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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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und dadurch die ursprüngliche kräftig jugendliche Färbung in ein düstres
Grau verwandelt.

Der Verfasser hat sich nun die Aufgabe gesetzt, soviel es durch Divination,
durch Gefühl des Zweckmäßiger und Unzweckmäßigen möglich ist, die ursprüng¬
liche Gestalt des Gedichts wiederherzustellen. Er ist sich sehr wohl bewußt,
daß eine spätere wissenschaftliche Kritik vielleicht zu ganz andern Resultaten
kommen wird, wenn er auch hofft, daß sie ihm in vielen Punkten Recht geben
wird. Ihm kam es vor allem aber darauf an, dem deutscheu Publicum ein
Gedicht herzustellen, welches in Beziehung auf die Begebenheiten wie auf die
zu Grunde gelegte Weltanschauung ein harmonisches Ganze bilden sollte. Er
hat nichts von eigner Erfindung hinzugethan, sondern sich so getreu als möglich
an die indischen Vorstellungen zu halten gesucht, und auch wo er der Ver¬
knüpfung .wegen einen Nebenumstand erfinden mußte, überall eine bestimmte
indische Ueberlieferung zu Rathe gezogen.

Diese Aufgabe ist ihm vollkommen gelungen. Das Gedicht, "die Kuruinge",
in welchem die Hauptbegebenheil der Mahabharata behandelt wird, ist ein in
sich zusammenhängendes, geschlossenes Gedicht, welches uns in den blühendsten
und kräftigsten Farben ein wildbewegtes Heldcnzeitalter darstellt und in vieler
Beziehung mit uusern Nibelungen verglichen werden kann. Ein ruhmvolles
Königsgeschlecht fällt durch eigne Schuld in schmählichen Untergang. Die
einzelnen Helden sind in sehr bestimmten und leicht erkennbaren Umrissen ge¬
zeichnet; die Bewegung ist frei und eigenthümlich, und eine lebendige Spannung
fesselt uns vom Anfang bis zum Ende. Die Schlachtengemälde sind mit einer
großen sinnlichen Wahrheit wiedergegeben, und so, daß sie trotz der Ver¬
schiedenartigkeit der indischen Cultur von der unsngen uns grade so lebendig
werden, wie die griechischen Heldensagen vom Trojanerkrieg und die deutschen
von der Völkerwanderung. Freilich hat bei der Darstellung von Heldenthaten
jedes Volk eine eigne Weise zu übertreiben, und die eine Kunstfertigkeit im
Kriegshandwerk, die unzählige Male vorkommt, wird alle deutschen Leser vor
den Kopf stoßen. Wenn nämlich ein Held aus einen geschickten Bogenschützen
eine Lanze wirft, so schießt sie dieser im Fluge mit einer Reihe von Pfeilen
in Stücke, einmal sogar in elf Stücke. Alle Achtung vor den indischen
Jongleurs, aber diese Kunstfertigkeit tritt doch aus dem Bereich der sinnlichen
Wahrheit heraus. -- Dies ist. aber auch der einzige fremdartige Zug; im
übrigen handeln, empfinden und denken die Helden der indischen Sage grade
wie die Helden aller übrigen Völker von primitiver Rücksichtslosigkeit, und das
Sittengesetz, das selbst den Bösen als Regel vorschwebt, steht uns sogar viel
näher, als das Homerische. So können wir dieses Gedicht als eine wirkliche
und bedeutende Bereicherung der auch für uns gewonnenen Weltliteratur
begrüßen.


und dadurch die ursprüngliche kräftig jugendliche Färbung in ein düstres
Grau verwandelt.

Der Verfasser hat sich nun die Aufgabe gesetzt, soviel es durch Divination,
durch Gefühl des Zweckmäßiger und Unzweckmäßigen möglich ist, die ursprüng¬
liche Gestalt des Gedichts wiederherzustellen. Er ist sich sehr wohl bewußt,
daß eine spätere wissenschaftliche Kritik vielleicht zu ganz andern Resultaten
kommen wird, wenn er auch hofft, daß sie ihm in vielen Punkten Recht geben
wird. Ihm kam es vor allem aber darauf an, dem deutscheu Publicum ein
Gedicht herzustellen, welches in Beziehung auf die Begebenheiten wie auf die
zu Grunde gelegte Weltanschauung ein harmonisches Ganze bilden sollte. Er
hat nichts von eigner Erfindung hinzugethan, sondern sich so getreu als möglich
an die indischen Vorstellungen zu halten gesucht, und auch wo er der Ver¬
knüpfung .wegen einen Nebenumstand erfinden mußte, überall eine bestimmte
indische Ueberlieferung zu Rathe gezogen.

Diese Aufgabe ist ihm vollkommen gelungen. Das Gedicht, „die Kuruinge",
in welchem die Hauptbegebenheil der Mahabharata behandelt wird, ist ein in
sich zusammenhängendes, geschlossenes Gedicht, welches uns in den blühendsten
und kräftigsten Farben ein wildbewegtes Heldcnzeitalter darstellt und in vieler
Beziehung mit uusern Nibelungen verglichen werden kann. Ein ruhmvolles
Königsgeschlecht fällt durch eigne Schuld in schmählichen Untergang. Die
einzelnen Helden sind in sehr bestimmten und leicht erkennbaren Umrissen ge¬
zeichnet; die Bewegung ist frei und eigenthümlich, und eine lebendige Spannung
fesselt uns vom Anfang bis zum Ende. Die Schlachtengemälde sind mit einer
großen sinnlichen Wahrheit wiedergegeben, und so, daß sie trotz der Ver¬
schiedenartigkeit der indischen Cultur von der unsngen uns grade so lebendig
werden, wie die griechischen Heldensagen vom Trojanerkrieg und die deutschen
von der Völkerwanderung. Freilich hat bei der Darstellung von Heldenthaten
jedes Volk eine eigne Weise zu übertreiben, und die eine Kunstfertigkeit im
Kriegshandwerk, die unzählige Male vorkommt, wird alle deutschen Leser vor
den Kopf stoßen. Wenn nämlich ein Held aus einen geschickten Bogenschützen
eine Lanze wirft, so schießt sie dieser im Fluge mit einer Reihe von Pfeilen
in Stücke, einmal sogar in elf Stücke. Alle Achtung vor den indischen
Jongleurs, aber diese Kunstfertigkeit tritt doch aus dem Bereich der sinnlichen
Wahrheit heraus. — Dies ist. aber auch der einzige fremdartige Zug; im
übrigen handeln, empfinden und denken die Helden der indischen Sage grade
wie die Helden aller übrigen Völker von primitiver Rücksichtslosigkeit, und das
Sittengesetz, das selbst den Bösen als Regel vorschwebt, steht uns sogar viel
näher, als das Homerische. So können wir dieses Gedicht als eine wirkliche
und bedeutende Bereicherung der auch für uns gewonnenen Weltliteratur
begrüßen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/302>, abgerufen am 03.07.2024.