Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.auf Kosten des objectiven Urtheils begünstigt. Aber die hier angeführten In der vorliegenden Schrift dagegen sind die literarischen, ausgearbeiteten Das Interesse an dem Buch wird also vorzugsweise ein subjectives sein, Es gehört zu einem solchen Unternehmen also noch etwas Andres als auf Kosten des objectiven Urtheils begünstigt. Aber die hier angeführten In der vorliegenden Schrift dagegen sind die literarischen, ausgearbeiteten Das Interesse an dem Buch wird also vorzugsweise ein subjectives sein, Es gehört zu einem solchen Unternehmen also noch etwas Andres als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98612"/> <p xml:id="ID_957" prev="#ID_956"> auf Kosten des objectiven Urtheils begünstigt. Aber die hier angeführten<lb/> Sammlungen haben doch einen wesentlich literarischen Charakter. Es sind<lb/> kurze fragmentarische Abhandlungen, die von vornherein für den Druck bestimmt<lb/> waren, weil die Verfasser in dieser Form ihre Gedanken am eindringlichsten<lb/> vorzutragen glaubten.</p><lb/> <p xml:id="ID_958"> In der vorliegenden Schrift dagegen sind die literarischen, ausgearbeiteten<lb/> Fragmente bei weitem der kleinste Theil; das meiste besteht aus wirklichen<lb/> Tagebuchblättern, aus Eindrücken, Die der Verfasser in der Hast niedergeschrie¬<lb/> ben hat und worin er seine Erinnerungen an Gelesenes, Gehörtes, an Unter¬<lb/> haltungen und Ereignisse firirt. Das geht soweit, daß er sich mehrmals über<lb/> den Eindruck, den die eine oder die andre Recension seiner Schriften auf ihn<lb/> gemacht hat und über die Empfindungen gegen den Recensenten ausführlich<lb/> ausspricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_959"> Das Interesse an dem Buch wird also vorzugsweise ein subjectives sein,<lb/> und gewiß kein geringes; denn der Name des Verfassers hat einen guten Klang<lb/> im deutschen Publicum, und sehr viele, die sich aus seinen eigentlichen Schriften<lb/> kein vollständiges Bild von seiner Persönlichkeit zu machen wissen, werden sehr<lb/> erfreut darüber sein, daß ihnen hier Gelegenheit geboten wird, die Operationen<lb/> seines Geistes ganz aus der Nähe zu beobachten. Aber wir müssen offen ge¬<lb/> stehen, daß eine nicht geringe Kühnheit dazu gehört, dem Publicum diese Ge¬<lb/> legenheit zu bieten. Wenn man seine Memoiren herausgibt, so mag man noch<lb/> so aufrichtig zu Werke gehen, man redigirt doch immer das Geschehene nach<lb/> einem gewissen Zweck und hat also eine klare Vorstellung von dem Eindruck,<lb/> den man durch seine Persönlichkeit hervorrufen will. Bei der Veröffentlichung<lb/> von Tagebuchblättern dagegen, wenn man ehrlich zu Werke geht (und davon<lb/> sind wir bei Rosenkranz fest überzeugt; wir glauben nicht, daß er auch nur<lb/> eine Zeile an dem, was er im Lauf jener Jahre geschrieben, geändert hat) gibt<lb/> man sich vollkommen wehrlos der Neugier, vielleicht dem Uebelwollen des Pu-<lb/> blicums preis, man deckt seine ganze Rüstung und seine Waffen auf, während<lb/> der Gegner von den seinigen nur zeigt, was er zeigen will.</p><lb/> <p xml:id="ID_960" next="#ID_961"> Es gehört zu einem solchen Unternehmen also noch etwas Andres als<lb/> Kühnheit, nämlich Unbefangenheit und ein gutes Gewissen. Und das wird selten<lb/> bei einem, der sich an der Literatur der neuesten Zeit betheiligt hat, in so<lb/> hohem Grade der Fall sein, als bei Rosenkranz. Die jetzige Literatur ist ein<lb/> beständiger Kampf, und im Kampf greift man auch bei dem redlichsten Wollen<lb/> in der Hast zuweilen zu Waffen, die man bei ruhiger Ueberlegung vermeiden<lb/> würde. Es kommt zuweilen vor, daß man im Eifer für die Sache den Per¬<lb/> sonen härter zu Leibe geht, als man es selbst wünschte, und ebenso, daß man<lb/> zuweilen im gerechten Eifer gegen die Person für den Augenblick die Sache<lb/> vergißt. Wer wollte in dieser schnell lebenden Zeit von sich behaupten, daß er</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0298]
auf Kosten des objectiven Urtheils begünstigt. Aber die hier angeführten
Sammlungen haben doch einen wesentlich literarischen Charakter. Es sind
kurze fragmentarische Abhandlungen, die von vornherein für den Druck bestimmt
waren, weil die Verfasser in dieser Form ihre Gedanken am eindringlichsten
vorzutragen glaubten.
