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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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land vereinigt hat. Es zeigt sich jetzt, daß die Veränderung des Staats¬
grundgesetzes, durch welche Dänemark und die Herzogthümer unter einer ge¬
meinschaftlichen Dynastie zu einem Gesammtstaat verschmolzen werden sollten,
den Interessen des dänischen Volks ebensowenig entspricht, als den Interessen
Deutschlands. Die deutsche Publicistik ist im allgemeinen gegen die Eider-
dänen, diejenige Partei, welche am meisten das dänische Volk repräsentirt,
ungerecht gewesen, weil sie freilich unsre erklärtesten Feinde waren. Bei
einer unparteiischen Würdigung der Thatsachen wird man nicht in Abrede
stellen, daß die Dänen sich in dem damaligen Conflict mit Deutschland so
tüchtig benommen haben/ wie man von einem Volke nur erwarten kann; sie
waren tapfer, ausdauernd und patriotisch, und wenn sie sich in ihrem Streit
mit den Herzogthümern, boshafter und rachsüchtiger zeigten, als sich gegen
einen edlen Feind geziemt, so konnte man sie durch das natürliche Gefühl der
Schwäche entschuldigen, das bei dem scheinbaren Uebergewicht des Gegners
alle unedlen Leidenschaften in der Seele aufregt. Das Uebergewicht war
allerdings nur scheinbar, denn es handelte sich in der That nicht um einen
Kampf zwischen Dänemark und Deutschland, sondern um den Kampf eines
Theils von Deutschland gegen das gesammte Europa. In elender Eifersucht
gegen die Möglichkeit einer deutschen Entwicklung wetteiferten die Westmächte
mit Nußland, und da Deutschland selbst sich nicht einigen konnte, mußte es
sich aus dem Kampf mit einem kleinen und mißachteten Gegner zurückziehen.
Zuletzt wurde durch die Sanction sämmtlicher Großmächte eine neue Con-
stituirung des dänischen Gesammtstaates beliebt, die, wenn sie ins Leben treten
sollte, eine freie Entwicklung Deutschlands unmöglich macht.

Allein dieser scheinbare Gewinn ist den Dänen theuer zu stehen gekommen.
Ueber dem eitlen Bestreben, durch Eroberung der deutschen Herzogthümer ihren
Staat zu dem Range einer Großmacht zu erheben, für den er doch bei seiner
ganzen Lage nicht geeignet ist, haben sie ihre eigne freie nationale Ent¬
wicklung eingebüßt, oder schweben wenigstens in der größten "Gefahr, sie
einzubüßen, und da dürfte es doch wol manchem Patrioten zweifelhaft sein,
ob der Besitz von Kiel und damit die Möglichkeit, ein vergüldetes und mit
Brillanten besetztes Zünglein in der europäischen Wagschale zu bilden, ein
hinreichender Gewinn ist für das Opfer ihrer volksthümlichen Selbstständigkeit.

Auf der andern Seite fangen auch die Westmächte an einzusehen, daß die
beabsichtigte Verfassungsveränderung in Dänemark ihnen nicht gleichgiltig sein
kann, daß die dänische Regierung auf dem besten Wege ist, durch die Unter¬
drückung der Volkssreiheiten sich völlig dem russischen System anheimzugeben.
Die englische und französische Presse saßt zwar die Sache vorläufig noch von
einem höchst brutalen Gesichtspunkt auf, nämlich von dem Gesichtspunkt des
angebornen Hasses gegen Deutschland. Namentlich hat die Times neuerdings


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land vereinigt hat. Es zeigt sich jetzt, daß die Veränderung des Staats¬
grundgesetzes, durch welche Dänemark und die Herzogthümer unter einer ge¬
meinschaftlichen Dynastie zu einem Gesammtstaat verschmolzen werden sollten,
den Interessen des dänischen Volks ebensowenig entspricht, als den Interessen
Deutschlands. Die deutsche Publicistik ist im allgemeinen gegen die Eider-
dänen, diejenige Partei, welche am meisten das dänische Volk repräsentirt,
ungerecht gewesen, weil sie freilich unsre erklärtesten Feinde waren. Bei
einer unparteiischen Würdigung der Thatsachen wird man nicht in Abrede
stellen, daß die Dänen sich in dem damaligen Conflict mit Deutschland so
tüchtig benommen haben/ wie man von einem Volke nur erwarten kann; sie
waren tapfer, ausdauernd und patriotisch, und wenn sie sich in ihrem Streit
mit den Herzogthümern, boshafter und rachsüchtiger zeigten, als sich gegen
einen edlen Feind geziemt, so konnte man sie durch das natürliche Gefühl der
Schwäche entschuldigen, das bei dem scheinbaren Uebergewicht des Gegners
alle unedlen Leidenschaften in der Seele aufregt. Das Uebergewicht war
allerdings nur scheinbar, denn es handelte sich in der That nicht um einen
Kampf zwischen Dänemark und Deutschland, sondern um den Kampf eines
Theils von Deutschland gegen das gesammte Europa. In elender Eifersucht
gegen die Möglichkeit einer deutschen Entwicklung wetteiferten die Westmächte
mit Nußland, und da Deutschland selbst sich nicht einigen konnte, mußte es
sich aus dem Kampf mit einem kleinen und mißachteten Gegner zurückziehen.
Zuletzt wurde durch die Sanction sämmtlicher Großmächte eine neue Con-
stituirung des dänischen Gesammtstaates beliebt, die, wenn sie ins Leben treten
sollte, eine freie Entwicklung Deutschlands unmöglich macht.

