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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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der Pforte sein, was er jetzt nur aus Furcht vor der Gewalt ist, und als nicht
unwahrscheinlich erscheint eS, daß deutsche Colonisation alsdann in sein Land
Eingang finden würde, ungeachtet aller seither mißlungenen Versuche.

Das Verhältniß der einheimischen Rajahö zu der von außen her ins os-
manische Reich eingewanderten Frankenbevölkerung ist nicht so unwichtig, als
es manchem scheinen mag. Man denkt sich im Auslande beide Classen mit¬
einander befreundet, indeß beruht diese Ansicht von Grund aus auf Irrthümern.
Die Najahs sind griechischer Religion mit wenigen Ausnahmen oder gehören der
armenischen Kirche an; die Franken dagegen sind entweder römische Katholiken
oder Protestanten. Schon dieser religiöse Unterschied bezeichnet eine Kluft; aber
diejenige, welche durch die Rivalität der materiellen Interessen entsteht, trennt
noch weit entschiedener. Die hier ansässig gewordenen Franken sind, der über¬
wiegenden Mehrzahl nach, Negocianten; keiner versteht sich aber auf den hie¬
sigen Handel, wie überhaupt auf commerciellen Verkehr und Gewinn, besser wie
der Armenier und Grieche. Kein Wunder, wenn der eine den andern als einen
Nebenbuhler ansieht, und die auf ein und dasselbe Ziel hingewendeten Bestre¬
bungen häufig zum Conflict führen. Hätten Armenier und Griechen Gesetze
für das osmanische Reich zu ertheilen, so würden sie als ersten Artikel derselben
das Verbot der freien Einwanderung hinstellen, wie sie jetzt unter der Protek¬
tion der verschiedenen Gesandtschaften und Konsulate stattfindet, und mehr und
mehr an Umfang gewinnen wird, je nachdem die vom Reformwerk gebote¬
nen Garantien geordneter Zustände sicherer werden. Darum ist es durchaus
kein Paradoxon, wenn man behauptet, die Armenier und Griechen seien den
meisten der türkischen Reformen feindlich. Sie sind es in der That, und zwar
aus dem doppelten Grunde, weil sie darin ein Erstarken der türkischen Macht
und die Vermehrung zu einer noch ausgedehnteren fränkischen Einwanderung
erkennen. In einem der nächsten Briefe ein Weiteres über diese Verhältnisse,
welche von größerer Bedeutung sind, als man gemeiniglich ahnet.

Nachschrift.

Wie ich nachträglich erst in Erfahrung brachte, sind gestern^ dennoch Nach¬
richten und zwar, wie es scheint, höchst bedeutungsvolle, wenn auch nicht eben
erfreuliche, aus der Krim hier eingetroffen. Seitdem ist der Depeschendienst
äußerst lebhast gewesen. Gestern Abend, ungeachtet des orkanartiger Sturmes,
wurde noch ein Dampfer für Marseille abgefertigt, und heute um Mittag ging
eine Dampfcorvette nach dem schwarzen Meere ab, wahrscheinlich mit der Be¬
stimmung, eine Rückantwort auf die gestern hier eingelaufenen Mittheilungen
nach dem Lager vor Sewastopol zu überbringen.

Die letzten Vorkommnisse auf der taurischen Halbinsel lassen sich in drei
Thatsachen zusammenfassen:

1, daß eine angestellte Recognoscirung ergeben hat, wie die Werke der Qua

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der Pforte sein, was er jetzt nur aus Furcht vor der Gewalt ist, und als nicht
unwahrscheinlich erscheint eS, daß deutsche Colonisation alsdann in sein Land
Eingang finden würde, ungeachtet aller seither mißlungenen Versuche.

Das Verhältniß der einheimischen Rajahö zu der von außen her ins os-
manische Reich eingewanderten Frankenbevölkerung ist nicht so unwichtig, als
es manchem scheinen mag. Man denkt sich im Auslande beide Classen mit¬
einander befreundet, indeß beruht diese Ansicht von Grund aus auf Irrthümern.
Die Najahs sind griechischer Religion mit wenigen Ausnahmen oder gehören der
armenischen Kirche an; die Franken dagegen sind entweder römische Katholiken
oder Protestanten. Schon dieser religiöse Unterschied bezeichnet eine Kluft; aber
diejenige, welche durch die Rivalität der materiellen Interessen entsteht, trennt
noch weit entschiedener. Die hier ansässig gewordenen Franken sind, der über¬
wiegenden Mehrzahl nach, Negocianten; keiner versteht sich aber auf den hie¬
sigen Handel, wie überhaupt auf commerciellen Verkehr und Gewinn, besser wie
der Armenier und Grieche. Kein Wunder, wenn der eine den andern als einen
Nebenbuhler ansieht, und die auf ein und dasselbe Ziel hingewendeten Bestre¬
bungen häufig zum Conflict führen. Hätten Armenier und Griechen Gesetze
für das osmanische Reich zu ertheilen, so würden sie als ersten Artikel derselben
das Verbot der freien Einwanderung hinstellen, wie sie jetzt unter der Protek¬
tion der verschiedenen Gesandtschaften und Konsulate stattfindet, und mehr und
mehr an Umfang gewinnen wird, je nachdem die vom Reformwerk gebote¬
nen Garantien geordneter Zustände sicherer werden. Darum ist es durchaus
kein Paradoxon, wenn man behauptet, die Armenier und Griechen seien den
meisten der türkischen Reformen feindlich. Sie sind es in der That, und zwar
aus dem doppelten Grunde, weil sie darin ein Erstarken der türkischen Macht
und die Vermehrung zu einer noch ausgedehnteren fränkischen Einwanderung
erkennen. In einem der nächsten Briefe ein Weiteres über diese Verhältnisse,
welche von größerer Bedeutung sind, als man gemeiniglich ahnet.

