Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.Welt. Ich will mich hier nicht in eine gründliche Erörterung der " Lebensmittel¬ Nicht nur physisch, noch mehr moralisch und geistig werden wir ja von den Welt. Ich will mich hier nicht in eine gründliche Erörterung der „ Lebensmittel¬ Nicht nur physisch, noch mehr moralisch und geistig werden wir ja von den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98678"/> <p xml:id="ID_1156" prev="#ID_1155"> Welt. Ich will mich hier nicht in eine gründliche Erörterung der „ Lebensmittel¬<lb/> frage" einlassen, will Ihnen nicht einmal anzeigen, was heute ans unserm Grün¬<lb/> markt ein Scheffel Kartoffel», ein Bund Petersilie, ein halbes Pfund Butter kostet.<lb/> Vielleicht finden Sie in Wiener Modebcrichtcn anderer Zeitungen hierüber genü¬<lb/> genden Aufschluß. Aber die eine Thatsache muß ich, als gewissenhafter Reporter<lb/> des Wiener Lebens, constatirc», daß man nirgend aus dein Kontinent in diesem<lb/> Augenblicke theurer lebt, als hier. Man kann mit dem besten Appetite von der<lb/> Welt in den Speiscsal eines hiesigen Gasthauses treten, beim Anblick der endlosen<lb/> Zissernrcihe, welche die Tagcsstatistik des Küchenzettels illustrirt, schnürt sich unwill¬<lb/> kürlich Herz und Magen zusammen. Man wäre oft versucht, jenem ökonomischen<lb/> Reisenden nachzuahmen, der nnr ans die niedrigsten Preise, nicht aus die Speise¬<lb/> titel, deutend zum Kellner sagte: bringen Sie erst dies, dann das u. s. f. und so<lb/> nacheinander ein Stückchen Käse, eine Portion Salat, einiges'Zuckerwerk und eine»<lb/> halben Häring als Mittagtisch servirt bekam. Was aber die Noth unsrer Haus-<lb/> frauen heute noch vermehrt, das ist die strenge Diät, welche im Angesicht der<lb/> epidemischen Krankheit vorgeschrieben ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1157" next="#ID_1158"> Nicht nur physisch, noch mehr moralisch und geistig werden wir ja von den<lb/> Theuernngsvcrhältnissen berührt. Unsre Saison morte, die sonst mit dem Sommer<lb/> endet und dieses Jahr in eine wahre Saison des mores übergegangen ist, will<lb/> noch immer nicht weichen. Auch daran sind zum Theil die theuren Zeiten schuld.<lb/> Die Geschäfte Stocke», die Verdienste reichen kaum von einem Tag zum andern, das<lb/> Geld ist rar »»d die Aussichten in die nächste Zukunft bleibe» trübe. Nun schränkt<lb/> sich jeder ein, soviel er kaun. Die Unternehmer der verschiedenen Vergnügungsorte^<lb/> der öffentlichen Produktionen verliere» den Muth. Einige wenige Tanzlocale von<lb/> altem Nus werden noch vom Sonntagspublicnm besticht. Aber selbst die alljährlich<lb/> festgesetzte Redoute, welche in: Beginn der Wintersaison zum Beste» des Künstlcr-<lb/> peusioussouds stattfindet, wurde in dieser Woche „wegen der ungünstigen Zeitum-<lb/> stände" abgesagt. Auch die Coucertsäle, welche sonst um diese Zeit von eine»: Heer<lb/> berühmter Künstler umlagert sind, stehe» »och leer, die größeren musikalischen Pro¬<lb/> duktionen werden erst im nächsten Monat beginne». So bleibt für eine höhere<lb/> Anregung des Gemüths nur noch das Theater übrig. Ob „Rose und Röschen"<lb/> der Madame Birchpfeiffcr oder das neue Ballet „die Seeräuber" von Taglioni i»<lb/> Beziehung auf geistigen Genuß mehr befriedigen werden, wollen wir nicht weiter<lb/> untersuchen. Die Oper fristet steh vou der Reprise älterer Werke und von den we¬<lb/> nigen Gastrollen, zu welche» sich Frcuilci» La Grua, bisher eugagirtes Mitglied,<lb/> für diese» Monat bereitfinden ließ. Meyerbeers „Nordster»" sowie eine neue einactige<lb/> Oper von Hoven, unsrem einheimischen Componisten, harren noch der Wiedergenesung<lb/> des Fräulein Wildauer, der liebenswürdige» Künstlcri», welche an beiden Hvfbnh-<lb/> ncn, im Lustspiel und in der Oper, sür manche Partien ganz unentbehrlich gewor¬<lb/> den ist. A»f de» Vvrstadtbühncn sucht mau vergebens dnrch neue Machwerke die<lb/> alten Localpossen aus einer besseren, lcbenssrischeren Zeit zu ersetzen. Das Carl¬<lb/> theater, seit einige» Woche» unter Nestroys Leitung, hat sich rasch eines noter»er<lb/> Stoffes bemächtigt und den Fechter von Ravenna i» einen „Fechter in der Arena"<lb/> travestirt. Die Hauptrolle der Thusnelda befindet sich als Verkörperung der deut¬<lb/> schen dramatische» Poesie in den Händen des Karl Treumann, des vielseitigsten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0364]
Welt. Ich will mich hier nicht in eine gründliche Erörterung der „ Lebensmittel¬
frage" einlassen, will Ihnen nicht einmal anzeigen, was heute ans unserm Grün¬
markt ein Scheffel Kartoffel», ein Bund Petersilie, ein halbes Pfund Butter kostet.
