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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Um die letzteren zu stören, .machten die Russen, kurz vor Abgang des
Steamers, einen Ausfall, der indessen von den Jägern von Vincennes mit
Kraft und unter bedeutendem Verlust des Feindes zurückgewiesen wurde.

Ich wiederhole hier, was ich schon früher als Behauptung hingestellt, daß
der Fall des Platzes, wenn nicht ganz unerwartete Zufälle eintreten, keines¬
wegs vor dem 20. dieses Monats zu erwarten steht, und daß es möglich ist, den¬
selben noch bis zu den ersten Tagen des November in russischen Händen zu sehen.
Unter anderen Umständen als die gegebenen würde leicht möglich der Widerstand
sich selbst über den letzteren Termin hinaus noch verlängern können; indeß sind
die Zerstörungswaffen durch die Hilfsquellen, welche die Schiffsartillerie für Ar-
mirung der Batterien bietet, in zu großer Zahl in den Händen des Angreifers,,
als daß man nicht auf eine beschleunigte Wirkung des Feuers der Belagernden
rechnen dürste. Ich bemerke noch, daß ein Festungskampf von diesen Dimen¬
sionen, und bei dem Land- und Seemacht in solcher Stärke betheiligt gewesen
wären, in der ganzen neueren Kriegsgeschichte nicht vorgekommen ist. Die Be¬
lagerung von Toulon im Jahre -1793, in der Napoleon als Obrist^) Bonaparte
seine ersten Lorbeeren erwarb, bietet Vergleichungspunkte dar, erreicht aber den
gegenwärtigen Fall weder an militärisch-politischer Bedeutung noch in Hinsicht
auf die sür den Angriff und die Vertheidigung aufgewendeten Mittel.

Ich schreibe Ihnen'diese Zeilen in meiner Landwohnung, noch in später
Stunde, während draußen das Terrain weithin von einer ungeheuren Feuers-
brunst erleuchtet ist, die von Nachmittag, eine Stunde vor Sonnenuntergang,
in Ortakoj, einem der am Bospor, nahe dem großherrlichen Palais von
Tschiraghan gelegenen Vordörfer Konstantinopels ausbrach und sich eben jetzt
in ihrer ganzen Furie entfaltet. Die Unerläßlichkeit, zum morgigen Postabgange
den vorliegenden Brief bereit zu machen, hält mich ab, mich auf den Weg zu
machen, um daS ungewöhnliche und grausige Schauspiel von den nächsten
Höhen aus der Vogelperspective zu überschauen. Aber auch von meinen Fen¬
stern aus sehe ich bereits genug, um den Brand seinem ungeheuren Umfange
nach ermessen zu können. Die Lohe schlägt nicht in einer schmalen Flammen¬
säule, sondern in einer Masse auf, die bei anderthalbtausend Schritt Durchmesser
haben mag. Der Wind steht aus Nord, und, den früher bei unzähligen Brän¬
den gemachten Erfahrungen gemäß, bewegt das Feuer sich ihm entgegen; rück¬
wärts erstickt es der Rauch so vieler dampfender Holzmassen. Wie das prasselt
und braust. Ungeachtet die Entfernung zwanzig Minuten beträgt, hört man
das Geschrei der Bewohner und der Spritzenleute deutlich herübertönen; sodann
erfolgt ein Schlag, der die Fenster klirren macht; die Funken stäuben in einer



*) Nicht Lieutenant, wie meistens angegeben wird.

Um die letzteren zu stören, .machten die Russen, kurz vor Abgang des
Steamers, einen Ausfall, der indessen von den Jägern von Vincennes mit
Kraft und unter bedeutendem Verlust des Feindes zurückgewiesen wurde.

Ich wiederhole hier, was ich schon früher als Behauptung hingestellt, daß
der Fall des Platzes, wenn nicht ganz unerwartete Zufälle eintreten, keines¬
wegs vor dem 20. dieses Monats zu erwarten steht, und daß es möglich ist, den¬
selben noch bis zu den ersten Tagen des November in russischen Händen zu sehen.
Unter anderen Umständen als die gegebenen würde leicht möglich der Widerstand
sich selbst über den letzteren Termin hinaus noch verlängern können; indeß sind
die Zerstörungswaffen durch die Hilfsquellen, welche die Schiffsartillerie für Ar-
mirung der Batterien bietet, in zu großer Zahl in den Händen des Angreifers,,
als daß man nicht auf eine beschleunigte Wirkung des Feuers der Belagernden
rechnen dürste. Ich bemerke noch, daß ein Festungskampf von diesen Dimen¬
sionen, und bei dem Land- und Seemacht in solcher Stärke betheiligt gewesen
wären, in der ganzen neueren Kriegsgeschichte nicht vorgekommen ist. Die Be¬
lagerung von Toulon im Jahre -1793, in der Napoleon als Obrist^) Bonaparte
seine ersten Lorbeeren erwarb, bietet Vergleichungspunkte dar, erreicht aber den
gegenwärtigen Fall weder an militärisch-politischer Bedeutung noch in Hinsicht
auf die sür den Angriff und die Vertheidigung aufgewendeten Mittel.

