Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Louis. Mutter, wie ist das/wenn man wcisinasig ist?

Mutter (lachend). Wenn man so eine kleine Stumpfnase hat, wie du, die nie rein ge¬
wischt ist, verstehst du?

Louis. Warum ist sie nicht rein gewischt, Mama?

Mutter. Junge, im höre-aus mit Fragen ! Weil du sie dir nicht gewischt hast, du klei¬
ner Schmuzbodcl, du! aber ich muß dich doch lieben. Nu lauf! aber uicht in den Schmuz,
hörst du!

Das ist unzweifelhaft echte Naturwahrheit und innige Gemüthlichkeit und
hätte der Verfasser diese und ähnliche Stellen, wo wirklich Angeschautes und
Erlebtes dargestellt wird, ausschließlich mitgetheilt, so würde daraus ein sehr
schätzbares Buch hervorgegangen sein. Allein dieser reale Inhalt ist ihm wahr¬
scheinlich zu unbedeutend vorgekommen und er hat eine sentimentale Brühe
darübergegossen, die für den gesunden Geschmack unerträglich ist. Gewiß ist
die Kindheit eine werthvolle, wenn man will, eine heilige Zeit, und wenn ein
Dichter im Stande ist, uns ein klares, anschauliches Bild davon zu geben, die
kleinen Geheimnisse des Kinderherzens zu belauschen, und die fragmentarischen
Gebilde des ursprünglichen Seelenlebens in Sinn und Zusammenhang zu
bringen, so wird er uns gewiß zum größten Dank verpflichten. Wenn er aber
seine Aufgabe dadurch zu lösen sucht, daß er in überschwenglichen und doch
meistentheils trivialen Phrasen uns sein eignes Entzücken über das Wesen der
Kindheit vorstammelt, so ist das eigentlich nur sür hysterische Personen. Wel¬
cher Mensch von gesunden Sinnen kann z. B. das folgende Gerede aushalten?


Ach der bloße, baare Unsinn, ist ein weit tieferer Sinn und Verstand, wen" er mit
Herz und Seele eingebildet wird, als der Tiefsinn der Schulvernunft ohne Herz
und Imaginativ", nud von Glückseligkeit ist bei der Dialektik vollends nicht die Rede,
wenn sie mal.immanent ist, d. h. wenn sie ihrem Man" unausgesetzt auf dem Halse bleiben
^darf, um ihn im Wachsein, wie im Träumen Alp zu drücken. O beim hohen Himmel, bei
dem Kindcrhimmel seis geschworen, lieber eine Ewigkeit mit KtndersinnWaldsvechte gefangen", f.w.

Wer nicht reich an Gedanken ist, aber reich an Anschauungen, der bedarf
gewiß keiner Entschuldigung, wenn er uns seine Anschauungen mittheilt und
seine Gedanken für sich behält. Aber wenn er seine Gedankenarmuth zu Re¬
flexionen zerpflückt, die den Schein von Gedanken haben und doch gedankenlos
sind, so wird er sich weder dadurch rechtfertigen können, daß er über seine
eignen halben Gedanken in beständiges Entzücken ausbricht, noch dadurch, daß
er die herzlosen Metaphysiker bejammert.

Herr Goltz hat neben seiner Empfehlung der Kinderwelt auch die Absicht,
die Gemüthlichkeit des ostpreußischen, namentlich des Königsberger Wesens dar¬
zustellen. Hätte er es doch nur gethan! Trotz unsrer grauen Erbsen mit
Schemper, trotz unsrer Schweigsamkeit und unsrer zerquetschten Vocale ist bei
uns in Ostpreußen ebensoviel Gemüthlichkeit zu finden, als bei den auf dem
Theater so gern gesehenen Tyrolern und Schwaben, als bei den zungenfertigen
Rheinländern und den lieben Wienern. Aber wer -für unsre Gemüthlichkeit


,

Louis. Mutter, wie ist das/wenn man wcisinasig ist?

