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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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wirklichen Volks, welches sich an den großen Haupt- und Staatsactionen nicht
beteiligen kann. Freilich werden solche Studien nur dann von unmittelbarem
Gewinn sein, wenn sie von Männern geleitet werden, die vermöge ihrer
sonstigen Bildung'zugleich das Verständniß für die großen Züge der Geschichte
haben, und denen überall die für die richtige Würdigung VeS Einzelnen so
nothwendigen Vergleiche und Regeln zugebotestehen. --

Ein sehr schönes Zeugniß für diesen überall aufkeimenden historischen Sinn
geben die Baseler Beiträge. Fast alle Abhandlungen des letzten Jahrbuchs
beruhen aus provinzieller Grundlage; aber in allen lebt zugleich ein Verständniß
der allgemeinen Beziehungen, durch welche diese Grundlage erst ihr richtiges
Licht gewinnt. Am vorzüglichsten ist, die erste Abhandlung von Jacob Burk-
hard über einen der letzten Versuche-, die Kirche durch ein Concil zu reformiren,
gelungen. Er hat nicht blos den Stoff, über den er Herr werden konnte, auf
eine musterhafte Weise dargestellt, sondern er hat nach einer sichern kritischen
Methode, die zum Theil aus einem sorgfältigen Studium Rankes hervorge¬
gangen zu sein scheint, die noch zurückbleibenden Bedenken hervorgehoben, und
so seiner Untersuchung einen bestimmten Platz in der allgemeinen Forschung
gegeben. Jacob Burkhard gehört zu den hoffnungsvollsten Kräften unsrer
Geschichtschreibung. Sein Leben Konstantins ist eine seltene Verbindung von
geistvollen Anschauungen und besonnener Kritik, wenn wir uns auch mit der
Form, die er seiner Darstellung gegeben hat, nicht ganz einverstanden erklären
konnten, und wir begrüßen seinen Uebergang zur vaterländischen Geschichte mit
großer Genugthuung.

Wenn von allen Seiten sür das große Werk der vaterländischen Geschichte
so rüstig und einsichtsvoll gearbeitet wird, wie es zu Basel geschieht, so werden
sich bald sehr erfreuliche Fortschritte bemerklich machen. --

Die Schrift des preußischen Hauptmannes gehört, nur uneigentlich zur
historischen Literatur; er hat sein Augenmerk vorzugsweise auf die untern
Schichten des preußischen Volks geworfen und sucht diesen eine allgemeine
Kenntniß von den vaterländischen Zuständen und eine patriotische Gesinnung
einzuflößen. Die gute Absicht wird einzelne Mängel der Bearbeitung wol
decken." j ," ! , - ^u^-.l'K^' ni ii',?.',

Das "Grafenbuch" ist freilich zunächst für einen Zweck zusammengestellt,
der mit der Wissenschaft nicht zusammenhängt; allein durch die höchst sorg¬
fältige Bearbeitung verdient es auch eine Beachtung von Seiten der Geschicht¬
schreiber. Es ist mit der Familiengeschichte ähnlich wie mit der Provinzial-
geschichte; sie gibt den allgemeinen Umrissen Farbe und Inhalt. Die Abnei¬
gung gegen den Adel, die aus sehr begreiflichen Gründen noch vor wenigen
Jahren auf eine maßlose Weise hervortrat, hat jetzt einer ruhigen Ueberlegung
Platz gemacht, und wie man auch über die Ausgleichung der Standesunter-


wirklichen Volks, welches sich an den großen Haupt- und Staatsactionen nicht
beteiligen kann. Freilich werden solche Studien nur dann von unmittelbarem
Gewinn sein, wenn sie von Männern geleitet werden, die vermöge ihrer
sonstigen Bildung'zugleich das Verständniß für die großen Züge der Geschichte
haben, und denen überall die für die richtige Würdigung VeS Einzelnen so
nothwendigen Vergleiche und Regeln zugebotestehen. —

Ein sehr schönes Zeugniß für diesen überall aufkeimenden historischen Sinn
geben die Baseler Beiträge. Fast alle Abhandlungen des letzten Jahrbuchs
beruhen aus provinzieller Grundlage; aber in allen lebt zugleich ein Verständniß
der allgemeinen Beziehungen, durch welche diese Grundlage erst ihr richtiges
Licht gewinnt. Am vorzüglichsten ist, die erste Abhandlung von Jacob Burk-
hard über einen der letzten Versuche-, die Kirche durch ein Concil zu reformiren,
gelungen. Er hat nicht blos den Stoff, über den er Herr werden konnte, auf
eine musterhafte Weise dargestellt, sondern er hat nach einer sichern kritischen
Methode, die zum Theil aus einem sorgfältigen Studium Rankes hervorge¬
gangen zu sein scheint, die noch zurückbleibenden Bedenken hervorgehoben, und
so seiner Untersuchung einen bestimmten Platz in der allgemeinen Forschung
gegeben. Jacob Burkhard gehört zu den hoffnungsvollsten Kräften unsrer
Geschichtschreibung. Sein Leben Konstantins ist eine seltene Verbindung von
geistvollen Anschauungen und besonnener Kritik, wenn wir uns auch mit der
Form, die er seiner Darstellung gegeben hat, nicht ganz einverstanden erklären
konnten, und wir begrüßen seinen Uebergang zur vaterländischen Geschichte mit
großer Genugthuung.

Wenn von allen Seiten sür das große Werk der vaterländischen Geschichte
so rüstig und einsichtsvoll gearbeitet wird, wie es zu Basel geschieht, so werden
sich bald sehr erfreuliche Fortschritte bemerklich machen. —

Die Schrift des preußischen Hauptmannes gehört, nur uneigentlich zur
historischen Literatur; er hat sein Augenmerk vorzugsweise auf die untern
Schichten des preußischen Volks geworfen und sucht diesen eine allgemeine
Kenntniß von den vaterländischen Zuständen und eine patriotische Gesinnung
einzuflößen. Die gute Absicht wird einzelne Mängel der Bearbeitung wol
decken." j ,„ ! , - ^u^-.l'K^' ni ii',?.',

Das „Grafenbuch" ist freilich zunächst für einen Zweck zusammengestellt,
der mit der Wissenschaft nicht zusammenhängt; allein durch die höchst sorg¬
fältige Bearbeitung verdient es auch eine Beachtung von Seiten der Geschicht¬
schreiber. Es ist mit der Familiengeschichte ähnlich wie mit der Provinzial-
geschichte; sie gibt den allgemeinen Umrissen Farbe und Inhalt. Die Abnei¬
gung gegen den Adel, die aus sehr begreiflichen Gründen noch vor wenigen
Jahren auf eine maßlose Weise hervortrat, hat jetzt einer ruhigen Ueberlegung
Platz gemacht, und wie man auch über die Ausgleichung der Standesunter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/334>, abgerufen am 25.08.2024.