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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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und nachdem dach Oestreichs Haltung eine Garantie gegen die Gefahr eines
neuen russischen Einfalls in Bulgarien und die Dobrudscha gewonnen zu sein
scheint, ist es selbst nicht mehr ganz unmöglich, daß man mitten im Kriege zur
Ausführung einer der großen Hauptsträuge, etwa der Linie von hier 'über
Adrianopel und Sophia nach Belgrad schreiten wird.

Es liegt aus der Hand, welche große Wichtigkeit diese Verhältnisse für die
südliche deutsche Großmacht haben und daß. Oestreich es sich angelegen lassen
sein wird, sie ihrem ganzen Umfange nach in seinem Interesse auszubeuten.
In solcher Hinsicht ist Herr von Brück in Konstantinopel g^nz an seinem
Platz. Obwol kein Freund Englands und in den Zeiten, wo man in Wien
über die Wahl zwischen dem Westen und Osten stritt, keineswegs zu den Par¬
teigängern des erstern zählend, erkennt er doch deutlich genug, daß für Oestreich,
wenn es dereinst als große Handelsmacht seine Stellung im Herzen des Kon¬
tinents einnehmen will, grade in dieser Zeitperiode ein Conflict mit Gro߬
britannien am meisten zu vermeiden ist; daß ferner es für die commercielle
Politik des Kaiserstaats ein Strebeziel sein muß, mehr und mehr die großen
Communicationslinien zwischen dem Orient und Occident, die heute ihre End¬
punkte am Ganges und der Themse haben, durch sein Gebiet zu leiten, und
endlich, daß die Verbindung der unteren Stromhälfte der Donau und des Bos-
por die wichtigste darunter ist.

Man hatte hier erwartet, daß Oestreich gegen die Erpedition nach der Krim
diplomatischen Einspruch erheben werde, weil nothwendig das Gelingen dieser
Unternehmung und eine darauffolgende bleibende Besitznahme der Halbinsel
durch die Seemächte zu einer Umgestaltung der Machtverhältnisse auf dem Eurin
führen müßte, von dem nicht Nußland allein betroffen werden würde. Wider
Vermuthen scheint indeß Herr von Brück sich inbetreff dieses Punktes schweig¬
sam verhalten zu haben; ja man will wissen, daß eine Verständigung Frank¬
reichs und Englands mit dem Cabinet zu Wien über die in Rede gestellte Frage
schon stattgefunden habe und damit jeder Stein eines etwaigen Anstoßes aus
dem Wege geräumt worden sei.

Es ist auffallend, wie spärlich uns die Nachrichten über den Fortgang der
Operationen auf der taurischen Halbinsel zufließen. Bei der großen Anzahl
von Dampfern, über welche die Flotte der Alliirten zu disponiren hat, könnte
recht füglich eine tägliche Verbindung eingerichtet sein. Dagegen vergeht zu¬
weilen eine halbe Woche, in der wir ganz ohne Kunde sind, wonach dann in¬
nerhalb vierundzwanzig Stunden wiederum zwei oder' drei Dampfer anlangen.
Die vorgestern eingetroffenen Briefe sind vom 1-1. datirt und bestätigen aufs
neue die schon früher gehegte Vermuthung, daß die Schwierigkeiten der Be¬
lagerung anfänglich unterschätzt wurden. Das Feuer gegen die Festung selbst
war noch nicht eröffnet worden, und man glaubte voraussetzen zu dürfen, daß


und nachdem dach Oestreichs Haltung eine Garantie gegen die Gefahr eines
neuen russischen Einfalls in Bulgarien und die Dobrudscha gewonnen zu sein
scheint, ist es selbst nicht mehr ganz unmöglich, daß man mitten im Kriege zur
Ausführung einer der großen Hauptsträuge, etwa der Linie von hier 'über
Adrianopel und Sophia nach Belgrad schreiten wird.

Es liegt aus der Hand, welche große Wichtigkeit diese Verhältnisse für die
südliche deutsche Großmacht haben und daß. Oestreich es sich angelegen lassen
sein wird, sie ihrem ganzen Umfange nach in seinem Interesse auszubeuten.
In solcher Hinsicht ist Herr von Brück in Konstantinopel g^nz an seinem
Platz. Obwol kein Freund Englands und in den Zeiten, wo man in Wien
über die Wahl zwischen dem Westen und Osten stritt, keineswegs zu den Par¬
teigängern des erstern zählend, erkennt er doch deutlich genug, daß für Oestreich,
wenn es dereinst als große Handelsmacht seine Stellung im Herzen des Kon¬
tinents einnehmen will, grade in dieser Zeitperiode ein Conflict mit Gro߬
britannien am meisten zu vermeiden ist; daß ferner es für die commercielle
Politik des Kaiserstaats ein Strebeziel sein muß, mehr und mehr die großen
Communicationslinien zwischen dem Orient und Occident, die heute ihre End¬
punkte am Ganges und der Themse haben, durch sein Gebiet zu leiten, und
endlich, daß die Verbindung der unteren Stromhälfte der Donau und des Bos-
por die wichtigste darunter ist.

Man hatte hier erwartet, daß Oestreich gegen die Erpedition nach der Krim
diplomatischen Einspruch erheben werde, weil nothwendig das Gelingen dieser
Unternehmung und eine darauffolgende bleibende Besitznahme der Halbinsel
durch die Seemächte zu einer Umgestaltung der Machtverhältnisse auf dem Eurin
führen müßte, von dem nicht Nußland allein betroffen werden würde. Wider
Vermuthen scheint indeß Herr von Brück sich inbetreff dieses Punktes schweig¬
sam verhalten zu haben; ja man will wissen, daß eine Verständigung Frank¬
reichs und Englands mit dem Cabinet zu Wien über die in Rede gestellte Frage
schon stattgefunden habe und damit jeder Stein eines etwaigen Anstoßes aus
dem Wege geräumt worden sei.

Es ist auffallend, wie spärlich uns die Nachrichten über den Fortgang der
Operationen auf der taurischen Halbinsel zufließen. Bei der großen Anzahl
von Dampfern, über welche die Flotte der Alliirten zu disponiren hat, könnte
recht füglich eine tägliche Verbindung eingerichtet sein. Dagegen vergeht zu¬
weilen eine halbe Woche, in der wir ganz ohne Kunde sind, wonach dann in¬
nerhalb vierundzwanzig Stunden wiederum zwei oder' drei Dampfer anlangen.
Die vorgestern eingetroffenen Briefe sind vom 1-1. datirt und bestätigen aufs
neue die schon früher gehegte Vermuthung, daß die Schwierigkeiten der Be¬
lagerung anfänglich unterschätzt wurden. Das Feuer gegen die Festung selbst
war noch nicht eröffnet worden, und man glaubte voraussetzen zu dürfen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/234>, abgerufen am 24.08.2024.