Mutter (lachend). Wenn man so eine kleine Stumpfnase hat, wie du, die nie rein ge¬
wischt ist, verstehst du?

Louis. Warum ist sie nicht rein gewischt, Mama?

Mutter. Junge, im höre-aus mit Fragen ! Weil du sie dir nicht gewischt hast, du klei¬
ner Schmuzbodcl, du! aber ich muß dich doch lieben. Nu lauf! aber uicht in den Schmuz,
hörst du!

Das ist unzweifelhaft echte Naturwahrheit und innige Gemüthlichkeit und
hätte der Verfasser diese und ähnliche Stellen, wo wirklich Angeschautes und
Erlebtes dargestellt wird, ausschließlich mitgetheilt, so würde daraus ein sehr
schätzbares Buch hervorgegangen sein. Allein dieser reale Inhalt ist ihm wahr¬
scheinlich zu unbedeutend vorgekommen und er hat eine sentimentale Brühe
darübergegossen, die für den gesunden Geschmack unerträglich ist. Gewiß ist
die Kindheit eine werthvolle, wenn man will, eine heilige Zeit, und wenn ein
Dichter im Stande ist, uns ein klares, anschauliches Bild davon zu geben, die
kleinen Geheimnisse des Kinderherzens zu belauschen, und die fragmentarischen
Gebilde des ursprünglichen Seelenlebens in Sinn und Zusammenhang zu
bringen, so wird er uns gewiß zum größten Dank verpflichten. Wenn er aber
seine Aufgabe dadurch zu lösen sucht, daß er in überschwenglichen und doch
meistentheils trivialen Phrasen uns sein eignes Entzücken über das Wesen der
Kindheit vorstammelt, so ist das eigentlich nur sür hysterische Personen. Wel¬
cher Mensch von gesunden Sinnen kann z. B. das folgende Gerede aushalten?


Ach der bloße, baare Unsinn, ist ein weit tieferer Sinn und Verstand, wen» er mit
Herz und Seele eingebildet wird, als der Tiefsinn der Schulvernunft ohne Herz
und Imaginativ», nud von Glückseligkeit ist bei der Dialektik vollends nicht die Rede,
wenn sie mal.immanent ist, d. h. wenn sie ihrem Man» unausgesetzt auf dem Halse bleiben
^darf, um ihn im Wachsein, wie im Träumen Alp zu drücken. O beim hohen Himmel, bei
dem Kindcrhimmel seis geschworen, lieber eine Ewigkeit mit KtndersinnWaldsvechte gefangen», f.w.

Wer nicht reich an Gedanken ist, aber reich an Anschauungen, der bedarf
gewiß keiner Entschuldigung, wenn er uns seine Anschauungen mittheilt und
seine Gedanken für sich behält. Aber wenn er seine Gedankenarmuth zu Re¬
flexionen zerpflückt, die den Schein von Gedanken haben und doch gedankenlos
sind, so wird er sich weder dadurch rechtfertigen können, daß er über seine
eignen halben Gedanken in beständiges Entzücken ausbricht, noch dadurch, daß
er die herzlosen Metaphysiker bejammert.

Herr Goltz hat neben seiner Empfehlung der Kinderwelt auch die Absicht,
die Gemüthlichkeit des ostpreußischen, namentlich des Königsberger Wesens dar¬
zustellen. Hätte er es doch nur gethan! Trotz unsrer grauen Erbsen mit
Schemper, trotz unsrer Schweigsamkeit und unsrer zerquetschten Vocale ist bei
uns in Ostpreußen ebensoviel Gemüthlichkeit zu finden, als bei den auf dem
Theater so gern gesehenen Tyrolern und Schwaben, als bei den zungenfertigen
Rheinländern und den lieben Wienern. Aber wer -für unsre Gemüthlichkeit


