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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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sie hat häufig ein Versmaß gewählt, welches einen ganz entgegengesetzten
Charakter hat. Noch weniger versucht sie es, den Tonfall, die Stimmung, den
Fluß der Bilder nachzuahmen; wenn sie den Sinn ungefähr wiedergibt, so,
glaubt sie ihrer Aufgabe vollkommen genügt zu haben. Das Unternehmen
wäre immerhin dankenswert!), wenn es noch erst nöthig wäre, die Engländer
mit unsrer Poesie bekannt zu machen; allein das ist bereits durch soviele
getreue und glänzende Nachbildungen geschehen, daß man den Abstich nur um
so greller empfindet. Selbst in den leichtern Uhlandschen Balladen, die wie für-
bas Englische geschrieben erscheinen, und wo sich die Verfasserin auch bemüht,
getreu dem Original zu folgen, gelingt es ihr doch nicht die charakteristischen
Töne deutlich hervorzuheben. So z. B. der Schluß vom Harald:


Hs gi'asxs dir svorä -- stiU dro-of soul,
MA troudleä ^ii^--al-sans --

Das klingt ganz anders als das Original: "Da greift er träumend nach
dem Schwert, der alte Held Harald." -- Wir haben vor einiger Zeit die
Uebersetzung von Baskerville angeführt; man darf nur die beiden Uebersetzungen
des bekannten Mignonlieds miteinander vergleichen, um den Abstand des
Talents und des Geschmacks zu empfinden.

Besser sind der Uebersetzerin die Gedichte von Anastasius Grün, Salis,
Freiligrath und andern gelungen, bei denen es auf Stimmung und Ton nicht
so genau ankommt. Bei einigen Gedichten haben wir keine Vergleichung an¬
stellen können, weil uns das Original unbekannt ist. -- Die Auswahl ist nicht
sehr glücklich; weder von Goethe noch von Schiller sind die charakteristischen
Gedichte ausgesucht. Bei Bürger hat sie den wunderlichen Einfall gehabt,
ein paar der größern Balladen, die der Dichter nach dem Englischen bearbeitet
hat, wieder ins Englische zurückzuübersetzen, wodurch die ZGedichte keineswegs
verbessert werden. Vielleicht war dieser Umstand der, Uebersetzerin unbekannt.
-- Bei jedem Dichter gibt sie eine literarhistorische kurze Einleitung. Bei
den bekanntern Dichtern haben wir nichts Bemerkenswertes gesunden; da¬
gegen verdanken wir ihr die Bekanntschaft mit einigen weniger gewürdigten
Größen. So sagt sie z. B. von German Maurer S. 229 : "Wir können mit
Recht sagen, daß in ihm sich alle die Pulsschläge vereinigen, die das gegen¬
wärtige Zeitalter bewegen. Wenn trotzdem seine Werke noch nicht vollkommen
gewürdigt sind, außer bei demjenigen Theil des Publicums, der sich durch seine
höhere literarische Begabung auszeichnet, so liegt der Grund darin, daß Per¬
sonen, die von der Natur mit höhern Geistern ausgestattet sind, nur selten
kundige Richter finden, während Schriftsteller von geringern und oberflächlichen
Talenten überall Anhänger finden, die aus ihrer eignen Höhe stehen." Ob
dieser wunderliche und in der bisherigen Theorie unerhörte Grundsatz auf
Herrn German Maurer seine Anwendung findet, können wir nicht beurtheilen,


sie hat häufig ein Versmaß gewählt, welches einen ganz entgegengesetzten
Charakter hat. Noch weniger versucht sie es, den Tonfall, die Stimmung, den
Fluß der Bilder nachzuahmen; wenn sie den Sinn ungefähr wiedergibt, so,
glaubt sie ihrer Aufgabe vollkommen genügt zu haben. Das Unternehmen
wäre immerhin dankenswert!), wenn es noch erst nöthig wäre, die Engländer
mit unsrer Poesie bekannt zu machen; allein das ist bereits durch soviele
getreue und glänzende Nachbildungen geschehen, daß man den Abstich nur um
so greller empfindet. Selbst in den leichtern Uhlandschen Balladen, die wie für-
bas Englische geschrieben erscheinen, und wo sich die Verfasserin auch bemüht,
getreu dem Original zu folgen, gelingt es ihr doch nicht die charakteristischen
Töne deutlich hervorzuheben. So z. B. der Schluß vom Harald:


Hs gi'asxs dir svorä — stiU dro-of soul,
MA troudleä ^ii^--al-sans —

Das klingt ganz anders als das Original: „Da greift er träumend nach
dem Schwert, der alte Held Harald." — Wir haben vor einiger Zeit die
Uebersetzung von Baskerville angeführt; man darf nur die beiden Uebersetzungen
des bekannten Mignonlieds miteinander vergleichen, um den Abstand des
Talents und des Geschmacks zu empfinden.

Besser sind der Uebersetzerin die Gedichte von Anastasius Grün, Salis,
Freiligrath und andern gelungen, bei denen es auf Stimmung und Ton nicht
so genau ankommt. Bei einigen Gedichten haben wir keine Vergleichung an¬
stellen können, weil uns das Original unbekannt ist. — Die Auswahl ist nicht
sehr glücklich; weder von Goethe noch von Schiller sind die charakteristischen
Gedichte ausgesucht. Bei Bürger hat sie den wunderlichen Einfall gehabt,
ein paar der größern Balladen, die der Dichter nach dem Englischen bearbeitet
hat, wieder ins Englische zurückzuübersetzen, wodurch die ZGedichte keineswegs
verbessert werden. Vielleicht war dieser Umstand der, Uebersetzerin unbekannt.
— Bei jedem Dichter gibt sie eine literarhistorische kurze Einleitung. Bei
den bekanntern Dichtern haben wir nichts Bemerkenswertes gesunden; da¬
gegen verdanken wir ihr die Bekanntschaft mit einigen weniger gewürdigten
Größen. So sagt sie z. B. von German Maurer S. 229 : „Wir können mit
Recht sagen, daß in ihm sich alle die Pulsschläge vereinigen, die das gegen¬
wärtige Zeitalter bewegen. Wenn trotzdem seine Werke noch nicht vollkommen
gewürdigt sind, außer bei demjenigen Theil des Publicums, der sich durch seine
höhere literarische Begabung auszeichnet, so liegt der Grund darin, daß Per¬
sonen, die von der Natur mit höhern Geistern ausgestattet sind, nur selten
kundige Richter finden, während Schriftsteller von geringern und oberflächlichen
Talenten überall Anhänger finden, die aus ihrer eignen Höhe stehen." Ob
dieser wunderliche und in der bisherigen Theorie unerhörte Grundsatz auf
Herrn German Maurer seine Anwendung findet, können wir nicht beurtheilen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/309>, abgerufen am 22.07.2024.