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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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religiös oder religiös sagen muß u. s. w. Ferner was die verschiedenen üblichen
Fremdwörter heißen und wie man auf correcte Weise neue Ableitungen und Zu¬
sammensetzungen zu bilde" hat, ein solches Lexikon ist ein tiefgefühltes Bedürfniß
und die Gebrüder Grimm haben keineswegs die Absicht gehabt, diesem Bedürfniß ab¬
zuhelfen, sie haben sich vielmehr den Zweck gestellt, den Sprachschatz der drei letzten
Jahrhunderte in einem Gesammtbilde der Nation zu veranschaulichen. Wenn sich
also Herr Sanders durch das Grimmsche Wörterbuch nicht abhalten ließ, seinerseits
ein ähnliches Unternehmen zu beginnen, und wenn er die Gründe zu diesem Unter¬
nehmen, die abweichenden Gesichtspunkte, die ihn bestimmt hatten, und dergleichen
dem Publicum in der Form einer Kritik vorlegte, so war dagegen durchaus nichts
einzuwenden. Aber wenn man eine Fehde unternehmen will, so muß man sich erst
den Gegner ansehen, mit dem man es zu,thun hat. Der Verfasser hat alle Ursache,
zu einer Erscheinung, wie Jacob Grimm, mit Ehrfurcht emporzublicken. Wenn er
in dieser Broschüre mit ihm umgeht, wie mit einem Schulknaben, so fällt das
Lächerliche nicht ans seinen Gegner, sondern aus ihn selbst zurück. Daß bei einem
Werk vou so kolossalen Dimensionen, wie das Grimmsche Wörterbuch, sich zahlreiche
Irrthümer einstellen, liegt in der Natur der Sache, und es darf keinem verwehrt
sein, aus diese Irrthümer hinzuweisen, wie unbequem und verdrießlich es auch dem
Verfasser sein möge. ,Wenn sich Grimm darüber beschwert, so hat er Unrecht.
Denn einer legitimen, wenn anch kleinlichen Kritik darf man keine Empfindlichkeit
entgegenbringen. Aber tausendfältig Unrecht hat Herr Sanders, wenn er es seinem
Publicum so vorstellt, er habe durch die Aufzählung dieser Irrthümer, die in dem
Lexikon ungefähr einen so großen Umfang einnehmen, wie ein Sandkorn ans einer
Kegelkugel, die Charakteristik des ganzen Werks erschöpft. Wir haben uns beim
Schluß des ersten Theils dieses Wörterbuchs beklagt, daß Grimm überhaupt aus
diese Anklagen eingegangen ist, und daß er es auf eine Weise gethan hat, die seine
Gereiztheit an den Tag legt. Aber die Presse hat allerdings die Pflicht, diesen
litterarischen Sanscnlottismus gegen einen Mann wie Grimm aus das entschiedenste
und rücksichtsloseste zu verdammen.

Zu Schillers Spaziergang. Man liest in diesem unvergleichlichen Gedicht
ohne Anstand bis zu der Stelle, in der die Macht des Menschen über die Natur
in unvergänglichen Versen gefeiert wird:


Zischend fliegt in den Baum" die Axt, es erseufzt die Dryade; -
Hoch von des Kcrgcö Haupt stürzt sich die donnernde Last.
Ann dem FelLbruch wiegt sich der Stein, vom Hebel beflügelt,
In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab.

(Ausg. v. 185.7. I.. S. 324, Z. 12 -- 9 v. u.) Die Ordnung der Natur
ist umgekehrt: wie der festgewurzelte Baum von seiner Höhe herabstürzt, so reißt
sich auch der Stein von seinem uralten Sitze los und strebt zur Höhe wie ans Flü¬
geln, -- die ihm der Hebel leiht, während der Mensch an seiner Statt in die Tiefe
hinabtaucht. "Wiegt" könnte hier an sich sehr passend den Augenblick bezeichnen,
da die Gewalt des Hebels noch.mit der Schwerkraft ringt, die den Block in die Tiefe
hinabzieht, so daß dieser in schaukelnder Bewegung schwankt. Aber wurde denn
(um vou dem seltsamen: Ans dem Felsbrnch wiegt sich -- uicht zu sprechen), der
Stein wol darum "beflügelt", um sich schwebend über dem Abgrund zu erhalten.


