersäulen der Schlacht und auf dem rückgelegenstcn
Hügel, der noch eine Ueberschau gestattet, der Feldherr selbst, dem Feuer der


und zwar von militärischgebildeten, kennen. Dieselben stellen es außer Frage,
daß die englische Armee auf einer ziemlich niederen Stufe in der taktischen
Ausbildung steht, daß ihre Infanterie des Geschicks entbehrt, um ein Gefecht
gehörig einzuleiten, dem Feind seine Stärke abzufragen, ihn hinzuhalten, zu
ermüden und die eignen Kräfte bis zur Stunde, in welcher die Haupt-
entscheidung fallen soll, aufzusparen; daß man den Tirailleurdienst ihr nur
schlecht gelehrt hat,, und sie ziemlich unfähig dazu ist, in der Form des mo¬
dernen Feuergefechts <zu äöban«Zk einzutreten. Ihre Vorzüge dagegen sind,
daß sie in der Fronte, beim Vormarsch kein lebendiges Hinderniß kennt und in
Linie wie in Colonne fechtend beim Fall des Zusammenstoßes nur die eine
Alternative gelten laß: entweder den Feind zu werfen oder aufgerieben zu
werden. Diese UnVerzagtheit bis zum Ertrem, diese opferfreudige Tapferkeit
wohnt kaum einer andern Truppe in der Welt inne, und sie hat sicherlich ihren
hohen Preis. Aber der Fehler klebt ihr an, daß infolge derselben eine eng¬
lische Armee sich eher abnutzen wird, wie jede andere, was hier um so schlimmer
ist, weil England unter den europäischen Großmächten diejenige ist, deren Heer
sich am schwersten ergänzen läßt.

Die französische Infanterie hat den Ruf einer hohen Bravheit von jeher
besessen; nur in den Jahren 1813 und 14 gab sie einen dann und wann sich
lächerlich ausnehmenden Respect vor den Kosacken kund, der indeß jetzt nicht
wiedergekehrt ist. Sie ist außerdem von gleichem Geschick für alle taktischen
Formen und im Tirailleurgefecht unbestritten von keinem andern Fußvolk der
Welt erreicht, geschweige denn übertroffen. , Aber den Bulldoggenstnn der
Briten, welcher sie bei jedem Gefecht sich in den Gegner sozusagen verbeißen
läßt, besitzt sie nicht. Man wird deßungeachtet in den meisten Fällen mehr
mit ihr auszurichten vermögen, wie mit der englischen Infanterie. Nur wenn
es darauf ankommt, mit ruhigem Blut eine Bresche zu ersteigen oder einer
Batterie in geschlossener Fronte entgegenzurücken, im hohlen Carre und unter
dem reihenlichtenden Kreuzfeuer wird unbestritten dieser der Preis gehören. Das
französische Fußvolk umtastet und befühlt den Feind, bevor es mit ihm ernstlich
zu ringen beginnt. Es vergewissert sich von der Stärke und Lage seiner
Muskeln und Sehnen und der Wucht seiner Kraft. Mit dem, welchen es für
zu stark erachtet, wird es schwerlich anzubinden versuchen. Die Einleitung des
Gefechts ist dann meisterhaft. Wolken von Tirailleurs, die jedes Bodenhinderniß
benutzen und hinter jedem Baum, jedem Strauch ihre Deckung suchen und
finden, weil sie mit dem größten Geschick die Vortheile auszunutzen wissen, wie
mager sie sich ihnen auch bieten mögen; — sodann leichte souliers, hinter
ihnen mobile, von einem Punkt zum andern eilende Colonnen; — im Hinter¬
grunde erst die großen Heersäulen der Schlacht und auf dem rückgelegenstcn
Hügel, der noch eine Ueberschau gestattet, der Feldherr selbst, dem Feuer der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/370>, abgerufen am 22.07.2024.