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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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genübersteht, und der sich daher bei Behandlung desselben einer beständigen
Anstrengung bewußt ist, wol begreiflich. --

Die "Betrachtungen über die französische Revolution" enthalten eine Reihe
eindringlicher und fleißiger Studien, die umsomehr anzuerkennen sind, da sie
sich auf eine bisher vernachlässigte Seite der ersten RevolutionSjahre beziehen,
auf die auswärtige Politik; allein zweierlei hindert den Verfasser, diese Studien
so zu verwerthen, wie es zu einem Geschichtswerk nothwendig ist: einmal hat
er kein eigentlich plastisches Talent, und daher zerfließen die Ereignisse unter
seinen Händen zu verwickelten Wirkungen und Gegenwirkungen, ohne eine
feste Gestalt zu gewinnen; sodann geht er von vorgefaßten Meinungen aus.
Die Revolution entspringt nach ihm aus einer Abschwächung des religiösen
Geistes. Wenn man dergleichen wohlklingende Phrasen auf die innere Ge¬
schichte der Revolution anwendet, so kann der Leser leicht getäuscht werden;
denn wenn auch Eingriffe in die Besitzverhältnisse von Seiten des Staats und
der Parteien zu allen Zeiten vorgekommen sind, so hat sie die Revolution doch
in großartigerem Maßstabe ausgeübt, und wer im Besitz ist, fühlt die Eingriffe
zu Gunsten einer Idee viel eindringlicher und schmerzhafter, als die Eingriffe
einer willkürlichen Gewalt, weil im letzteren Falle doch wenigstens das Princip
des Besitzes nicht durch ein neues Princip aufgehoben wird. Wenn man aber
diesen Grundsatz auch auf die auswärtige Politik ausdehnt, die Eroberungs¬
politik aus der Revolution und diese wiederum aus der Irreligiosität herleitet,
so wird man wol nicht leicht den> Beifall der Verständigen finden; denn das
Bestreben, die Staaten zu arrondiren und die Grenzen nicht nach den Gesetzen
des Staatsrechts, sondern nach Gründen der Zweckmäßigkeit abzustecken, hat
lange vor der Revolution eristirt; eS war die natürliche Folge einer Politik,
die von der Individualität und Lebendigkeit der einzelnen Staatskörper aus¬
ging, und selbst diese Politik des 17. und 18. Jahrhunderts ist keineswegs
eine schlechtere als die frühere, wo lediglich die Willkür und der Ehrgeiz des
einzelnen den Maßstab zu seinen politischen Entwürfen hergab, denn das
Streben ist doch jetzt wenigstens aus etwas Bleibendes und Unvergängliches ge¬
richtet, nicht auf die Laune und das Gelüste des Augenblicks.

Wenn man sich einmal in solche Voraussetzungen vertieft, so wird es
schwer', auch bei den aufrichtigsten Studien sich unparteiisch zu halten, denn
man sieht zuletzt in den Quellen nur, was man darin sehen will. Als ein¬
zelnes, aber schlagendes Beispiel dafür erwähnen wir S. 21 die Behauptung,
der preußische Minister Hertzberg sei vollständig von der neuen Philosophie be¬
herrscht worden. Für diese Behauptung, die man doch nur durch die Gesammt-
auschauung seines Lebens bekräftigen könnte, wird eine einzelne Stelle aus den
Memoiren eines Staatsmannes citirt, und so läßt sich denn auch der Verfasser
in der Untersuchung, wer von den beiden streitenden Parteien in Frankreich den


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genübersteht, und der sich daher bei Behandlung desselben einer beständigen
Anstrengung bewußt ist, wol begreiflich. —

Die „Betrachtungen über die französische Revolution" enthalten eine Reihe
eindringlicher und fleißiger Studien, die umsomehr anzuerkennen sind, da sie
sich auf eine bisher vernachlässigte Seite der ersten RevolutionSjahre beziehen,
auf die auswärtige Politik; allein zweierlei hindert den Verfasser, diese Studien
so zu verwerthen, wie es zu einem Geschichtswerk nothwendig ist: einmal hat
er kein eigentlich plastisches Talent, und daher zerfließen die Ereignisse unter
seinen Händen zu verwickelten Wirkungen und Gegenwirkungen, ohne eine
feste Gestalt zu gewinnen; sodann geht er von vorgefaßten Meinungen aus.
Die Revolution entspringt nach ihm aus einer Abschwächung des religiösen
Geistes. Wenn man dergleichen wohlklingende Phrasen auf die innere Ge¬
schichte der Revolution anwendet, so kann der Leser leicht getäuscht werden;
denn wenn auch Eingriffe in die Besitzverhältnisse von Seiten des Staats und
der Parteien zu allen Zeiten vorgekommen sind, so hat sie die Revolution doch
in großartigerem Maßstabe ausgeübt, und wer im Besitz ist, fühlt die Eingriffe
zu Gunsten einer Idee viel eindringlicher und schmerzhafter, als die Eingriffe
einer willkürlichen Gewalt, weil im letzteren Falle doch wenigstens das Princip
des Besitzes nicht durch ein neues Princip aufgehoben wird. Wenn man aber
diesen Grundsatz auch auf die auswärtige Politik ausdehnt, die Eroberungs¬
politik aus der Revolution und diese wiederum aus der Irreligiosität herleitet,
so wird man wol nicht leicht den> Beifall der Verständigen finden; denn das
Bestreben, die Staaten zu arrondiren und die Grenzen nicht nach den Gesetzen
des Staatsrechts, sondern nach Gründen der Zweckmäßigkeit abzustecken, hat
lange vor der Revolution eristirt; eS war die natürliche Folge einer Politik,
die von der Individualität und Lebendigkeit der einzelnen Staatskörper aus¬
ging, und selbst diese Politik des 17. und 18. Jahrhunderts ist keineswegs
eine schlechtere als die frühere, wo lediglich die Willkür und der Ehrgeiz des
einzelnen den Maßstab zu seinen politischen Entwürfen hergab, denn das
Streben ist doch jetzt wenigstens aus etwas Bleibendes und Unvergängliches ge¬
richtet, nicht auf die Laune und das Gelüste des Augenblicks.