Nachschrift.

Wie ich nachträglich erst in Erfahrung brachte, sind gestern^ dennoch Nach¬
richten und zwar, wie es scheint, höchst bedeutungsvolle, wenn auch nicht eben
erfreuliche, aus der Krim hier eingetroffen. Seitdem ist der Depeschendienst
äußerst lebhast gewesen. Gestern Abend, ungeachtet des orkanartiger Sturmes,
wurde noch ein Dampfer für Marseille abgefertigt, und heute um Mittag ging
eine Dampfcorvette nach dem schwarzen Meere ab, wahrscheinlich mit der Be¬
stimmung, eine Rückantwort auf die gestern hier eingelaufenen Mittheilungen
nach dem Lager vor Sewastopol zu überbringen.

Die letzten Vorkommnisse auf der taurischen Halbinsel lassen sich in drei
Thatsachen zusammenfassen:

1, daß eine angestellte Recognoscirung ergeben hat, wie die Werke der Qua

Grenzboten. IV. 48si. i0
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[0321] der Pforte sein, was er jetzt nur aus Furcht vor der Gewalt ist, und als nicht unwahrscheinlich erscheint eS, daß deutsche Colonisation alsdann in sein Land Eingang finden würde, ungeachtet aller seither mißlungenen Versuche. Das Verhältniß der einheimischen Rajahö zu der von außen her ins os- manische Reich eingewanderten Frankenbevölkerung ist nicht so unwichtig, als es manchem scheinen mag. Man denkt sich im Auslande beide Classen mit¬ einander befreundet, indeß beruht diese Ansicht von Grund aus auf Irrthümern. Die Najahs sind griechischer Religion mit wenigen Ausnahmen oder gehören der armenischen Kirche an; die Franken dagegen sind entweder römische Katholiken oder Protestanten. Schon dieser religiöse Unterschied bezeichnet eine Kluft; aber diejenige, welche durch die Rivalität der materiellen Interessen entsteht, trennt noch weit entschiedener. Die hier ansässig gewordenen Franken sind, der über¬ wiegenden Mehrzahl nach, Negocianten; keiner versteht sich aber auf den hie¬ sigen Handel, wie überhaupt auf commerciellen Verkehr und Gewinn, besser wie der Armenier und Grieche. Kein Wunder, wenn der eine den andern als einen Nebenbuhler ansieht, und die auf ein und dasselbe Ziel hingewendeten Bestre¬ bungen häufig zum Conflict führen. Hätten Armenier und Griechen Gesetze für das osmanische Reich zu ertheilen, so würden sie als ersten Artikel derselben das Verbot der freien Einwanderung hinstellen, wie sie jetzt unter der Protek¬ tion der verschiedenen Gesandtschaften und Konsulate stattfindet, und mehr und mehr an Umfang gewinnen wird, je nachdem die vom Reformwerk gebote¬ nen Garantien geordneter Zustände sicherer werden. Darum ist es durchaus kein Paradoxon, wenn man behauptet, die Armenier und Griechen seien den meisten der türkischen Reformen feindlich. Sie sind es in der That, und zwar aus dem doppelten Grunde, weil sie darin ein Erstarken der türkischen Macht und die Vermehrung zu einer noch ausgedehnteren fränkischen Einwanderung erkennen. In einem der nächsten Briefe ein Weiteres über diese Verhältnisse, welche von größerer Bedeutung sind, als man gemeiniglich ahnet. Nachschrift. Wie ich nachträglich erst in Erfahrung brachte, sind gestern^ dennoch Nach¬ richten und zwar, wie es scheint, höchst bedeutungsvolle, wenn auch nicht eben erfreuliche, aus der Krim hier eingetroffen. Seitdem ist der Depeschendienst äußerst lebhast gewesen. Gestern Abend, ungeachtet des orkanartiger Sturmes, wurde noch ein Dampfer für Marseille abgefertigt, und heute um Mittag ging eine Dampfcorvette nach dem schwarzen Meere ab, wahrscheinlich mit der Be¬ stimmung, eine Rückantwort auf die gestern hier eingelaufenen Mittheilungen nach dem Lager vor Sewastopol zu überbringen. Die letzten Vorkommnisse auf der taurischen Halbinsel lassen sich in drei Thatsachen zusammenfassen: 1, daß eine angestellte Recognoscirung ergeben hat, wie die Werke der Qua Grenzboten. IV. 48si. i0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/321>, abgerufen am 25.08.2024.