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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Oestreich und Preußen.

^ Die Antwort der östreichischen Negierung ans die preußische Note hält zwar
den Standpunkt der früheren Eröffnungen sehr entschieden fest, sie ist aber in
einer versöhnlichen Form geschrieben und zeigt, daß es dem Wiener Cabinet
ernstlich auf die Allianz mit Preußen ankommt. Das innige Einverständniß
zwischen Oestreich und Preußen ist in der That für beide Monarchien und
namentlich für Deutschland eine dringende Nothwendigkeit, und diese Noth¬
wendigkeit hat den großen Vorzug, auch möglich zu sein. Wir wollen einen
Augenblick bei dieser Möglichkeit verweilen, da sich seit dem Jahre 1848 bei
einem großen Theil der Presse die Ansicht festgesetzt zu haben scheint, die Er¬
neuerung Deutschlands sei nur durch einen Kampf zwischen Oestreich und Preu¬
ßen zu erreichen.

Diese Ansicht schreibt sich von zwei Umständen her: einmal von der Idee,
der Territorialumfang des früheren heiligen römischen Reiches deutscher Nation
müsse zu einem Einheitsstaat in moderner Form verschmolzen werden. Dieser
Zweck ist freilich nur zu erreichen, wenn von den beiden deutschen Großmächten
die eine untergeht, da sich freiwillig die eine der andern nicht unterordnen
wird, ja nicht unterordnen kann, denn bei Staaten, die einen Inhalt, ein
geistiges Lebensmotiv haben, hängt der Selbstmord keineswegs vom bloßen
Entschluß ab. In der ersten Zeit der Revolution war also die öffentliche
Meinung, die, soweit sie sich laut aussprach, fast ausschließlich der Demokratie
angehörte, für eine Vernichtung Preußens, oder wie es damals hieß, für ein
Aufgehen Preußens in Deutschland. Oestreich schien seinen Uebergang vom
Absolutismus zur constituonellen Staatsform auf eine fast ganz friedliche Weise
zu bewerkstelligen, während in Preußen durch eine wunderliche Verwicklung von
Umständen die Demokratie >ich schmeicheln konnte, sie habe die Freiheit auf den
Barrikaden erobert, und wenn sie nicht die Monarchie überhaupt über den
Hausen geworfen, so sei dies aus ganz besondern Rücksichten geschehen. Wer
also nicht gradezu die deutsche Republik wollte, und das wollte auch unter der


Grcnzliole". IV..-l8ni,
Oestreich und Preußen.

^ Die Antwort der östreichischen Negierung ans die preußische Note hält zwar
den Standpunkt der früheren Eröffnungen sehr entschieden fest, sie ist aber in
einer versöhnlichen Form geschrieben und zeigt, daß es dem Wiener Cabinet
ernstlich auf die Allianz mit Preußen ankommt. Das innige Einverständniß
zwischen Oestreich und Preußen ist in der That für beide Monarchien und
namentlich für Deutschland eine dringende Nothwendigkeit, und diese Noth¬
wendigkeit hat den großen Vorzug, auch möglich zu sein. Wir wollen einen
Augenblick bei dieser Möglichkeit verweilen, da sich seit dem Jahre 1848 bei
einem großen Theil der Presse die Ansicht festgesetzt zu haben scheint, die Er¬
neuerung Deutschlands sei nur durch einen Kampf zwischen Oestreich und Preu¬
ßen zu erreichen.

Diese Ansicht schreibt sich von zwei Umständen her: einmal von der Idee,
der Territorialumfang des früheren heiligen römischen Reiches deutscher Nation
müsse zu einem Einheitsstaat in moderner Form verschmolzen werden. Dieser
Zweck ist freilich nur zu erreichen, wenn von den beiden deutschen Großmächten
die eine untergeht, da sich freiwillig die eine der andern nicht unterordnen
wird, ja nicht unterordnen kann, denn bei Staaten, die einen Inhalt, ein
geistiges Lebensmotiv haben, hängt der Selbstmord keineswegs vom bloßen
Entschluß ab. In der ersten Zeit der Revolution war also die öffentliche
Meinung, die, soweit sie sich laut aussprach, fast ausschließlich der Demokratie
angehörte, für eine Vernichtung Preußens, oder wie es damals hieß, für ein
Aufgehen Preußens in Deutschland. Oestreich schien seinen Uebergang vom
Absolutismus zur constituonellen Staatsform auf eine fast ganz friedliche Weise
zu bewerkstelligen, während in Preußen durch eine wunderliche Verwicklung von
Umständen die Demokratie >ich schmeicheln konnte, sie habe die Freiheit auf den
Barrikaden erobert, und wenn sie nicht die Monarchie überhaupt über den
Hausen geworfen, so sei dies aus ganz besondern Rücksichten geschehen. Wer
also nicht gradezu die deutsche Republik wollte, und das wollte auch unter der


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[0289] Oestreich und Preußen. ^ Die Antwort der östreichischen Negierung ans die preußische Note hält zwar den Standpunkt der früheren Eröffnungen sehr entschieden fest, sie ist aber in einer versöhnlichen Form geschrieben und zeigt, daß es dem Wiener Cabinet ernstlich auf die Allianz mit Preußen ankommt. Das innige Einverständniß zwischen Oestreich und Preußen ist in der That für beide Monarchien und namentlich für Deutschland eine dringende Nothwendigkeit, und diese Noth¬ wendigkeit hat den großen Vorzug, auch möglich zu sein. Wir wollen einen Augenblick bei dieser Möglichkeit verweilen, da sich seit dem Jahre 1848 bei einem großen Theil der Presse die Ansicht festgesetzt zu haben scheint, die Er¬ neuerung Deutschlands sei nur durch einen Kampf zwischen Oestreich und Preu¬ ßen zu erreichen. Diese Ansicht schreibt sich von zwei Umständen her: einmal von der Idee, der Territorialumfang des früheren heiligen römischen Reiches deutscher Nation müsse zu einem Einheitsstaat in moderner Form verschmolzen werden. Dieser Zweck ist freilich nur zu erreichen, wenn von den beiden deutschen Großmächten die eine untergeht, da sich freiwillig die eine der andern nicht unterordnen wird, ja nicht unterordnen kann, denn bei Staaten, die einen Inhalt, ein geistiges Lebensmotiv haben, hängt der Selbstmord keineswegs vom bloßen Entschluß ab. In der ersten Zeit der Revolution war also die öffentliche Meinung, die, soweit sie sich laut aussprach, fast ausschließlich der Demokratie angehörte, für eine Vernichtung Preußens, oder wie es damals hieß, für ein Aufgehen Preußens in Deutschland. Oestreich schien seinen Uebergang vom Absolutismus zur constituonellen Staatsform auf eine fast ganz friedliche Weise zu bewerkstelligen, während in Preußen durch eine wunderliche Verwicklung von Umständen die Demokratie >ich schmeicheln konnte, sie habe die Freiheit auf den Barrikaden erobert, und wenn sie nicht die Monarchie überhaupt über den Hausen geworfen, so sei dies aus ganz besondern Rücksichten geschehen. Wer also nicht gradezu die deutsche Republik wollte, und das wollte auch unter der Grcnzliole». IV..-l8ni,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/289>, abgerufen am 03.07.2024.