Ich schreibe Ihnen'diese Zeilen in meiner Landwohnung, noch in später
Stunde, während draußen das Terrain weithin von einer ungeheuren Feuers-
brunst erleuchtet ist, die von Nachmittag, eine Stunde vor Sonnenuntergang,
in Ortakoj, einem der am Bospor, nahe dem großherrlichen Palais von
Tschiraghan gelegenen Vordörfer Konstantinopels ausbrach und sich eben jetzt
in ihrer ganzen Furie entfaltet. Die Unerläßlichkeit, zum morgigen Postabgange
den vorliegenden Brief bereit zu machen, hält mich ab, mich auf den Weg zu
machen, um daS ungewöhnliche und grausige Schauspiel von den nächsten
Höhen aus der Vogelperspective zu überschauen. Aber auch von meinen Fen¬
stern aus sehe ich bereits genug, um den Brand seinem ungeheuren Umfange
nach ermessen zu können. Die Lohe schlägt nicht in einer schmalen Flammen¬
säule, sondern in einer Masse auf, die bei anderthalbtausend Schritt Durchmesser
haben mag. Der Wind steht aus Nord, und, den früher bei unzähligen Brän¬
den gemachten Erfahrungen gemäß, bewegt das Feuer sich ihm entgegen; rück¬
wärts erstickt es der Rauch so vieler dampfender Holzmassen. Wie das prasselt
und braust. Ungeachtet die Entfernung zwanzig Minuten beträgt, hört man
das Geschrei der Bewohner und der Spritzenleute deutlich herübertönen; sodann
erfolgt ein Schlag, der die Fenster klirren macht; die Funken stäuben in einer



*) Nicht Lieutenant, wie meistens angegeben wird.
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[0236] Um die letzteren zu stören, .machten die Russen, kurz vor Abgang des Steamers, einen Ausfall, der indessen von den Jägern von Vincennes mit Kraft und unter bedeutendem Verlust des Feindes zurückgewiesen wurde. Ich wiederhole hier, was ich schon früher als Behauptung hingestellt, daß der Fall des Platzes, wenn nicht ganz unerwartete Zufälle eintreten, keines¬ wegs vor dem 20. dieses Monats zu erwarten steht, und daß es möglich ist, den¬ selben noch bis zu den ersten Tagen des November in russischen Händen zu sehen. Unter anderen Umständen als die gegebenen würde leicht möglich der Widerstand sich selbst über den letzteren Termin hinaus noch verlängern können; indeß sind die Zerstörungswaffen durch die Hilfsquellen, welche die Schiffsartillerie für Ar- mirung der Batterien bietet, in zu großer Zahl in den Händen des Angreifers,, als daß man nicht auf eine beschleunigte Wirkung des Feuers der Belagernden rechnen dürste. Ich bemerke noch, daß ein Festungskampf von diesen Dimen¬ sionen, und bei dem Land- und Seemacht in solcher Stärke betheiligt gewesen wären, in der ganzen neueren Kriegsgeschichte nicht vorgekommen ist. Die Be¬ lagerung von Toulon im Jahre -1793, in der Napoleon als Obrist^) Bonaparte seine ersten Lorbeeren erwarb, bietet Vergleichungspunkte dar, erreicht aber den gegenwärtigen Fall weder an militärisch-politischer Bedeutung noch in Hinsicht auf die sür den Angriff und die Vertheidigung aufgewendeten Mittel. Ich schreibe Ihnen'diese Zeilen in meiner Landwohnung, noch in später Stunde, während draußen das Terrain weithin von einer ungeheuren Feuers- brunst erleuchtet ist, die von Nachmittag, eine Stunde vor Sonnenuntergang, in Ortakoj, einem der am Bospor, nahe dem großherrlichen Palais von Tschiraghan gelegenen Vordörfer Konstantinopels ausbrach und sich eben jetzt in ihrer ganzen Furie entfaltet. Die Unerläßlichkeit, zum morgigen Postabgange den vorliegenden Brief bereit zu machen, hält mich ab, mich auf den Weg zu machen, um daS ungewöhnliche und grausige Schauspiel von den nächsten Höhen aus der Vogelperspective zu überschauen. Aber auch von meinen Fen¬ stern aus sehe ich bereits genug, um den Brand seinem ungeheuren Umfange nach ermessen zu können. Die Lohe schlägt nicht in einer schmalen Flammen¬ säule, sondern in einer Masse auf, die bei anderthalbtausend Schritt Durchmesser haben mag. Der Wind steht aus Nord, und, den früher bei unzähligen Brän¬ den gemachten Erfahrungen gemäß, bewegt das Feuer sich ihm entgegen; rück¬ wärts erstickt es der Rauch so vieler dampfender Holzmassen. Wie das prasselt und braust. Ungeachtet die Entfernung zwanzig Minuten beträgt, hört man das Geschrei der Bewohner und der Spritzenleute deutlich herübertönen; sodann erfolgt ein Schlag, der die Fenster klirren macht; die Funken stäuben in einer *) Nicht Lieutenant, wie meistens angegeben wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/236>, abgerufen am 24.08.2024.