Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

durch den Clinton geht, scheidet zwei nicht nur in Sprache, sondern in Cha¬
rakter, Bildung, Lebensart und in ihren politischen Anschauungen ganz ver¬
schiedene Volksstämme, unten Burgunder, oben Allemannen oder, wie die Sage
meldet, versprengte Gothen aus dem Reiche Theodorichs und Totilas.

Die Natnrforschergesellschast war der erste schweizerische Verein, der es
wagte, in Wallis vorzudringen. Die Walliser hatten aber ihre gelehrten
Miteidgenossen so herzlich aufgenommen, und ihnen die Merkwürdigkeiten ihres
Landes in den Thälern und auf den Bergen, in Küche und Keller so bereit¬
willig gezeigt, daß die eidgenössischen Violinen, Bratschen und Contrcbässe das
folgende Jahr es ebenfalls wagten, über die Gemmi und durch das Felsenthor
von Se. Maurice nach Sitten aufzubrechen. Um bei den Gästen Ehre ein¬
zulegen waren die für das große und kleine Concert bestimmten Chöre, Sym¬
phonien und Ouvertüren schon viele Wochen vorher eingeübt worden. In
Sitten, in Martinach, in Monther wurde vor dem schönen und vor dem starken
Geschlechte mit Anstrengung musieirt und gesungen, als in der ersten Juliwoche
Methfessel aus Bern und Richard Wagner aus Zürich eintrafen, Am das
Commando der eidgenössischen musikalischen Armee zu übernehmen. Richard
Wagner war bestimmt, eine Beethovensche Symphonie zu dirigiren; er fand
aber bei seiner Ankunft in Sitten das Theater freilich zum Ballsal hergerichtet
und Triumphbogen und Ehrenpforten zum Empfange der Gäste gebaut; da¬
gegen sollte die alte, im byzantinischen Stile gebaute Kirche als Concertsal
dienen, und als der Maestro nach dem Orchester fragte, fand er erst einzelne
zerstreute Elemente desselben beisammen. Sei es, daß er bei diesen mißlichen
Aussichten an dem Gelingen des Unternehmens zweifelte, sei es, daß andere
Gründe ihn verstimmten, genug, er reiste plötzlich wieder ab und überließ es
seinem College" Methfessel, die bald von allen Seiten anrückenden Sänger
und Musiker zu einem homogenen Ganzen zusammenzustimmen.

Montag, Juli, war die Probe des großen Concertes, in welchem laut
Statuten nur größere classische Werke vor sämmtlkhen anwesenden Mitgliedern
der Musikgesellschaft aufgeführt werden. Dieses Jahr sollten Neukomms Hymne
an die Nacht, Mendelsohns Lobgesang und.Beethovens Symphonie in ^dur
zur Aufführung kommen. Die Probe dieser aus allen Richtungen der Wind¬
rose zusammengekommenen Musiker ließ nicht viel Gutes erwarten; um so
überraschter war man, als die Aufführung des folgenden Tages über Erwarten
gelang. Es ist hier nicht der Ort, an eine solche Production den Maßstab
der strengen Kritik anzulegen; wir suchen die Wichtigkeit mehr in dem cultur¬
historischen Moment, das die Aufführung in sich bergen kann, und dies möchte
im gegenwärtigen Falle nicht gering sein. Seit der Monte Rosa steht, und
die Rhone ihre grünen Wasser von der Furka in den Lemansee hinunterwälzt,
war es das erste Mal, daß dieses Land Beethovensche und Mendelsohnsche


durch den Clinton geht, scheidet zwei nicht nur in Sprache, sondern in Cha¬
rakter, Bildung, Lebensart und in ihren politischen Anschauungen ganz ver¬
schiedene Volksstämme, unten Burgunder, oben Allemannen oder, wie die Sage
meldet, versprengte Gothen aus dem Reiche Theodorichs und Totilas.