Vielleicht finden Sie in Wiener Modebcrichtcn anderer Zeitungen hierüber genü¬
genden Aufschluß. Aber die eine Thatsache muß ich, als gewissenhafter Reporter
des Wiener Lebens, constatirc», daß man nirgend aus dein Kontinent in diesem
Augenblicke theurer lebt, als hier. Man kann mit dem besten Appetite von der
Welt in den Speiscsal eines hiesigen Gasthauses treten, beim Anblick der endlosen
Zissernrcihe, welche die Tagcsstatistik des Küchenzettels illustrirt, schnürt sich unwill¬
kürlich Herz und Magen zusammen. Man wäre oft versucht, jenem ökonomischen
Reisenden nachzuahmen, der nnr ans die niedrigsten Preise, nicht aus die Speise¬
titel, deutend zum Kellner sagte: bringen Sie erst dies, dann das u. s. f. und so
nacheinander ein Stückchen Käse, eine Portion Salat, einiges'Zuckerwerk und eine»
halben Häring als Mittagtisch servirt bekam. Was aber die Noth unsrer Haus-
frauen heute noch vermehrt, das ist die strenge Diät, welche im Angesicht der
epidemischen Krankheit vorgeschrieben ist.
Nicht nur physisch, noch mehr moralisch und geistig werden wir ja von den
Theuernngsvcrhältnissen berührt. Unsre Saison morte, die sonst mit dem Sommer
endet und dieses Jahr in eine wahre Saison des mores übergegangen ist, will
noch immer nicht weichen. Auch daran sind zum Theil die theuren Zeiten schuld.
Die Geschäfte Stocke», die Verdienste reichen kaum von einem Tag zum andern, das
Geld ist rar »»d die Aussichten in die nächste Zukunft bleibe» trübe. Nun schränkt
sich jeder ein, soviel er kaun. Die Unternehmer der verschiedenen Vergnügungsorte^
der öffentlichen Produktionen verliere» den Muth. Einige wenige Tanzlocale von
altem Nus werden noch vom Sonntagspublicnm besticht. Aber selbst die alljährlich
festgesetzte Redoute, welche in: Beginn der Wintersaison zum Beste» des Künstlcr-
peusioussouds stattfindet, wurde in dieser Woche „wegen der ungünstigen Zeitum-
stände" abgesagt. Auch die Coucertsäle, welche sonst um diese Zeit von eine»: Heer
berühmter Künstler umlagert sind, stehe» »och leer, die größeren musikalischen Pro¬
duktionen werden erst im nächsten Monat beginne». So bleibt für eine höhere
Anregung des Gemüths nur noch das Theater übrig. Ob „Rose und Röschen"
der Madame Birchpfeiffcr oder das neue Ballet „die Seeräuber" von Taglioni i»
Beziehung auf geistigen Genuß mehr befriedigen werden, wollen wir nicht weiter
untersuchen. Die Oper fristet steh vou der Reprise älterer Werke und von den we¬
nigen Gastrollen, zu welche» sich Frcuilci» La Grua, bisher eugagirtes Mitglied,
für diese» Monat bereitfinden ließ. Meyerbeers „Nordster»" sowie eine neue einactige
Oper von Hoven, unsrem einheimischen Componisten, harren noch der Wiedergenesung
des Fräulein Wildauer, der liebenswürdige» Künstlcri», welche an beiden Hvfbnh-
ncn, im Lustspiel und in der Oper, sür manche Partien ganz unentbehrlich gewor¬
den ist. A»f de» Vvrstadtbühncn sucht mau vergebens dnrch neue Machwerke die
alten Localpossen aus einer besseren, lcbenssrischeren Zeit zu ersetzen. Das Carl¬
theater, seit einige» Woche» unter Nestroys Leitung, hat sich rasch eines noter»er
Stoffes bemächtigt und den Fechter von Ravenna i» einen „Fechter in der Arena"
travestirt. Die Hauptrolle der Thusnelda befindet sich als Verkörperung der deut¬
schen dramatische» Poesie in den Händen des Karl Treumann, des vielseitigsten
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