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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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wir achten noch zu sehr auf jedes einzelne und kommen nicht recht zum
ganzen Eindruck, wenigstens nicht in dem erwünschten Maße.

Elsasser, "Landschaft im Charakter der römischen Campagna"
-steht außer der Calameschen Landschaft, was Prägnanz der Stimmung und
Harmonie des Kolorits betrifft, wol keiner nach, aber bei dem Streben nach
Stimmung und Harmonie verschwinden die einzelnen Gegenstände zu sehr.
Sie dürften namentlich im Ton der Farbe mehr voneinandergetrennt sein; so
wird aus der ganzen Ebene mit ihren Bäumen, Steinen u. s. w. bei aller
Feinheit der Lineen eine etwas monotone Masse, aus der wir das einzelne
erst herausfinden müssen, was bei der feinen Absicht und dem gediegenen
Streben des Künstlers umsomehr zu bedauern ist.'

Schirmers (des Berliners) "Neapolitanische Pässe" zeugt von
dem freien poetischen Sinn des Künstlers, der die materielle Naturwahrheit
verschmäht und alles andere der Stimmung opfert. Aber Schirmer geht hierin
öfter zu weit und verfällt in Manier, die wir in der Landschaft, wo das
Formelle eine verhältnißmäßig höhere Haltung hat, als bei Figurenbildern,
am wenigsten vertragen; wir sehen wol gern über Vernachlässigung des Details
weg, aber wir verlangen doch den Eindruck realer Wirklichkeit. Schirmer
hat in Farbe und Form, namentlich in letzterer gewisse Liebhabereien, die mehr
reflectirt, als von wirklich plastischer Wirkung sind. So unter anderm namentlich
eine große Vorliebe für gerade, schavfwinklig gebrochene Lineen, wie sie etwa
bei Schiefergestein vorkommen, aber doch sonst nicht in der Natur begründet
sind. Dieses und manches andere läßt uns selten zu e'mein recht freien Ein¬
druck kommen; wir müssen uns erst von manchem losmachen, ehe wir Schirmers
schöne Bilder genießen können. Wir wünschen Schirmer, was wir den meisten
andern wegwünschen möchten, daß er mehr Naturalist wäre. Wohin ein zu
weit getriebener Idealismus führen kann, fehen wir in Schirmers, anderm
Bilde: "Felsen landschaft", in dem wir die poetische Intention doch nur
mit Mühe aus der mißlungenen Darstellung herausfinden.

Aehnliches, wie von Schirmer, gilt von Weber, der bei dem edlen
Streben, die Natur zu idealisiren, oft vortreffliches leistet, bei dem man aber
auch bisweilen den Eindruck bekommt, er habe die Natur sich mehr zurechtge¬
macht, als frisch und lebendig empfunden. So geht es uns wenigstens in ge¬
wissem Maße bei seinem Bilde aus dieser Ausstellung, das, wie immer schön
in den Lineen und von edlem Stil in den Formen, uns doch nicht warm wer¬
den läßt; namentlich trägt dazu wol das bei ihm etwas stereotyp gewordene,
nicht recht naturwahre Colorit bei.

Mar Schmidt gelingt es sonst oft vortrefflich, Stil und Natur glücklich
zu vereinen. Seine Bilder auf der diesjährigen Ausstellung zeigen wol auch dies
Streben, sind aber sonst nicht besonders anziehend.


wir achten noch zu sehr auf jedes einzelne und kommen nicht recht zum
ganzen Eindruck, wenigstens nicht in dem erwünschten Maße.

Elsasser, „Landschaft im Charakter der römischen Campagna"
-steht außer der Calameschen Landschaft, was Prägnanz der Stimmung und
Harmonie des Kolorits betrifft, wol keiner nach, aber bei dem Streben nach
Stimmung und Harmonie verschwinden die einzelnen Gegenstände zu sehr.
Sie dürften namentlich im Ton der Farbe mehr voneinandergetrennt sein; so
wird aus der ganzen Ebene mit ihren Bäumen, Steinen u. s. w. bei aller
Feinheit der Lineen eine etwas monotone Masse, aus der wir das einzelne
erst herausfinden müssen, was bei der feinen Absicht und dem gediegenen
Streben des Künstlers umsomehr zu bedauern ist.'

Schirmers (des Berliners) „Neapolitanische Pässe" zeugt von
dem freien poetischen Sinn des Künstlers, der die materielle Naturwahrheit
verschmäht und alles andere der Stimmung opfert. Aber Schirmer geht hierin
öfter zu weit und verfällt in Manier, die wir in der Landschaft, wo das
Formelle eine verhältnißmäßig höhere Haltung hat, als bei Figurenbildern,
am wenigsten vertragen; wir sehen wol gern über Vernachlässigung des Details
weg, aber wir verlangen doch den Eindruck realer Wirklichkeit. Schirmer
hat in Farbe und Form, namentlich in letzterer gewisse Liebhabereien, die mehr
reflectirt, als von wirklich plastischer Wirkung sind. So unter anderm namentlich
eine große Vorliebe für gerade, schavfwinklig gebrochene Lineen, wie sie etwa
bei Schiefergestein vorkommen, aber doch sonst nicht in der Natur begründet
sind. Dieses und manches andere läßt uns selten zu e'mein recht freien Ein¬
druck kommen; wir müssen uns erst von manchem losmachen, ehe wir Schirmers
schöne Bilder genießen können. Wir wünschen Schirmer, was wir den meisten
andern wegwünschen möchten, daß er mehr Naturalist wäre. Wohin ein zu
weit getriebener Idealismus führen kann, fehen wir in Schirmers, anderm
Bilde: „Felsen landschaft", in dem wir die poetische Intention doch nur
mit Mühe aus der mißlungenen Darstellung herausfinden.

Aehnliches, wie von Schirmer, gilt von Weber, der bei dem edlen
Streben, die Natur zu idealisiren, oft vortreffliches leistet, bei dem man aber
auch bisweilen den Eindruck bekommt, er habe die Natur sich mehr zurechtge¬
macht, als frisch und lebendig empfunden. So geht es uns wenigstens in ge¬
wissem Maße bei seinem Bilde aus dieser Ausstellung, das, wie immer schön
in den Lineen und von edlem Stil in den Formen, uns doch nicht warm wer¬
den läßt; namentlich trägt dazu wol das bei ihm etwas stereotyp gewordene,
nicht recht naturwahre Colorit bei.

Mar Schmidt gelingt es sonst oft vortrefflich, Stil und Natur glücklich
zu vereinen. Seine Bilder auf der diesjährigen Ausstellung zeigen wol auch dies
Streben, sind aber sonst nicht besonders anziehend.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/216>, abgerufen am 22.07.2024.