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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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das was im Menschen empfindet und fühlt, der Sitz seiner Macht war, so
wurde ihm, der alles persönlich auffassenden Weise der Griechen gemäß, die
Personification der Seele als ein junges Mädchen mit Schmetterlingsflügeln
(weil Psyche die Seele und den Schmetterling bedeutet) gegenübergestellt. Alle
Beziehungen, in welchen man die Seele des Menschen der Liebe und der
als Gottheit gedachten Kraft zu empfinden gegenüber nur denken mag, hat die
griechische Kunst in der Vereinigung von Amor und Psyche ebenso fein als
schön darzustellen gewußt. Allein sowie aus dem einen Amor eine zahllose
Schar von Amoren wurde, so gesellte mau diesen nun auch .ebensoviel"
Psychen bei; und wie die Vorstellungen des Staats, der Familie, überhaupt
aller Bedingungen menschlicher Eristenz auf die Götter übertragen wurden oder
vielmehr in den Göttern ihren höchsten Ausdruck fanden, so sehen wir nun eine
Familie oder Gesellschaft von Amoren und Psychen, in denen sich das mensch¬
liche Leben in allen Erscheinungen wiederspiegelt, je nach dem Geist der
Zeit und der Auffassung des Künstlers bald ernst und tief, bald heiter und
frivol.

In dem letzten Sinne zeigen uns nun diese sechs Gemälde eine Gesell¬
schaft von Amoren und Psychen, welche sieh mit völliger Unbefangenheit einem
heiteren Lebensgenuß ergeben, der mit allen Reizen eines raffinirten Lurus
versehen ist, wie ihn die Zeit unter den römischen Kaisern kannte. Drei Ge¬
mälde zeigen uns die lustige Gesellschaft unter einem aufgespannten Zeltdach
beim frohen Mahl; die Speisen sind abgetragen auf dem ersten, auf einem
Tischchen stehen die Trinkgeschirre, ein Amor bläst die Doppelflöte, einer
trinkt, der dritte schlägt fröhlich ein Schnippchens ein zärtliches Paar schickt
sich zum Küssen an; dienende Amoren und Psychen stehen umher. ' Auf dem
zwntcn tanzt vor den gespannt zuschauenden Tischgästen eine Psyche im durch¬
sichtigen Gewände mit Castagnetten einen Tanz, zu dem ein Amor auf der
Querflöte bläst; auf dem dritten ist ein aufgeschürzter Amor mit einer spitzen
Amphora im Arm der Tänzer nach dem Schall der Leier, die ein anderer
Amor spielt; ein dritter klatscht Beifall, das zärtliche Paar vergißt den Tän¬
zer. So dürfen wir uns die Zerstreuungen denken, deren sich beim Mahl
wohlhabende und lebenslustige Leute derzeit erfreuten.

Feiner und geistiger sind die Unterhaltungen, welchen wir auf dein anderen
Gemälde begegnen. Auf dem einen ist eine Psyche, im langen Gewände und
festlich geschmückt, dargestellt wie sie sich als Virtuosin auf einer vielfältigen
Leier hören läßt, während eine mehr untergeordnete sie mit den Cymbeln
bekleidet; mehre Psychen und ein Amor als Preisrichter oder Mitbewerber um
den Preis sind zugegen. Auf dem entsprechenden Bild bläst Amor, ebenfalls
im langen Gewände der Künstler, mit Eifer die Doppelflöte, neben ihm steht,
offenbar als Nebenbuhlerin, Psyche mit einer Flöte, umher die übrige schon


das was im Menschen empfindet und fühlt, der Sitz seiner Macht war, so
wurde ihm, der alles persönlich auffassenden Weise der Griechen gemäß, die
Personification der Seele als ein junges Mädchen mit Schmetterlingsflügeln
(weil Psyche die Seele und den Schmetterling bedeutet) gegenübergestellt. Alle
Beziehungen, in welchen man die Seele des Menschen der Liebe und der
als Gottheit gedachten Kraft zu empfinden gegenüber nur denken mag, hat die
griechische Kunst in der Vereinigung von Amor und Psyche ebenso fein als
schön darzustellen gewußt. Allein sowie aus dem einen Amor eine zahllose
Schar von Amoren wurde, so gesellte mau diesen nun auch .ebensoviel«
Psychen bei; und wie die Vorstellungen des Staats, der Familie, überhaupt
aller Bedingungen menschlicher Eristenz auf die Götter übertragen wurden oder
vielmehr in den Göttern ihren höchsten Ausdruck fanden, so sehen wir nun eine
Familie oder Gesellschaft von Amoren und Psychen, in denen sich das mensch¬
liche Leben in allen Erscheinungen wiederspiegelt, je nach dem Geist der
Zeit und der Auffassung des Künstlers bald ernst und tief, bald heiter und
frivol.

In dem letzten Sinne zeigen uns nun diese sechs Gemälde eine Gesell¬
schaft von Amoren und Psychen, welche sieh mit völliger Unbefangenheit einem
heiteren Lebensgenuß ergeben, der mit allen Reizen eines raffinirten Lurus
versehen ist, wie ihn die Zeit unter den römischen Kaisern kannte. Drei Ge¬
mälde zeigen uns die lustige Gesellschaft unter einem aufgespannten Zeltdach
beim frohen Mahl; die Speisen sind abgetragen auf dem ersten, auf einem
Tischchen stehen die Trinkgeschirre, ein Amor bläst die Doppelflöte, einer
trinkt, der dritte schlägt fröhlich ein Schnippchens ein zärtliches Paar schickt
sich zum Küssen an; dienende Amoren und Psychen stehen umher. ' Auf dem
zwntcn tanzt vor den gespannt zuschauenden Tischgästen eine Psyche im durch¬
sichtigen Gewände mit Castagnetten einen Tanz, zu dem ein Amor auf der
Querflöte bläst; auf dem dritten ist ein aufgeschürzter Amor mit einer spitzen
Amphora im Arm der Tänzer nach dem Schall der Leier, die ein anderer
Amor spielt; ein dritter klatscht Beifall, das zärtliche Paar vergißt den Tän¬
zer. So dürfen wir uns die Zerstreuungen denken, deren sich beim Mahl
wohlhabende und lebenslustige Leute derzeit erfreuten.

Feiner und geistiger sind die Unterhaltungen, welchen wir auf dein anderen
Gemälde begegnen. Auf dem einen ist eine Psyche, im langen Gewände und
festlich geschmückt, dargestellt wie sie sich als Virtuosin auf einer vielfältigen
Leier hören läßt, während eine mehr untergeordnete sie mit den Cymbeln
bekleidet; mehre Psychen und ein Amor als Preisrichter oder Mitbewerber um
den Preis sind zugegen. Auf dem entsprechenden Bild bläst Amor, ebenfalls
im langen Gewände der Künstler, mit Eifer die Doppelflöte, neben ihm steht,
offenbar als Nebenbuhlerin, Psyche mit einer Flöte, umher die übrige schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/191>, abgerufen am 24.08.2024.