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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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zusehen, was man nicht aus ihnen heraussehen kann. Mit der literarischett
Kritik wird es häusig nicht anders aussehen.

Aber was das letztere betrifft, so erfahren wir aus diesen Tagebuchblät¬
tern, daß, wenn die sittliche Empfindung seines Gemüths verletzt wurde, und
so sein allgemeines Wohlwollen der bestimmten Ueberzeugung weichen mußte,
sein Urtheil auch recht ernst und herbe sein kann. So werden z. B. die Mit¬
glieder des jungen Deutschland durch diese Blätter nicht sehr erbaut werden.
Wir wollen hier nur eine Bemerkung aus dem Jahre 1839 anführen, S. 171.
"Ich fürchte, daß die Anhänger des jungen Deutschland doch keine classischen
Schriftsteller werden, weil sie die Literatur aus Rücksicht auf Geldgewinn zu
sehr als Metier behandeln. Der Ruhm gilt ihnen nicht sowol von Seiten sei¬
ner begeisternden Idealität, als von der Seite, für Buchhändlerunternehmungen
ein Capital zu sein. Selbst bei der Kritik lassen sie eine mercantilische Riva¬
lität merken. Sie beobachten einander, ob nicht der eine dem andren mit
einem glücklichen Erfolg den Markt verdirbt. Sie beobachten auch die Strö¬
mungen der Zeit nur, um ein "zeitgemäßes" Fabricae aufzufinden, das sofort
"eines großes Anklanges" sicher sein könne. Sie haben ihren Lohn dahin."

Ueber die meisten literarischen Erscheinungen, die in jenen Jahren irgend¬
wie Aufsehen gemacht haben, finden wir Bemerkungen in diesen Blättern, zum
Theil sehr scharfsinnig und treffend, überwiegend aber von blos persönlichem
Interesse und zuweilen überaus flüchtig. - Am interessantesten sind die
Betrachtungen des Verfassers über seine eigne Stellung zur Literatur.
Bei der großen Empfänglichkeit und Irritabilität seines Wesens ist es be¬
greiflich, daß er auch in dieser Beziehung beim Suchen bleibt, daß er sich bei
jedem neuen überwältigenden Eindruck sanguinisch in eine neue Richtung wirft,
und daß er vielleicht grade dann am meisten vom natürlichen Pfade abirre,
wenn er den letzten' Schluß seines Denkens gezogen zu haben glaubt. Aber
überall müssen wir uns über die Ehrlichkeit und Offenherzigkeit freuen, mit
der er die Selbstkritik ausübt, umsomehr, da er bei andern ihm gegenüber¬
stehenden Erscheinungen, auch wo er verletzt ist, die guten Seiten aufzufinden
sich bemüht. Am befremdendsten sind einzelne lyrische Stoßseufzer, von denen
wir den einen, der mit der Jahrzahl 18is bezeichnet ist, seiner Seltsamkeit
wegen mittheilen.

"Die zerschmetterndste Vorstellung, die ich kaum auszudenken wage und
kaum auszudrücken vermag, ist die, daß überhaupt etwas ist. Es gähnt mich
aus diesem Gedanken der absolute, der gestaltenleere Abgrund der Welt an.
Es wispert mir zu, wie der Verrath des Gottes. Es ergreift mich ein Bangen,
wie in meiner Kindheit, wenn ich die Offenbarung Johannis las und Himmel
und Erde darin zusammenbrachen. Da um mich herum dehnt sich die Welt
in aller Breite, mit allem Trotz sinnlicher Virtualität und scheint meiner


zusehen, was man nicht aus ihnen heraussehen kann. Mit der literarischett
Kritik wird es häusig nicht anders aussehen.

Aber was das letztere betrifft, so erfahren wir aus diesen Tagebuchblät¬
tern, daß, wenn die sittliche Empfindung seines Gemüths verletzt wurde, und
so sein allgemeines Wohlwollen der bestimmten Ueberzeugung weichen mußte,
sein Urtheil auch recht ernst und herbe sein kann. So werden z. B. die Mit¬
glieder des jungen Deutschland durch diese Blätter nicht sehr erbaut werden.
Wir wollen hier nur eine Bemerkung aus dem Jahre 1839 anführen, S. 171.
„Ich fürchte, daß die Anhänger des jungen Deutschland doch keine classischen
Schriftsteller werden, weil sie die Literatur aus Rücksicht auf Geldgewinn zu
sehr als Metier behandeln. Der Ruhm gilt ihnen nicht sowol von Seiten sei¬
ner begeisternden Idealität, als von der Seite, für Buchhändlerunternehmungen
ein Capital zu sein. Selbst bei der Kritik lassen sie eine mercantilische Riva¬
lität merken. Sie beobachten einander, ob nicht der eine dem andren mit
einem glücklichen Erfolg den Markt verdirbt. Sie beobachten auch die Strö¬
mungen der Zeit nur, um ein „zeitgemäßes" Fabricae aufzufinden, das sofort
„eines großes Anklanges" sicher sein könne. Sie haben ihren Lohn dahin."

Ueber die meisten literarischen Erscheinungen, die in jenen Jahren irgend¬
wie Aufsehen gemacht haben, finden wir Bemerkungen in diesen Blättern, zum
Theil sehr scharfsinnig und treffend, überwiegend aber von blos persönlichem
Interesse und zuweilen überaus flüchtig. - Am interessantesten sind die
Betrachtungen des Verfassers über seine eigne Stellung zur Literatur.
Bei der großen Empfänglichkeit und Irritabilität seines Wesens ist es be¬
greiflich, daß er auch in dieser Beziehung beim Suchen bleibt, daß er sich bei
jedem neuen überwältigenden Eindruck sanguinisch in eine neue Richtung wirft,
und daß er vielleicht grade dann am meisten vom natürlichen Pfade abirre,
wenn er den letzten' Schluß seines Denkens gezogen zu haben glaubt. Aber
überall müssen wir uns über die Ehrlichkeit und Offenherzigkeit freuen, mit
der er die Selbstkritik ausübt, umsomehr, da er bei andern ihm gegenüber¬
stehenden Erscheinungen, auch wo er verletzt ist, die guten Seiten aufzufinden
sich bemüht. Am befremdendsten sind einzelne lyrische Stoßseufzer, von denen
wir den einen, der mit der Jahrzahl 18is bezeichnet ist, seiner Seltsamkeit
wegen mittheilen.

„Die zerschmetterndste Vorstellung, die ich kaum auszudenken wage und
kaum auszudrücken vermag, ist die, daß überhaupt etwas ist. Es gähnt mich
aus diesem Gedanken der absolute, der gestaltenleere Abgrund der Welt an.
Es wispert mir zu, wie der Verrath des Gottes. Es ergreift mich ein Bangen,
wie in meiner Kindheit, wenn ich die Offenbarung Johannis las und Himmel
und Erde darin zusammenbrachen. Da um mich herum dehnt sich die Welt
in aller Breite, mit allem Trotz sinnlicher Virtualität und scheint meiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/300>, abgerufen am 29.12.2024.