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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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durchdrungen; er ist conservativ gegen oben wie gegen unten, und sein System
ist das der rechtlichen Freiheit. Vor allen Dingen ist er ein redlicher Mann,
der bei der Beurtheilung keines einzelnen Factums, bei der Zeichnung keines
einzelnen Charakters sich von den vorgefaßten Meinungen seiner Partei be¬
stimmen läßt, sondern der überall mit gewissenhafter Unparteilichkeit die That¬
sachen von allen Seiten erörtert und überall ebenso auf die Lichtseiten wie auf
die Schatten aufmerksam macht. Sodann kommt seine gegenwärtige Partei¬
stellung für die Zeit, die er schildert, nicht in Betracht. Nach seiner eignen
Erklärung muß man zu verschiedenen Zeiten der Geschichte bald Whig, bald
Tory sein, jenachdem die rechtliche Freiheit des Landes von oben oder von
unten bedroht wird. Für den Anfang des -18. Jahrhunderts ist er ganz entschieden
auf Seiten der Whigs und verurtheilt die Tones als Vaterlandsfeinde und
Landesverräther. Ferner zieht er bei jedem einzelnen Fall, wie es der redliche
Mann thun soll, alle einzelnen mitwirkenden Umstände in Betracht und hat
überall Bildung genug, um in den sich kreuzenden Interessen des Landes die
richtige Mitte zu finden. So werden wir also, was die politische Gesinnung
betrifft, im wesentlichen die Urtheile dieses Werks als die unsrigen adoptiren
können.

In dem Glanz der Darstellung steht er freilich Macaulay bei weitem nach.
Macaulay ist in einem gewissen Sinne eine poetische Natur und macht in
seinen Darstellungen durch die Lebhaftigkeit seiner Farben, durch die Kraft und
den Rhythmus seiner Rhetorik zuweilen den Eindruck eines dichterischen Werks.
Dies ists auch vorzugsweise, was seinen Ruhm begründet hat; freilich daneben
auch der scharfe, zersetzende Verstand, der das Innere des Menschen mit einer
fast erschreckenden Wahrheit bloßlegt. Es ist aber nicht zu leugnen, daß ihn
hin und wieder diese poetische Kraft weiter fortreißt, als es für einen be¬
sonnenen Geschichtschreiber wünschenswert!) ist. Bei dem gründlichsten Studium
und bei der aufrichtigsten Wahrheitsliebe wird zuweilen, freilich nur in seltnen
Fällen, bei ihm der Stil über den Inhalt Herr. -- Die Darstellung des Lord
Mahon dagegen ist durchaus prosaisch, fast trocken, aber sie ist deutlich und
correct. In der Art, wie er die Ereignisse gruppirt, die Charaktere an den
entsprechenden Stellen hervortreten läßt und mit einigen Worten ihr Porträt
entwirft, bevor er sie handelnd einführt, stimmt er ganz mit Macaulay überein,
denn diese Methode ist nicht eine Erfindung des letztern, sondern die altenglische
Tradition der Geschichtschreibung. Der Engländer scheut sich vor allen
Sprüngen, er geht seinen ruhigen, geordneten Weg an der Hand der Chrono¬
logie; aber er läßt sich nicht von der Zeitordnung blind beherrschen, wie der
eigentliche Chronist, sondern wo eine zusammenhängende Darstellung von Ver¬
hältnissen, die außerhalb der Zeitfolge liegen, erforderlich ist, macht er sich von
diesen äußern Formen frei. -- Was Lord Mahon von den industriellen und


durchdrungen; er ist conservativ gegen oben wie gegen unten, und sein System
ist das der rechtlichen Freiheit. Vor allen Dingen ist er ein redlicher Mann,
der bei der Beurtheilung keines einzelnen Factums, bei der Zeichnung keines
einzelnen Charakters sich von den vorgefaßten Meinungen seiner Partei be¬
stimmen läßt, sondern der überall mit gewissenhafter Unparteilichkeit die That¬
sachen von allen Seiten erörtert und überall ebenso auf die Lichtseiten wie auf
die Schatten aufmerksam macht. Sodann kommt seine gegenwärtige Partei¬
stellung für die Zeit, die er schildert, nicht in Betracht. Nach seiner eignen
Erklärung muß man zu verschiedenen Zeiten der Geschichte bald Whig, bald
Tory sein, jenachdem die rechtliche Freiheit des Landes von oben oder von
unten bedroht wird. Für den Anfang des -18. Jahrhunderts ist er ganz entschieden
auf Seiten der Whigs und verurtheilt die Tones als Vaterlandsfeinde und
Landesverräther. Ferner zieht er bei jedem einzelnen Fall, wie es der redliche
Mann thun soll, alle einzelnen mitwirkenden Umstände in Betracht und hat
überall Bildung genug, um in den sich kreuzenden Interessen des Landes die
richtige Mitte zu finden. So werden wir also, was die politische Gesinnung
betrifft, im wesentlichen die Urtheile dieses Werks als die unsrigen adoptiren
können.

In dem Glanz der Darstellung steht er freilich Macaulay bei weitem nach.
Macaulay ist in einem gewissen Sinne eine poetische Natur und macht in
seinen Darstellungen durch die Lebhaftigkeit seiner Farben, durch die Kraft und
den Rhythmus seiner Rhetorik zuweilen den Eindruck eines dichterischen Werks.
Dies ists auch vorzugsweise, was seinen Ruhm begründet hat; freilich daneben
auch der scharfe, zersetzende Verstand, der das Innere des Menschen mit einer
fast erschreckenden Wahrheit bloßlegt. Es ist aber nicht zu leugnen, daß ihn
hin und wieder diese poetische Kraft weiter fortreißt, als es für einen be¬
sonnenen Geschichtschreiber wünschenswert!) ist. Bei dem gründlichsten Studium
und bei der aufrichtigsten Wahrheitsliebe wird zuweilen, freilich nur in seltnen
Fällen, bei ihm der Stil über den Inhalt Herr. — Die Darstellung des Lord
Mahon dagegen ist durchaus prosaisch, fast trocken, aber sie ist deutlich und
correct. In der Art, wie er die Ereignisse gruppirt, die Charaktere an den
entsprechenden Stellen hervortreten läßt und mit einigen Worten ihr Porträt
entwirft, bevor er sie handelnd einführt, stimmt er ganz mit Macaulay überein,
denn diese Methode ist nicht eine Erfindung des letztern, sondern die altenglische
Tradition der Geschichtschreibung. Der Engländer scheut sich vor allen
Sprüngen, er geht seinen ruhigen, geordneten Weg an der Hand der Chrono¬
logie; aber er läßt sich nicht von der Zeitordnung blind beherrschen, wie der
eigentliche Chronist, sondern wo eine zusammenhängende Darstellung von Ver¬
hältnissen, die außerhalb der Zeitfolge liegen, erforderlich ist, macht er sich von
diesen äußern Formen frei. — Was Lord Mahon von den industriellen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/332>, abgerufen am 25.08.2024.