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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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wie ich nachträglich erfahren, soll in der Nacht vom letzten Sonnabend zum
Sonntag (28. zum 29. v. Mes.) ein abermaliges unbedeutendes Erdbeben
stattgefunden haben. Seit jenem Tage regnet und stürmt es fast ohne Unter¬
brechung, die abschüssigen, Straßen gleichen dann und wann Sturzbächen und
es hat nicht unwesentliche Schwierigkeiten innerhalb der Stadt, die, wie
weltbekannt, eines ausreichenden Pflasters entbehrt, auch nur kurze Wege zu
machen.

Der Gegenstand des allgemeinen Bedauerns sind unter diesen Witte-
rungsverhältnissen ganz besonders die, meistens französischen, Verwundeten und
Kranken, welche ungeachtet der weit vorgeschrittenen Jahreszeit und der wol-
kenbruchartigen Herbstregen, immer noch unter Zelten lagern, die ohnedies
ziemlich undicht sind und im Sturmwind dann und wann umstürzen. Was
ich zu bemerken bereits Gelegenheit genommen, ist der Mangel an geeigneten
Localen für die Unterbringung keineswegs der Grund dieses Verfahrens,
sondern es liegt demselben die Ansicht zu Grunde, daß die Heilung dadurch
eher befördert werde.

Bei solchen Witterungszuständen hat das Landleben für die Peroten
und türkischen Großen keinen Reiz mehr und nachdem Reschib Pascha und
dessen mit der Sultanstochter vermählter Sohn Ali Galib Pascha das Signal
dazu gegeben, ist eine kleine Völkerwanderung oder.besser zu sagen eine Emi¬
gration von Kisten und Kasten in der Richtung von den Ufern des oberen
Bosporus von Stambul und Pera entstanden. Der Minister der auswär¬
tigen Angelegenheiten (Reschid Pascha) hat indeß nicht seinen Konak im
eigentlichen Konstantinopel, sondern sozusagen eine Zwischenresidenz bezogen,
indem er den Thau von Bojadi Koje räumte und das Palais von Kuru
Tschesme bezog. Wie man hier wissen will, vermeidet er, seit dem Aufstands¬
versuch der Sofias im vergangenen Winter das Innere der Hauptstadt, Die
wirklichen Motive für die getroffene Wahl sind muthmaßlich andre. Kuru
Tschesme ist nämlich nur ein paar tausend Schritte von Tschiraghcm, dem
Winterpalast des Großherrn entfernt; außerdem ist der Weg von Pera (für
die Gesandten) dorthin kaum beschwerlicher, als der nach Stambul, wozu noch
kommt, daß Lord Stratford nach wie vor in Therapia wohnt, welches von
der nunmehrigen Residenz Reschidö in einer halben Stunde und eher erreicht
werden kann.




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wie ich nachträglich erfahren, soll in der Nacht vom letzten Sonnabend zum
Sonntag (28. zum 29. v. Mes.) ein abermaliges unbedeutendes Erdbeben
stattgefunden haben. Seit jenem Tage regnet und stürmt es fast ohne Unter¬
brechung, die abschüssigen, Straßen gleichen dann und wann Sturzbächen und
es hat nicht unwesentliche Schwierigkeiten innerhalb der Stadt, die, wie
weltbekannt, eines ausreichenden Pflasters entbehrt, auch nur kurze Wege zu
machen.

Der Gegenstand des allgemeinen Bedauerns sind unter diesen Witte-
rungsverhältnissen ganz besonders die, meistens französischen, Verwundeten und
Kranken, welche ungeachtet der weit vorgeschrittenen Jahreszeit und der wol-
kenbruchartigen Herbstregen, immer noch unter Zelten lagern, die ohnedies
ziemlich undicht sind und im Sturmwind dann und wann umstürzen. Was
ich zu bemerken bereits Gelegenheit genommen, ist der Mangel an geeigneten
Localen für die Unterbringung keineswegs der Grund dieses Verfahrens,
sondern es liegt demselben die Ansicht zu Grunde, daß die Heilung dadurch
eher befördert werde.