,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98349"/>
            <p xml:id="ID_90"> Louis.  Mutter, wie ist das/wenn man wcisinasig ist?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_91"> Mutter (lachend). Wenn man so eine kleine Stumpfnase hat, wie du, die nie rein ge¬<lb/>
wischt ist, verstehst du?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_92"> Louis.  Warum ist sie nicht rein gewischt, Mama?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_93"> Mutter. Junge, im höre-aus mit Fragen ! Weil du sie dir nicht gewischt hast, du klei¬<lb/>
ner Schmuzbodcl, du! aber ich muß dich doch lieben. Nu lauf! aber uicht in den Schmuz,<lb/>
hörst du!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_94"> Das ist unzweifelhaft echte Naturwahrheit und innige Gemüthlichkeit und<lb/>
hätte der Verfasser diese und ähnliche Stellen, wo wirklich Angeschautes und<lb/>
Erlebtes dargestellt wird, ausschließlich mitgetheilt, so würde daraus ein sehr<lb/>
schätzbares Buch hervorgegangen sein. Allein dieser reale Inhalt ist ihm wahr¬<lb/>
scheinlich zu unbedeutend vorgekommen und er hat eine sentimentale Brühe<lb/>
darübergegossen, die für den gesunden Geschmack unerträglich ist. Gewiß ist<lb/>
die Kindheit eine werthvolle, wenn man will, eine heilige Zeit, und wenn ein<lb/>
Dichter im Stande ist, uns ein klares, anschauliches Bild davon zu geben, die<lb/>
kleinen Geheimnisse des Kinderherzens zu belauschen, und die fragmentarischen<lb/>
Gebilde des ursprünglichen Seelenlebens in Sinn und Zusammenhang zu<lb/>
bringen, so wird er uns gewiß zum größten Dank verpflichten. Wenn er aber<lb/>
seine Aufgabe dadurch zu lösen sucht, daß er in überschwenglichen und doch<lb/>
meistentheils trivialen Phrasen uns sein eignes Entzücken über das Wesen der<lb/>
Kindheit vorstammelt, so ist das eigentlich nur sür hysterische Personen. Wel¬<lb/>
cher Mensch von gesunden Sinnen kann z. B. das folgende Gerede aushalten?</p><lb/>
            <quote> Ach der bloße, baare Unsinn, ist ein weit tieferer Sinn und Verstand, wen» er mit<lb/>
Herz und Seele eingebildet wird, als der Tiefsinn der Schulvernunft ohne Herz<lb/>
und Imaginativ», nud von Glückseligkeit ist bei der Dialektik vollends nicht die Rede,<lb/>
wenn sie mal.immanent ist, d. h. wenn sie ihrem Man» unausgesetzt auf dem Halse bleiben<lb/>
^darf, um ihn im Wachsein, wie im Träumen Alp zu drücken. O beim hohen Himmel, bei<lb/>
dem Kindcrhimmel seis geschworen, lieber eine Ewigkeit mit KtndersinnWaldsvechte gefangen», f.w.</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_95"> Wer nicht reich an Gedanken ist, aber reich an Anschauungen, der bedarf<lb/>
gewiß keiner Entschuldigung, wenn er uns seine Anschauungen mittheilt und<lb/>
seine Gedanken für sich behält. Aber wenn er seine Gedankenarmuth zu Re¬<lb/>
flexionen zerpflückt, die den Schein von Gedanken haben und doch gedankenlos<lb/>
sind, so wird er sich weder dadurch rechtfertigen können, daß er über seine<lb/>
eignen halben Gedanken in beständiges Entzücken ausbricht, noch dadurch, daß<lb/>
er die herzlosen Metaphysiker bejammert.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_96" next="#ID_97"> Herr Goltz hat neben seiner Empfehlung der Kinderwelt auch die Absicht,<lb/>
die Gemüthlichkeit des ostpreußischen, namentlich des Königsberger Wesens dar¬<lb/>
zustellen. Hätte er es doch nur gethan! Trotz unsrer grauen Erbsen mit<lb/>
Schemper, trotz unsrer Schweigsamkeit und unsrer zerquetschten Vocale ist bei<lb/>