religiös oder religiös sagen muß u. s. w. Ferner was die verschiedenen üblichen
Fremdwörter heißen und wie man auf correcte Weise neue Ableitungen und Zu¬
sammensetzungen zu bilde» hat, ein solches Lexikon ist ein tiefgefühltes Bedürfniß
und die Gebrüder Grimm haben keineswegs die Absicht gehabt, diesem Bedürfniß ab¬
zuhelfen, sie haben sich vielmehr den Zweck gestellt, den Sprachschatz der drei letzten
Jahrhunderte in einem Gesammtbilde der Nation zu veranschaulichen. Wenn sich
also Herr Sanders durch das Grimmsche Wörterbuch nicht abhalten ließ, seinerseits
ein ähnliches Unternehmen zu beginnen, und wenn er die Gründe zu diesem Unter¬
nehmen, die abweichenden Gesichtspunkte, die ihn bestimmt hatten, und dergleichen
dem Publicum in der Form einer Kritik vorlegte, so war dagegen durchaus nichts
einzuwenden. Aber wenn man eine Fehde unternehmen will, so muß man sich erst
den Gegner ansehen, mit dem man es zu,thun hat. Der Verfasser hat alle Ursache,
zu einer Erscheinung, wie Jacob Grimm, mit Ehrfurcht emporzublicken. Wenn er
in dieser Broschüre mit ihm umgeht, wie mit einem Schulknaben, so fällt das
Lächerliche nicht ans seinen Gegner, sondern aus ihn selbst zurück. Daß bei einem
Werk vou so kolossalen Dimensionen, wie das Grimmsche Wörterbuch, sich zahlreiche
Irrthümer einstellen, liegt in der Natur der Sache, und es darf keinem verwehrt
sein, aus diese Irrthümer hinzuweisen, wie unbequem und verdrießlich es auch dem
Verfasser sein möge. ,Wenn sich Grimm darüber beschwert, so hat er Unrecht.
Denn einer legitimen, wenn anch kleinlichen Kritik darf man keine Empfindlichkeit
entgegenbringen. Aber tausendfältig Unrecht hat Herr Sanders, wenn er es seinem
Publicum so vorstellt, er habe durch die Aufzählung dieser Irrthümer, die in dem
Lexikon ungefähr einen so großen Umfang einnehmen, wie ein Sandkorn ans einer
Kegelkugel, die Charakteristik des ganzen Werks erschöpft. Wir haben uns beim
Schluß des ersten Theils dieses Wörterbuchs beklagt, daß Grimm überhaupt aus
diese Anklagen eingegangen ist, und daß er es auf eine Weise gethan hat, die seine
Gereiztheit an den Tag legt. Aber die Presse hat allerdings die Pflicht, diesen
litterarischen Sanscnlottismus gegen einen Mann wie Grimm aus das entschiedenste
und rücksichtsloseste zu verdammen.

Zu Schillers Spaziergang. Man liest in diesem unvergleichlichen Gedicht
ohne Anstand bis zu der Stelle, in der die Macht des Menschen über die Natur
in unvergänglichen Versen gefeiert wird:


Zischend fliegt in den Baum» die Axt, es erseufzt die Dryade; -
Hoch von des Kcrgcö Haupt stürzt sich die donnernde Last.
Ann dem FelLbruch wiegt sich der Stein, vom Hebel beflügelt,
In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab.

(Ausg. v. 185.7. I.. S. 324, Z. 12 — 9 v. u.) Die Ordnung der Natur
ist umgekehrt: wie der festgewurzelte Baum von seiner Höhe herabstürzt, so reißt
sich auch der Stein von seinem uralten Sitze los und strebt zur Höhe wie ans Flü¬
geln, — die ihm der Hebel leiht, während der Mensch an seiner Statt in die Tiefe
hinabtaucht. „Wiegt" könnte hier an sich sehr passend den Augenblick bezeichnen,
da die Gewalt des Hebels noch.mit der Schwerkraft ringt, die den Block in die Tiefe
hinabzieht, so daß dieser in schaukelnder Bewegung schwankt. Aber wurde denn
(um vou dem seltsamen: Ans dem Felsbrnch wiegt sich — uicht zu sprechen), der
Stein wol darum „beflügelt", um sich schwebend über dem Abgrund zu erhalten.