Bei solchen Witterungszuständen hat das Landleben für die Peroten
und türkischen Großen keinen Reiz mehr und nachdem Reschib Pascha und
dessen mit der Sultanstochter vermählter Sohn Ali Galib Pascha das Signal
dazu gegeben, ist eine kleine Völkerwanderung oder.besser zu sagen eine Emi¬
gration von Kisten und Kasten in der Richtung von den Ufern des oberen
Bosporus von Stambul und Pera entstanden. Der Minister der auswär¬
tigen Angelegenheiten (Reschid Pascha) hat indeß nicht seinen Konak im
eigentlichen Konstantinopel, sondern sozusagen eine Zwischenresidenz bezogen,
indem er den Thau von Bojadi Koje räumte und das Palais von Kuru
Tschesme bezog. Wie man hier wissen will, vermeidet er, seit dem Aufstands¬
versuch der Sofias im vergangenen Winter das Innere der Hauptstadt, Die
wirklichen Motive für die getroffene Wahl sind muthmaßlich andre. Kuru
Tschesme ist nämlich nur ein paar tausend Schritte von Tschiraghcm, dem
Winterpalast des Großherrn entfernt; außerdem ist der Weg von Pera (für
die Gesandten) dorthin kaum beschwerlicher, als der nach Stambul, wozu noch
kommt, daß Lord Stratford nach wie vor in Therapia wohnt, welches von
der nunmehrigen Residenz Reschidö in einer halben Stunde und eher erreicht
werden kann.




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[0323] wie ich nachträglich erfahren, soll in der Nacht vom letzten Sonnabend zum Sonntag (28. zum 29. v. Mes.) ein abermaliges unbedeutendes Erdbeben stattgefunden haben. Seit jenem Tage regnet und stürmt es fast ohne Unter¬ brechung, die abschüssigen, Straßen gleichen dann und wann Sturzbächen und es hat nicht unwesentliche Schwierigkeiten innerhalb der Stadt, die, wie weltbekannt, eines ausreichenden Pflasters entbehrt, auch nur kurze Wege zu machen. Der Gegenstand des allgemeinen Bedauerns sind unter diesen Witte- rungsverhältnissen ganz besonders die, meistens französischen, Verwundeten und Kranken, welche ungeachtet der weit vorgeschrittenen Jahreszeit und der wol- kenbruchartigen Herbstregen, immer noch unter Zelten lagern, die ohnedies ziemlich undicht sind und im Sturmwind dann und wann umstürzen. Was ich zu bemerken bereits Gelegenheit genommen, ist der Mangel an geeigneten Localen für die Unterbringung keineswegs der Grund dieses Verfahrens, sondern es liegt demselben die Ansicht zu Grunde, daß die Heilung dadurch eher befördert werde. Bei solchen Witterungszuständen hat das Landleben für die Peroten und türkischen Großen keinen Reiz mehr und nachdem Reschib Pascha und dessen mit der Sultanstochter vermählter Sohn Ali Galib Pascha das Signal dazu gegeben, ist eine kleine Völkerwanderung oder.besser zu sagen eine Emi¬ gration von Kisten und Kasten in der Richtung von den Ufern des oberen Bosporus von Stambul und Pera entstanden. Der Minister der auswär¬ tigen Angelegenheiten (Reschid Pascha) hat indeß nicht seinen Konak im eigentlichen Konstantinopel, sondern sozusagen eine Zwischenresidenz bezogen, indem er den Thau von Bojadi Koje räumte und das Palais von Kuru Tschesme bezog. Wie man hier wissen will, vermeidet er, seit dem Aufstands¬ versuch der Sofias im vergangenen Winter das Innere der Hauptstadt, Die wirklichen Motive für die getroffene Wahl sind muthmaßlich andre. Kuru Tschesme ist nämlich nur ein paar tausend Schritte von Tschiraghcm, dem Winterpalast des Großherrn entfernt; außerdem ist der Weg von Pera (für die Gesandten) dorthin kaum beschwerlicher, als der nach Stambul, wozu noch kommt, daß Lord Stratford nach wie vor in Therapia wohnt, welches von der nunmehrigen Residenz Reschidö in einer halben Stunde und eher erreicht werden kann. 40*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/323>, abgerufen am 24.08.2024.