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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Verordnung abgeändert werden könne und daß hierdurch nach Belieben eine
ganz andere Wahlart von 32 Abgeordneten, also von zwei Dritteln der zweiten
Kammer erzielt werden dürfe, als der Bund festsetzte; daran hat wahrscheinlich
der Bund nicht gedacht. Ja Herr Hassenpflug selbst hat früher nicht daran
gedacht, sondern die Nichtigkeit des von uns ausgesprochenen Grundsatzes
anerkannt. Denn er sagt in den Motiven zu der Gesetzesvorlage, die Ab¬
änderung der Gemeindeordnung betreffend: "bestimmen die Elemente, aus
welchen die Körperschaft der Gemeinde besteht, wenn die Bildung der Ge¬
meindebehörden ihnen anvertraut ist, mit Nothwendigkeit das Ergebniß der
Auswahl,der zu letzteren zu berufenden Personen, und mußte andererseits bei
der Wiederbelebung ständischer Verhältnisse die Verfassungsurkunde Landstände
zu sehr erheblichem Theile aus den Gemeindebehörden hervorgehen lassen, so
konnte es wegen dieses Zusammenhanges nicht zweifelhaft sein, daß Anord¬
nungen, welche den Bereich der Mitgliedschaft der Gemeinden und die Be¬
schaffenheit der Gemeindeobrigkeit festzustellen bezwecken, in das die landständische
Mitwirkung erfordernde Gebiet der Gesetzgebung gehören" (vgl. Beilage Li- der
Verhandlungen der zweiten kurhessischen Ständekammer 1853). Der Minister
besinnt sich jedoch bald wieder eines Anderen. Er ändert die Gemeindeordnung
einseitig auch in den Punkten ab, welche unmittelbar mit dem Rechte der
landständischen Wahl und Vertretung in Verbindung stehen -- und behauptet
dann, daß er dies nach ez. 75 der provisorischen Verfassung dürfe, weil der
Ausdruck: "Organisation" auch die Gemeindeordnung in sich fasse, mithin
auch durch Verordnung zu derselben Aenderungen getroffen werden könnten.
Weil er sich nicht getraut, unmittelbar das provisorische Wahlgesetz selbst an¬
zugreifen, welches der Bund vorläufig sanctionirte, so versucht er es indirect
umzuändern, indem er die Voraussetzung, auf der es beruhte, ändert. Und
in welcher Weise ändert! Daß er mehren Personen durch Verordnung das
Wahlrecht genommen, ist schon gesagt. Aber er hat auch den Wahlmodus
zur Erwählung des Gemeindeausschufseö und Gemeinderathes dadurch abge¬
ändert, daß er in den mittleren und größeren Städten statt von der gesammten
Bürgerschaft von einzelnen willkürlich herausgesuchten Abtheilungen nur eine
bestimmte Anzahl der Gemeindebehörden Mitglieder wählen läßt. Ferner schreibt
er in dieser Verordnung vor, daß nur absolute Stimmenmehrheit sämmtlicher
zur Wahl berechtigter (also auch der nicht wählenden oder abwesenden) Bürger
sür jeden in die Gemeindebehörden Gewählten erforderlich sei" solle. Hiermit
wird eine Wahl der Gemeindebehörden in den mittleren und größeren Städten
zur Unmöglichkeit; selbst die kleinsten wählen nach diesem Modus schon seit
sechs Monaten vergeblich. Es ist daher die sichere Aussicht vorhanden, daß
in den bei weitem meisten Städten eine Wahl vor Ablauf von Jahren gar
nicht zu Stande kommen kann und daß diese Städte daher in der nächsten


Verordnung abgeändert werden könne und daß hierdurch nach Belieben eine
ganz andere Wahlart von 32 Abgeordneten, also von zwei Dritteln der zweiten
Kammer erzielt werden dürfe, als der Bund festsetzte; daran hat wahrscheinlich
der Bund nicht gedacht. Ja Herr Hassenpflug selbst hat früher nicht daran
gedacht, sondern die Nichtigkeit des von uns ausgesprochenen Grundsatzes
anerkannt. Denn er sagt in den Motiven zu der Gesetzesvorlage, die Ab¬
änderung der Gemeindeordnung betreffend: „bestimmen die Elemente, aus
welchen die Körperschaft der Gemeinde besteht, wenn die Bildung der Ge¬
meindebehörden ihnen anvertraut ist, mit Nothwendigkeit das Ergebniß der
Auswahl,der zu letzteren zu berufenden Personen, und mußte andererseits bei
der Wiederbelebung ständischer Verhältnisse die Verfassungsurkunde Landstände
zu sehr erheblichem Theile aus den Gemeindebehörden hervorgehen lassen, so
konnte es wegen dieses Zusammenhanges nicht zweifelhaft sein, daß Anord¬
nungen, welche den Bereich der Mitgliedschaft der Gemeinden und die Be¬
schaffenheit der Gemeindeobrigkeit festzustellen bezwecken, in das die landständische
Mitwirkung erfordernde Gebiet der Gesetzgebung gehören" (vgl. Beilage Li- der
Verhandlungen der zweiten kurhessischen Ständekammer 1853). Der Minister
besinnt sich jedoch bald wieder eines Anderen. Er ändert die Gemeindeordnung
einseitig auch in den Punkten ab, welche unmittelbar mit dem Rechte der
landständischen Wahl und Vertretung in Verbindung stehen — und behauptet
dann, daß er dies nach ez. 75 der provisorischen Verfassung dürfe, weil der
Ausdruck: „Organisation" auch die Gemeindeordnung in sich fasse, mithin
auch durch Verordnung zu derselben Aenderungen getroffen werden könnten.