Allein dieser scheinbare Gewinn ist den Dänen theuer zu stehen gekommen.
Ueber dem eitlen Bestreben, durch Eroberung der deutschen Herzogthümer ihren
Staat zu dem Range einer Großmacht zu erheben, für den er doch bei seiner
ganzen Lage nicht geeignet ist, haben sie ihre eigne freie nationale Ent¬
wicklung eingebüßt, oder schweben wenigstens in der größten »Gefahr, sie
einzubüßen, und da dürfte es doch wol manchem Patrioten zweifelhaft sein,
ob der Besitz von Kiel und damit die Möglichkeit, ein vergüldetes und mit
Brillanten besetztes Zünglein in der europäischen Wagschale zu bilden, ein
hinreichender Gewinn ist für das Opfer ihrer volksthümlichen Selbstständigkeit.

Auf der andern Seite fangen auch die Westmächte an einzusehen, daß die
beabsichtigte Verfassungsveränderung in Dänemark ihnen nicht gleichgiltig sein
kann, daß die dänische Regierung auf dem besten Wege ist, durch die Unter¬
drückung der Volkssreiheiten sich völlig dem russischen System anheimzugeben.
Die englische und französische Presse saßt zwar die Sache vorläufig noch von
einem höchst brutalen Gesichtspunkt auf, nämlich von dem Gesichtspunkt des
angebornen Hasses gegen Deutschland. Namentlich hat die Times neuerdings


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[0227] land vereinigt hat. Es zeigt sich jetzt, daß die Veränderung des Staats¬ grundgesetzes, durch welche Dänemark und die Herzogthümer unter einer ge¬ meinschaftlichen Dynastie zu einem Gesammtstaat verschmolzen werden sollten, den Interessen des dänischen Volks ebensowenig entspricht, als den Interessen Deutschlands. Die deutsche Publicistik ist im allgemeinen gegen die Eider- dänen, diejenige Partei, welche am meisten das dänische Volk repräsentirt, ungerecht gewesen, weil sie freilich unsre erklärtesten Feinde waren. Bei einer unparteiischen Würdigung der Thatsachen wird man nicht in Abrede stellen, daß die Dänen sich in dem damaligen Conflict mit Deutschland so tüchtig benommen haben/ wie man von einem Volke nur erwarten kann; sie waren tapfer, ausdauernd und patriotisch, und wenn sie sich in ihrem Streit mit den Herzogthümern, boshafter und rachsüchtiger zeigten, als sich gegen einen edlen Feind geziemt, so konnte man sie durch das natürliche Gefühl der Schwäche entschuldigen, das bei dem scheinbaren Uebergewicht des Gegners alle unedlen Leidenschaften in der Seele aufregt. Das Uebergewicht war allerdings nur scheinbar, denn es handelte sich in der That nicht um einen Kampf zwischen Dänemark und Deutschland, sondern um den Kampf eines Theils von Deutschland gegen das gesammte Europa. In elender Eifersucht gegen die Möglichkeit einer deutschen Entwicklung wetteiferten die Westmächte mit Nußland, und da Deutschland selbst sich nicht einigen konnte, mußte es sich aus dem Kampf mit einem kleinen und mißachteten Gegner zurückziehen. Zuletzt wurde durch die Sanction sämmtlicher Großmächte eine neue Con- stituirung des dänischen Gesammtstaates beliebt, die, wenn sie ins Leben treten sollte, eine freie Entwicklung Deutschlands unmöglich macht. Allein dieser scheinbare Gewinn ist den Dänen theuer zu stehen gekommen. Ueber dem eitlen Bestreben, durch Eroberung der deutschen Herzogthümer ihren Staat zu dem Range einer Großmacht zu erheben, für den er doch bei seiner ganzen Lage nicht geeignet ist, haben sie ihre eigne freie nationale Ent¬ wicklung eingebüßt, oder schweben wenigstens in der größten »Gefahr, sie einzubüßen, und da dürfte es doch wol manchem Patrioten zweifelhaft sein, ob der Besitz von Kiel und damit die Möglichkeit, ein vergüldetes und mit Brillanten besetztes Zünglein in der europäischen Wagschale zu bilden, ein hinreichender Gewinn ist für das Opfer ihrer volksthümlichen Selbstständigkeit. Auf der andern Seite fangen auch die Westmächte an einzusehen, daß die beabsichtigte Verfassungsveränderung in Dänemark ihnen nicht gleichgiltig sein kann, daß die dänische Regierung auf dem besten Wege ist, durch die Unter¬ drückung der Volkssreiheiten sich völlig dem russischen System anheimzugeben. Die englische und französische Presse saßt zwar die Sache vorläufig noch von einem höchst brutalen Gesichtspunkt auf, nämlich von dem Gesichtspunkt des angebornen Hasses gegen Deutschland. Namentlich hat die Times neuerdings - 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/227>, abgerufen am 22.07.2024.