Wenn man sich einmal in solche Voraussetzungen vertieft, so wird es
schwer', auch bei den aufrichtigsten Studien sich unparteiisch zu halten, denn
man sieht zuletzt in den Quellen nur, was man darin sehen will. Als ein¬
zelnes, aber schlagendes Beispiel dafür erwähnen wir S. 21 die Behauptung,
der preußische Minister Hertzberg sei vollständig von der neuen Philosophie be¬
herrscht worden. Für diese Behauptung, die man doch nur durch die Gesammt-
auschauung seines Lebens bekräftigen könnte, wird eine einzelne Stelle aus den
Memoiren eines Staatsmannes citirt, und so läßt sich denn auch der Verfasser
in der Untersuchung, wer von den beiden streitenden Parteien in Frankreich den


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[0265] genübersteht, und der sich daher bei Behandlung desselben einer beständigen Anstrengung bewußt ist, wol begreiflich. — Die „Betrachtungen über die französische Revolution" enthalten eine Reihe eindringlicher und fleißiger Studien, die umsomehr anzuerkennen sind, da sie sich auf eine bisher vernachlässigte Seite der ersten RevolutionSjahre beziehen, auf die auswärtige Politik; allein zweierlei hindert den Verfasser, diese Studien so zu verwerthen, wie es zu einem Geschichtswerk nothwendig ist: einmal hat er kein eigentlich plastisches Talent, und daher zerfließen die Ereignisse unter seinen Händen zu verwickelten Wirkungen und Gegenwirkungen, ohne eine feste Gestalt zu gewinnen; sodann geht er von vorgefaßten Meinungen aus. Die Revolution entspringt nach ihm aus einer Abschwächung des religiösen Geistes. Wenn man dergleichen wohlklingende Phrasen auf die innere Ge¬ schichte der Revolution anwendet, so kann der Leser leicht getäuscht werden; denn wenn auch Eingriffe in die Besitzverhältnisse von Seiten des Staats und der Parteien zu allen Zeiten vorgekommen sind, so hat sie die Revolution doch in großartigerem Maßstabe ausgeübt, und wer im Besitz ist, fühlt die Eingriffe zu Gunsten einer Idee viel eindringlicher und schmerzhafter, als die Eingriffe einer willkürlichen Gewalt, weil im letzteren Falle doch wenigstens das Princip des Besitzes nicht durch ein neues Princip aufgehoben wird. Wenn man aber diesen Grundsatz auch auf die auswärtige Politik ausdehnt, die Eroberungs¬ politik aus der Revolution und diese wiederum aus der Irreligiosität herleitet, so wird man wol nicht leicht den> Beifall der Verständigen finden; denn das Bestreben, die Staaten zu arrondiren und die Grenzen nicht nach den Gesetzen des Staatsrechts, sondern nach Gründen der Zweckmäßigkeit abzustecken, hat lange vor der Revolution eristirt; eS war die natürliche Folge einer Politik, die von der Individualität und Lebendigkeit der einzelnen Staatskörper aus¬ ging, und selbst diese Politik des 17. und 18. Jahrhunderts ist keineswegs eine schlechtere als die frühere, wo lediglich die Willkür und der Ehrgeiz des einzelnen den Maßstab zu seinen politischen Entwürfen hergab, denn das Streben ist doch jetzt wenigstens aus etwas Bleibendes und Unvergängliches ge¬ richtet, nicht auf die Laune und das Gelüste des Augenblicks. Wenn man sich einmal in solche Voraussetzungen vertieft, so wird es schwer', auch bei den aufrichtigsten Studien sich unparteiisch zu halten, denn man sieht zuletzt in den Quellen nur, was man darin sehen will. Als ein¬ zelnes, aber schlagendes Beispiel dafür erwähnen wir S. 21 die Behauptung, der preußische Minister Hertzberg sei vollständig von der neuen Philosophie be¬ herrscht worden. Für diese Behauptung, die man doch nur durch die Gesammt- auschauung seines Lebens bekräftigen könnte, wird eine einzelne Stelle aus den Memoiren eines Staatsmannes citirt, und so läßt sich denn auch der Verfasser in der Untersuchung, wer von den beiden streitenden Parteien in Frankreich den Grenzboten. IV. -ILöi. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/265>, abgerufen am 24.08.2024.