In der vorliegenden Schrift dagegen sind die literarischen, ausgearbeiteten
Fragmente bei weitem der kleinste Theil; das meiste besteht aus wirklichen
Tagebuchblättern, aus Eindrücken, Die der Verfasser in der Hast niedergeschrie¬
ben hat und worin er seine Erinnerungen an Gelesenes, Gehörtes, an Unter¬
haltungen und Ereignisse firirt. Das geht soweit, daß er sich mehrmals über
den Eindruck, den die eine oder die andre Recension seiner Schriften auf ihn
gemacht hat und über die Empfindungen gegen den Recensenten ausführlich
ausspricht.
Das Interesse an dem Buch wird also vorzugsweise ein subjectives sein,
und gewiß kein geringes; denn der Name des Verfassers hat einen guten Klang
im deutschen Publicum, und sehr viele, die sich aus seinen eigentlichen Schriften
kein vollständiges Bild von seiner Persönlichkeit zu machen wissen, werden sehr
erfreut darüber sein, daß ihnen hier Gelegenheit geboten wird, die Operationen
seines Geistes ganz aus der Nähe zu beobachten. Aber wir müssen offen ge¬
stehen, daß eine nicht geringe Kühnheit dazu gehört, dem Publicum diese Ge¬
legenheit zu bieten. Wenn man seine Memoiren herausgibt, so mag man noch
so aufrichtig zu Werke gehen, man redigirt doch immer das Geschehene nach
einem gewissen Zweck und hat also eine klare Vorstellung von dem Eindruck,
den man durch seine Persönlichkeit hervorrufen will. Bei der Veröffentlichung
von Tagebuchblättern dagegen, wenn man ehrlich zu Werke geht (und davon
sind wir bei Rosenkranz fest überzeugt; wir glauben nicht, daß er auch nur
eine Zeile an dem, was er im Lauf jener Jahre geschrieben, geändert hat) gibt
man sich vollkommen wehrlos der Neugier, vielleicht dem Uebelwollen des Pu-
blicums preis, man deckt seine ganze Rüstung und seine Waffen auf, während
der Gegner von den seinigen nur zeigt, was er zeigen will.
Es gehört zu einem solchen Unternehmen also noch etwas Andres als
Kühnheit, nämlich Unbefangenheit und ein gutes Gewissen. Und das wird selten
bei einem, der sich an der Literatur der neuesten Zeit betheiligt hat, in so
hohem Grade der Fall sein, als bei Rosenkranz. Die jetzige Literatur ist ein
beständiger Kampf, und im Kampf greift man auch bei dem redlichsten Wollen
in der Hast zuweilen zu Waffen, die man bei ruhiger Ueberlegung vermeiden
würde. Es kommt zuweilen vor, daß man im Eifer für die Sache den Per¬
sonen härter zu Leibe geht, als man es selbst wünschte, und ebenso, daß man
zuweilen im gerechten Eifer gegen die Person für den Augenblick die Sache
vergißt. Wer wollte in dieser schnell lebenden Zeit von sich behaupten, daß er
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |