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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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in diesem Zeitraum den bei weitem größern Theil des ausgedehnten, in einem
gegen den Bospor mündenden Thale sich hinziehenden Dorfes Ortakoj, d. h.
im ganzen nicht weniger als siebenhundert größere und kleinere
Häuser. Man erinnert sich seil Jahren hier nichts Aehnliches erlebt zu haben,
denn die Brände im Jahr 1832 betrafen meistens nur schlechtgebaute Stadt¬
viertel des eigentlichen Stambul, während hier prunkvolle armenische Villen
und große türkische Jalys hin Unterschiede von den Winterhäusern, die man
Konaks nennt), ein Raub der Flammen wurden. Ich war auf der Brand¬
stätte. Sie bietet den Anblick eines weiten Feldes der Zerstörung. Von den
meistens aus Holz, wiewol mehrstöckig aufgebaut gewesenen Häusern stehen
nur noch die Küchenkamine und die hohen, massiven Rauchfänge, aus
Haufen schwarzen Schuttes aufragend, unversehrt da. Mit bewunderungs¬
würdiger Schnelligkeit hat man hier und da schon Breterhütten aufgeschlagen,
um darin ein einstweiliges Unterkommen zu finden, und mit dem Aufräumen
der Trümmer sind viele Menschen beschäftigt. Wenn nur der Wohlstand der
armenischen Handelswelt hier seine Landhäuser verloren hätte, würde das große
Unglück leichter zu verschmerzen sein; aber viele an-s den ärmern Classen haben
durch die Feuersbrunst ihr Alles verloren; denn keine Assecuranzgesellschaft läßt
sich bereitwillig finden, für ein hiesiges Haus Garantie zu übernehmen.

Wir haben letzthin" meistens schöne Tage gehabt, die dazu beitragen
werden, die sogenannte stille Saison in Büjükvere zu verlängern. Die hohe
Diplomatie weilt noch am kühlen, jetzt von Nordwinden aus den Wassergefilden
des Eurin mehr wie jemals bestrichenen Strande der weiten Bai von Thera-
pia, ergeht sich in den Parks, wo zwar die Laubbäume schon im September
ihren gelben Blätterregen ausstreuten, aber nunmehr, nach den letzten Regen¬
güssen und dem warmen Sonnenschein, der auf sie folgte, die Rosen wieder
auf den Beeten zur Blüte treiben, und wie wenn anstatt des Winters der
Frühling im Anzüge wäre, Crocos, Priemeln und Veilchen auf den frischen
Wiesengründen sich entfalten.

Wenn die Entscheidungen jetzt ungleich mehr von den Feldherrn wie von
den Diplomaten zu erwarten sind, und die Entschließungen der erstern das
höhere Interesse beanspruchen, so beschränken sich die Arbeiten eines Stratford
Canning und Brück dennoch nicht auf unwichtige Dinge. Im Gegentheil
hatten die hiesigen Unterhändler kaum jemals festeren Boden unter den Füßen,
und waren der endlichen Erreichung ihres Zieles, dem sie mit sovieler Be¬
harrlichkeit nunmehr seit länger als einem Vierteljahrhundert schon zustrebten,
gewisser, wie eben jetzt. .Dieses Ziel ist kein anderes als eine endliche
Arrangirung der orientalischen Verhältnisse, die Festlegung gewisser Basen für
den großen Nestaurationsbau des osmanischen Reiches, welche unmittelbar nach
dem Friedensschlüsse mit Nußland vor sich gehen muß. Darauf, daß die


in diesem Zeitraum den bei weitem größern Theil des ausgedehnten, in einem
gegen den Bospor mündenden Thale sich hinziehenden Dorfes Ortakoj, d. h.
im ganzen nicht weniger als siebenhundert größere und kleinere
Häuser. Man erinnert sich seil Jahren hier nichts Aehnliches erlebt zu haben,
denn die Brände im Jahr 1832 betrafen meistens nur schlechtgebaute Stadt¬
viertel des eigentlichen Stambul, während hier prunkvolle armenische Villen
und große türkische Jalys hin Unterschiede von den Winterhäusern, die man
Konaks nennt), ein Raub der Flammen wurden. Ich war auf der Brand¬
stätte. Sie bietet den Anblick eines weiten Feldes der Zerstörung. Von den
meistens aus Holz, wiewol mehrstöckig aufgebaut gewesenen Häusern stehen
nur noch die Küchenkamine und die hohen, massiven Rauchfänge, aus
Haufen schwarzen Schuttes aufragend, unversehrt da. Mit bewunderungs¬
würdiger Schnelligkeit hat man hier und da schon Breterhütten aufgeschlagen,
um darin ein einstweiliges Unterkommen zu finden, und mit dem Aufräumen
der Trümmer sind viele Menschen beschäftigt. Wenn nur der Wohlstand der
armenischen Handelswelt hier seine Landhäuser verloren hätte, würde das große
Unglück leichter zu verschmerzen sein; aber viele an-s den ärmern Classen haben
durch die Feuersbrunst ihr Alles verloren; denn keine Assecuranzgesellschaft läßt
sich bereitwillig finden, für ein hiesiges Haus Garantie zu übernehmen.

