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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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zuckt ist er von diesen Eindrücken grade nicht; selbst als er dem Kaiser Niko¬
laus vorgestellt wurde, der ihn sehr gütig behandelte, und als dieser ih"
lächelnd fragte, ob man nicht in Sibirien sehr schlecht bewirthet werde, konnte
, er nur die verlegene Antwort hervorstottern: "So schlecht ist es grade auch
nicht;" eine Antwort, die ihm übrigens große Gewissensbedenkcn machte, da
er sich früher sehr lebhaft über die ungesunde sibirische Diät beklagt hatte.
Einen großen Theil der Darstellung nehmen die Berichte über die sibirischen
Verbannten ein, deren trauriges Loos der Verfasser sehr genau kennen zu
lernen Gelegenheit hatte, da er mit einer dieser Familien, die freilich nicht mehr
die Härte der eigentlichen Verbannung zu tragen hatte, in den freundschaft¬
lichsten Beziehungen stand.

Die Beschreibung der Krim von Prof. Koch verdient um so größeres Lob,
da er durchaus den gewöhnlichen manierirten Ton der Touristen vermeidet und
dem Leser ein deutliches und auf genaue Ermittlung der Thatsachen gegrün¬
detes Bild dieser Halbinsel gibt, über die in Europa noch immer sehr falsche
Vorstellungen herrschen. So hat man namentlich eine viel zu übertriebene
Vorstellung von der Fruchtbarkeit der Krim.

Die ausführliche Beschreibung von Sebastopol und der übrigen Orte, die jetzt
als Kriegsschauplatz eine historische Berühmtheit erlangt haben, wird für alle
Zeitungsleser von Interesse sein. -- Der Verf. glaubt, daß die Erpedition der
Westmächte sich damit begnügen wird, die Flotte und die Festungswerke zu
.zerstören. "Eine dauernde Besetzung möchte ungeheure Opfer kosten und am
Ende doch zu keinem Resultate führen. Ein Gibraltar würde Sebastopol nie
und nimmer werden. Das schwierigste bei der dauernden Besetzung ist stets
die Unterhaltung einer so bedeutenden Truppenmasse, als für die Behauptung
eines sehr entfernten Ortes. nothwendig erscheint. Wollte nur mit Sebastopol
die ganze Krim wegnehmen, so würden sich die Schwierigkeiten nur steigern,
da die Nähe eines immerhin mächtigen Feindes die größten Vertheidigungs¬
maßregeln verlangt, zumal dieser wieder nur daraus bedacht sein müßte, sich
der Halbinsel von neuem zu bemächtigen. Die Krim wird nie im Stande sein,
neben der Bevölkerung noch bedeutende Heere zu ernähren, denn mit Ausnahme
der wenigen Thäler fehlt Wasser; ohne dieses, zumal nicht einmal Wasserlei¬
tungen gemacht werden können, ist keine Fruchtbarkeit und am allerwenigsten Ge¬
treidebau möglich. Der Glaube von der großen Fruchtbarkeit der Krim, dem man
sich selbst in Rußland ganz allgemein hingibt, stammt noch aus der Zeit der
großen Katharina, die der Fürst Potjomkin (Potemkin) durch ephemere Co-
lonien zu täuschen suchte. Auch die jetzigen Kriege in der europäischen Türkei
haben uns gezeigt, wie schwierig es ist, auf eine längere Zeit große Truppen-
massen in nicht civilisirten Ländern zu unterhalten."




zuckt ist er von diesen Eindrücken grade nicht; selbst als er dem Kaiser Niko¬
laus vorgestellt wurde, der ihn sehr gütig behandelte, und als dieser ih«
lächelnd fragte, ob man nicht in Sibirien sehr schlecht bewirthet werde, konnte
, er nur die verlegene Antwort hervorstottern: „So schlecht ist es grade auch
nicht;" eine Antwort, die ihm übrigens große Gewissensbedenkcn machte, da
er sich früher sehr lebhaft über die ungesunde sibirische Diät beklagt hatte.
Einen großen Theil der Darstellung nehmen die Berichte über die sibirischen
Verbannten ein, deren trauriges Loos der Verfasser sehr genau kennen zu
lernen Gelegenheit hatte, da er mit einer dieser Familien, die freilich nicht mehr
die Härte der eigentlichen Verbannung zu tragen hatte, in den freundschaft¬
lichsten Beziehungen stand.

Die Beschreibung der Krim von Prof. Koch verdient um so größeres Lob,
da er durchaus den gewöhnlichen manierirten Ton der Touristen vermeidet und
dem Leser ein deutliches und auf genaue Ermittlung der Thatsachen gegrün¬
detes Bild dieser Halbinsel gibt, über die in Europa noch immer sehr falsche
Vorstellungen herrschen. So hat man namentlich eine viel zu übertriebene
Vorstellung von der Fruchtbarkeit der Krim.

Die ausführliche Beschreibung von Sebastopol und der übrigen Orte, die jetzt
als Kriegsschauplatz eine historische Berühmtheit erlangt haben, wird für alle
Zeitungsleser von Interesse sein. — Der Verf. glaubt, daß die Erpedition der
Westmächte sich damit begnügen wird, die Flotte und die Festungswerke zu
.zerstören. „Eine dauernde Besetzung möchte ungeheure Opfer kosten und am
Ende doch zu keinem Resultate führen. Ein Gibraltar würde Sebastopol nie
und nimmer werden. Das schwierigste bei der dauernden Besetzung ist stets
die Unterhaltung einer so bedeutenden Truppenmasse, als für die Behauptung
eines sehr entfernten Ortes. nothwendig erscheint. Wollte nur mit Sebastopol
die ganze Krim wegnehmen, so würden sich die Schwierigkeiten nur steigern,
da die Nähe eines immerhin mächtigen Feindes die größten Vertheidigungs¬
maßregeln verlangt, zumal dieser wieder nur daraus bedacht sein müßte, sich
der Halbinsel von neuem zu bemächtigen. Die Krim wird nie im Stande sein,
neben der Bevölkerung noch bedeutende Heere zu ernähren, denn mit Ausnahme
der wenigen Thäler fehlt Wasser; ohne dieses, zumal nicht einmal Wasserlei¬
tungen gemacht werden können, ist keine Fruchtbarkeit und am allerwenigsten Ge¬
treidebau möglich. Der Glaube von der großen Fruchtbarkeit der Krim, dem man
sich selbst in Rußland ganz allgemein hingibt, stammt noch aus der Zeit der
großen Katharina, die der Fürst Potjomkin (Potemkin) durch ephemere Co-
lonien zu täuschen suchte. Auch die jetzigen Kriege in der europäischen Türkei
haben uns gezeigt, wie schwierig es ist, auf eine längere Zeit große Truppen-
massen in nicht civilisirten Ländern zu unterhalten."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/222>, abgerufen am 22.07.2024.