Weil er sich nicht getraut, unmittelbar das provisorische Wahlgesetz selbst an¬
zugreifen, welches der Bund vorläufig sanctionirte, so versucht er es indirect
umzuändern, indem er die Voraussetzung, auf der es beruhte, ändert. Und
in welcher Weise ändert! Daß er mehren Personen durch Verordnung das
Wahlrecht genommen, ist schon gesagt. Aber er hat auch den Wahlmodus
zur Erwählung des Gemeindeausschufseö und Gemeinderathes dadurch abge¬
ändert, daß er in den mittleren und größeren Städten statt von der gesammten
Bürgerschaft von einzelnen willkürlich herausgesuchten Abtheilungen nur eine
bestimmte Anzahl der Gemeindebehörden Mitglieder wählen läßt. Ferner schreibt
er in dieser Verordnung vor, daß nur absolute Stimmenmehrheit sämmtlicher
zur Wahl berechtigter (also auch der nicht wählenden oder abwesenden) Bürger
sür jeden in die Gemeindebehörden Gewählten erforderlich sei» solle. Hiermit
wird eine Wahl der Gemeindebehörden in den mittleren und größeren Städten
zur Unmöglichkeit; selbst die kleinsten wählen nach diesem Modus schon seit
sechs Monaten vergeblich. Es ist daher die sichere Aussicht vorhanden, daß
in den bei weitem meisten Städten eine Wahl vor Ablauf von Jahren gar
nicht zu Stande kommen kann und daß diese Städte daher in der nächsten


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[0342] Verordnung abgeändert werden könne und daß hierdurch nach Belieben eine ganz andere Wahlart von 32 Abgeordneten, also von zwei Dritteln der zweiten Kammer erzielt werden dürfe, als der Bund festsetzte; daran hat wahrscheinlich der Bund nicht gedacht. Ja Herr Hassenpflug selbst hat früher nicht daran gedacht, sondern die Nichtigkeit des von uns ausgesprochenen Grundsatzes anerkannt. Denn er sagt in den Motiven zu der Gesetzesvorlage, die Ab¬ änderung der Gemeindeordnung betreffend: „bestimmen die Elemente, aus welchen die Körperschaft der Gemeinde besteht, wenn die Bildung der Ge¬ meindebehörden ihnen anvertraut ist, mit Nothwendigkeit das Ergebniß der Auswahl,der zu letzteren zu berufenden Personen, und mußte andererseits bei der Wiederbelebung ständischer Verhältnisse die Verfassungsurkunde Landstände zu sehr erheblichem Theile aus den Gemeindebehörden hervorgehen lassen, so konnte es wegen dieses Zusammenhanges nicht zweifelhaft sein, daß Anord¬ nungen, welche den Bereich der Mitgliedschaft der Gemeinden und die Be¬ schaffenheit der Gemeindeobrigkeit festzustellen bezwecken, in das die landständische Mitwirkung erfordernde Gebiet der Gesetzgebung gehören" (vgl. Beilage Li- der Verhandlungen der zweiten kurhessischen Ständekammer 1853). Der Minister besinnt sich jedoch bald wieder eines Anderen. Er ändert die Gemeindeordnung einseitig auch in den Punkten ab, welche unmittelbar mit dem Rechte der landständischen Wahl und Vertretung in Verbindung stehen — und behauptet dann, daß er dies nach ez. 75 der provisorischen Verfassung dürfe, weil der Ausdruck: „Organisation" auch die Gemeindeordnung in sich fasse, mithin auch durch Verordnung zu derselben Aenderungen getroffen werden könnten. Weil er sich nicht getraut, unmittelbar das provisorische Wahlgesetz selbst an¬ zugreifen, welches der Bund vorläufig sanctionirte, so versucht er es indirect umzuändern, indem er die Voraussetzung, auf der es beruhte, ändert. Und in welcher Weise ändert! Daß er mehren Personen durch Verordnung das Wahlrecht genommen, ist schon gesagt. Aber er hat auch den Wahlmodus zur Erwählung des Gemeindeausschufseö und Gemeinderathes dadurch abge¬ ändert, daß er in den mittleren und größeren Städten statt von der gesammten Bürgerschaft von einzelnen willkürlich herausgesuchten Abtheilungen nur eine bestimmte Anzahl der Gemeindebehörden Mitglieder wählen läßt. Ferner schreibt er in dieser Verordnung vor, daß nur absolute Stimmenmehrheit sämmtlicher zur Wahl berechtigter (also auch der nicht wählenden oder abwesenden) Bürger sür jeden in die Gemeindebehörden Gewählten erforderlich sei» solle. Hiermit wird eine Wahl der Gemeindebehörden in den mittleren und größeren Städten zur Unmöglichkeit; selbst die kleinsten wählen nach diesem Modus schon seit sechs Monaten vergeblich. Es ist daher die sichere Aussicht vorhanden, daß in den bei weitem meisten Städten eine Wahl vor Ablauf von Jahren gar nicht zu Stande kommen kann und daß diese Städte daher in der nächsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/342>, abgerufen am 24.08.2024.