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[0207] religiös oder religiös sagen muß u. s. w. Ferner was die verschiedenen üblichen Fremdwörter heißen und wie man auf correcte Weise neue Ableitungen und Zu¬ sammensetzungen zu bilde» hat, ein solches Lexikon ist ein tiefgefühltes Bedürfniß und die Gebrüder Grimm haben keineswegs die Absicht gehabt, diesem Bedürfniß ab¬ zuhelfen, sie haben sich vielmehr den Zweck gestellt, den Sprachschatz der drei letzten Jahrhunderte in einem Gesammtbilde der Nation zu veranschaulichen. Wenn sich also Herr Sanders durch das Grimmsche Wörterbuch nicht abhalten ließ, seinerseits ein ähnliches Unternehmen zu beginnen, und wenn er die Gründe zu diesem Unter¬ nehmen, die abweichenden Gesichtspunkte, die ihn bestimmt hatten, und dergleichen dem Publicum in der Form einer Kritik vorlegte, so war dagegen durchaus nichts einzuwenden. Aber wenn man eine Fehde unternehmen will, so muß man sich erst den Gegner ansehen, mit dem man es zu,thun hat. Der Verfasser hat alle Ursache, zu einer Erscheinung, wie Jacob Grimm, mit Ehrfurcht emporzublicken. Wenn er in dieser Broschüre mit ihm umgeht, wie mit einem Schulknaben, so fällt das Lächerliche nicht ans seinen Gegner, sondern aus ihn selbst zurück. Daß bei einem Werk vou so kolossalen Dimensionen, wie das Grimmsche Wörterbuch, sich zahlreiche Irrthümer einstellen, liegt in der Natur der Sache, und es darf keinem verwehrt sein, aus diese Irrthümer hinzuweisen, wie unbequem und verdrießlich es auch dem Verfasser sein möge. ,Wenn sich Grimm darüber beschwert, so hat er Unrecht. Denn einer legitimen, wenn anch kleinlichen Kritik darf man keine Empfindlichkeit entgegenbringen. Aber tausendfältig Unrecht hat Herr Sanders, wenn er es seinem Publicum so vorstellt, er habe durch die Aufzählung dieser Irrthümer, die in dem Lexikon ungefähr einen so großen Umfang einnehmen, wie ein Sandkorn ans einer Kegelkugel, die Charakteristik des ganzen Werks erschöpft. Wir haben uns beim Schluß des ersten Theils dieses Wörterbuchs beklagt, daß Grimm überhaupt aus diese Anklagen eingegangen ist, und daß er es auf eine Weise gethan hat, die seine Gereiztheit an den Tag legt. Aber die Presse hat allerdings die Pflicht, diesen litterarischen Sanscnlottismus gegen einen Mann wie Grimm aus das entschiedenste und rücksichtsloseste zu verdammen. Zu Schillers Spaziergang. Man liest in diesem unvergleichlichen Gedicht ohne Anstand bis zu der Stelle, in der die Macht des Menschen über die Natur in unvergänglichen Versen gefeiert wird: Zischend fliegt in den Baum» die Axt, es erseufzt die Dryade; - Hoch von des Kcrgcö Haupt stürzt sich die donnernde Last. Ann dem FelLbruch wiegt sich der Stein, vom Hebel beflügelt, In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab. (Ausg. v. 185.7. I.. S. 324, Z. 12 — 9 v. u.) Die Ordnung der Natur ist umgekehrt: wie der festgewurzelte Baum von seiner Höhe herabstürzt, so reißt sich auch der Stein von seinem uralten Sitze los und strebt zur Höhe wie ans Flü¬ geln, — die ihm der Hebel leiht, während der Mensch an seiner Statt in die Tiefe hinabtaucht. „Wiegt" könnte hier an sich sehr passend den Augenblick bezeichnen, da die Gewalt des Hebels noch.mit der Schwerkraft ringt, die den Block in die Tiefe hinabzieht, so daß dieser in schaukelnder Bewegung schwankt. Aber wurde denn (um vou dem seltsamen: Ans dem Felsbrnch wiegt sich — uicht zu sprechen), der Stein wol darum „beflügelt", um sich schwebend über dem Abgrund zu erhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/207>, abgerufen am 29.12.2024.