Wir haben letzthin» meistens schöne Tage gehabt, die dazu beitragen
werden, die sogenannte stille Saison in Büjükvere zu verlängern. Die hohe
Diplomatie weilt noch am kühlen, jetzt von Nordwinden aus den Wassergefilden
des Eurin mehr wie jemals bestrichenen Strande der weiten Bai von Thera-
pia, ergeht sich in den Parks, wo zwar die Laubbäume schon im September
ihren gelben Blätterregen ausstreuten, aber nunmehr, nach den letzten Regen¬
güssen und dem warmen Sonnenschein, der auf sie folgte, die Rosen wieder
auf den Beeten zur Blüte treiben, und wie wenn anstatt des Winters der
Frühling im Anzüge wäre, Crocos, Priemeln und Veilchen auf den frischen
Wiesengründen sich entfalten.

Wenn die Entscheidungen jetzt ungleich mehr von den Feldherrn wie von
den Diplomaten zu erwarten sind, und die Entschließungen der erstern das
höhere Interesse beanspruchen, so beschränken sich die Arbeiten eines Stratford
Canning und Brück dennoch nicht auf unwichtige Dinge. Im Gegentheil
hatten die hiesigen Unterhändler kaum jemals festeren Boden unter den Füßen,
und waren der endlichen Erreichung ihres Zieles, dem sie mit sovieler Be¬
harrlichkeit nunmehr seit länger als einem Vierteljahrhundert schon zustrebten,
gewisser, wie eben jetzt. .Dieses Ziel ist kein anderes als eine endliche
Arrangirung der orientalischen Verhältnisse, die Festlegung gewisser Basen für
den großen Nestaurationsbau des osmanischen Reiches, welche unmittelbar nach
dem Friedensschlüsse mit Nußland vor sich gehen muß. Darauf, daß die


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[0270] in diesem Zeitraum den bei weitem größern Theil des ausgedehnten, in einem gegen den Bospor mündenden Thale sich hinziehenden Dorfes Ortakoj, d. h. im ganzen nicht weniger als siebenhundert größere und kleinere Häuser. Man erinnert sich seil Jahren hier nichts Aehnliches erlebt zu haben, denn die Brände im Jahr 1832 betrafen meistens nur schlechtgebaute Stadt¬ viertel des eigentlichen Stambul, während hier prunkvolle armenische Villen und große türkische Jalys hin Unterschiede von den Winterhäusern, die man Konaks nennt), ein Raub der Flammen wurden. Ich war auf der Brand¬ stätte. Sie bietet den Anblick eines weiten Feldes der Zerstörung. Von den meistens aus Holz, wiewol mehrstöckig aufgebaut gewesenen Häusern stehen nur noch die Küchenkamine und die hohen, massiven Rauchfänge, aus Haufen schwarzen Schuttes aufragend, unversehrt da. Mit bewunderungs¬ würdiger Schnelligkeit hat man hier und da schon Breterhütten aufgeschlagen, um darin ein einstweiliges Unterkommen zu finden, und mit dem Aufräumen der Trümmer sind viele Menschen beschäftigt. Wenn nur der Wohlstand der armenischen Handelswelt hier seine Landhäuser verloren hätte, würde das große Unglück leichter zu verschmerzen sein; aber viele an-s den ärmern Classen haben durch die Feuersbrunst ihr Alles verloren; denn keine Assecuranzgesellschaft läßt sich bereitwillig finden, für ein hiesiges Haus Garantie zu übernehmen. Wir haben letzthin» meistens schöne Tage gehabt, die dazu beitragen werden, die sogenannte stille Saison in Büjükvere zu verlängern. Die hohe Diplomatie weilt noch am kühlen, jetzt von Nordwinden aus den Wassergefilden des Eurin mehr wie jemals bestrichenen Strande der weiten Bai von Thera- pia, ergeht sich in den Parks, wo zwar die Laubbäume schon im September ihren gelben Blätterregen ausstreuten, aber nunmehr, nach den letzten Regen¬ güssen und dem warmen Sonnenschein, der auf sie folgte, die Rosen wieder auf den Beeten zur Blüte treiben, und wie wenn anstatt des Winters der Frühling im Anzüge wäre, Crocos, Priemeln und Veilchen auf den frischen Wiesengründen sich entfalten. Wenn die Entscheidungen jetzt ungleich mehr von den Feldherrn wie von den Diplomaten zu erwarten sind, und die Entschließungen der erstern das höhere Interesse beanspruchen, so beschränken sich die Arbeiten eines Stratford Canning und Brück dennoch nicht auf unwichtige Dinge. Im Gegentheil hatten die hiesigen Unterhändler kaum jemals festeren Boden unter den Füßen, und waren der endlichen Erreichung ihres Zieles, dem sie mit sovieler Be¬ harrlichkeit nunmehr seit länger als einem Vierteljahrhundert schon zustrebten, gewisser, wie eben jetzt. .Dieses Ziel ist kein anderes als eine endliche Arrangirung der orientalischen Verhältnisse, die Festlegung gewisser Basen für den großen Nestaurationsbau des osmanischen Reiches, welche unmittelbar nach dem Friedensschlüsse mit Nußland vor sich gehen muß. Darauf, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/270>, abgerufen am 22.07.2024.