uns in Ostpreußen ebensoviel Gemüthlichkeit zu finden, als bei den auf dem<lb/>
Theater so gern gesehenen Tyrolern und Schwaben, als bei den zungenfertigen<lb/>
Rheinländern und den lieben Wienern.  Aber wer -für unsre Gemüthlichkeit</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> ,</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] Louis. Mutter, wie ist das/wenn man wcisinasig ist? Mutter (lachend). Wenn man so eine kleine Stumpfnase hat, wie du, die nie rein ge¬ wischt ist, verstehst du? Louis. Warum ist sie nicht rein gewischt, Mama? Mutter. Junge, im höre-aus mit Fragen ! Weil du sie dir nicht gewischt hast, du klei¬ ner Schmuzbodcl, du! aber ich muß dich doch lieben. Nu lauf! aber uicht in den Schmuz, hörst du! Das ist unzweifelhaft echte Naturwahrheit und innige Gemüthlichkeit und hätte der Verfasser diese und ähnliche Stellen, wo wirklich Angeschautes und Erlebtes dargestellt wird, ausschließlich mitgetheilt, so würde daraus ein sehr schätzbares Buch hervorgegangen sein. Allein dieser reale Inhalt ist ihm wahr¬ scheinlich zu unbedeutend vorgekommen und er hat eine sentimentale Brühe darübergegossen, die für den gesunden Geschmack unerträglich ist. Gewiß ist die Kindheit eine werthvolle, wenn man will, eine heilige Zeit, und wenn ein Dichter im Stande ist, uns ein klares, anschauliches Bild davon zu geben, die kleinen Geheimnisse des Kinderherzens zu belauschen, und die fragmentarischen Gebilde des ursprünglichen Seelenlebens in Sinn und Zusammenhang zu bringen, so wird er uns gewiß zum größten Dank verpflichten. Wenn er aber seine Aufgabe dadurch zu lösen sucht, daß er in überschwenglichen und doch meistentheils trivialen Phrasen uns sein eignes Entzücken über das Wesen der Kindheit vorstammelt, so ist das eigentlich nur sür hysterische Personen. Wel¬ cher Mensch von gesunden Sinnen kann z. B. das folgende Gerede aushalten? Ach der bloße, baare Unsinn, ist ein weit tieferer Sinn und Verstand, wen» er mit Herz und Seele eingebildet wird, als der Tiefsinn der Schulvernunft ohne Herz und Imaginativ», nud von Glückseligkeit ist bei der Dialektik vollends nicht die Rede, wenn sie mal.immanent ist, d. h. wenn sie ihrem Man» unausgesetzt auf dem Halse bleiben ^darf, um ihn im Wachsein, wie im Träumen Alp zu drücken. O beim hohen Himmel, bei dem Kindcrhimmel seis geschworen, lieber eine Ewigkeit mit KtndersinnWaldsvechte gefangen», f.w. Wer nicht reich an Gedanken ist, aber reich an Anschauungen, der bedarf gewiß keiner Entschuldigung, wenn er uns seine Anschauungen mittheilt und seine Gedanken für sich behält. Aber wenn er seine Gedankenarmuth zu Re¬ flexionen zerpflückt, die den Schein von Gedanken haben und doch gedankenlos sind, so wird er sich weder dadurch rechtfertigen können, daß er über seine eignen halben Gedanken in beständiges Entzücken ausbricht, noch dadurch, daß er die herzlosen Metaphysiker bejammert. Herr Goltz hat neben seiner Empfehlung der Kinderwelt auch die Absicht, die Gemüthlichkeit des ostpreußischen, namentlich des Königsberger Wesens dar¬ zustellen. Hätte er es doch nur gethan! Trotz unsrer grauen Erbsen mit Schemper, trotz unsrer Schweigsamkeit und unsrer zerquetschten Vocale ist bei uns in Ostpreußen ebensoviel Gemüthlichkeit zu finden, als bei den auf dem Theater so gern gesehenen Tyrolern und Schwaben, als bei den zungenfertigen Rheinländern und den lieben Wienern. Aber wer -für unsre Gemüthlichkeit ,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/35
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/35>, abgerufen am 29.12.2024.