Die Natnrforschergesellschast war der erste schweizerische Verein, der es
wagte, in Wallis vorzudringen. Die Walliser hatten aber ihre gelehrten
Miteidgenossen so herzlich aufgenommen, und ihnen die Merkwürdigkeiten ihres
Landes in den Thälern und auf den Bergen, in Küche und Keller so bereit¬
willig gezeigt, daß die eidgenössischen Violinen, Bratschen und Contrcbässe das
folgende Jahr es ebenfalls wagten, über die Gemmi und durch das Felsenthor
von Se. Maurice nach Sitten aufzubrechen. Um bei den Gästen Ehre ein¬
zulegen waren die für das große und kleine Concert bestimmten Chöre, Sym¬
phonien und Ouvertüren schon viele Wochen vorher eingeübt worden. In
Sitten, in Martinach, in Monther wurde vor dem schönen und vor dem starken
Geschlechte mit Anstrengung musieirt und gesungen, als in der ersten Juliwoche
Methfessel aus Bern und Richard Wagner aus Zürich eintrafen, Am das
Commando der eidgenössischen musikalischen Armee zu übernehmen. Richard
Wagner war bestimmt, eine Beethovensche Symphonie zu dirigiren; er fand
aber bei seiner Ankunft in Sitten das Theater freilich zum Ballsal hergerichtet
und Triumphbogen und Ehrenpforten zum Empfange der Gäste gebaut; da¬
gegen sollte die alte, im byzantinischen Stile gebaute Kirche als Concertsal
dienen, und als der Maestro nach dem Orchester fragte, fand er erst einzelne
zerstreute Elemente desselben beisammen. Sei es, daß er bei diesen mißlichen
Aussichten an dem Gelingen des Unternehmens zweifelte, sei es, daß andere
Gründe ihn verstimmten, genug, er reiste plötzlich wieder ab und überließ es
seinem College» Methfessel, die bald von allen Seiten anrückenden Sänger
und Musiker zu einem homogenen Ganzen zusammenzustimmen.

Montag, Juli, war die Probe des großen Concertes, in welchem laut
Statuten nur größere classische Werke vor sämmtlkhen anwesenden Mitgliedern
der Musikgesellschaft aufgeführt werden. Dieses Jahr sollten Neukomms Hymne
an die Nacht, Mendelsohns Lobgesang und.Beethovens Symphonie in ^dur
zur Aufführung kommen. Die Probe dieser aus allen Richtungen der Wind¬
rose zusammengekommenen Musiker ließ nicht viel Gutes erwarten; um so
überraschter war man, als die Aufführung des folgenden Tages über Erwarten
gelang. Es ist hier nicht der Ort, an eine solche Production den Maßstab
der strengen Kritik anzulegen; wir suchen die Wichtigkeit mehr in dem cultur¬
historischen Moment, das die Aufführung in sich bergen kann, und dies möchte
im gegenwärtigen Falle nicht gering sein. Seit der Monte Rosa steht, und
die Rhone ihre grünen Wasser von der Furka in den Lemansee hinunterwälzt,
war es das erste Mal, daß dieses Land Beethovensche und Mendelsohnsche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98332"/>
          <p xml:id="ID_26" prev="#ID_25"> durch den Clinton geht, scheidet zwei nicht nur in Sprache, sondern in Cha¬<lb/>
rakter, Bildung, Lebensart und in ihren politischen Anschauungen ganz ver¬<lb/>
schiedene Volksstämme, unten Burgunder, oben Allemannen oder, wie die Sage<lb/>
meldet, versprengte Gothen aus dem Reiche Theodorichs und Totilas.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_27"> Die Natnrforschergesellschast war der erste schweizerische Verein, der es<lb/>
wagte, in Wallis vorzudringen. Die Walliser hatten aber ihre gelehrten<lb/>
Miteidgenossen so herzlich aufgenommen, und ihnen die Merkwürdigkeiten ihres<lb/>
Landes in den Thälern und auf den Bergen, in Küche und Keller so bereit¬<lb/>
willig gezeigt, daß die eidgenössischen Violinen, Bratschen und Contrcbässe das<lb/>
folgende Jahr es ebenfalls wagten, über die Gemmi und durch das Felsenthor<lb/>
von Se. Maurice nach Sitten aufzubrechen. Um bei den Gästen Ehre ein¬<lb/>
zulegen waren die für das große und kleine Concert bestimmten Chöre, Sym¬<lb/>
phonien und Ouvertüren schon viele Wochen vorher eingeübt worden. In<lb/>
Sitten, in Martinach, in Monther wurde vor dem schönen und vor dem starken<lb/>
Geschlechte mit Anstrengung musieirt und gesungen, als in der ersten Juliwoche<lb/>
Methfessel aus Bern und Richard Wagner aus Zürich eintrafen, Am das<lb/>
Commando der eidgenössischen musikalischen Armee zu übernehmen. Richard<lb/>
Wagner war bestimmt, eine Beethovensche Symphonie zu dirigiren; er fand<lb/>
aber bei seiner Ankunft in Sitten das Theater freilich zum Ballsal hergerichtet<lb/>
und Triumphbogen und Ehrenpforten zum Empfange der Gäste gebaut; da¬<lb/>
gegen sollte die alte, im byzantinischen Stile gebaute Kirche als Concertsal<lb/>
dienen, und als der Maestro nach dem Orchester fragte, fand er erst einzelne<lb/>
zerstreute Elemente desselben beisammen. Sei es, daß er bei diesen mißlichen<lb/>
Aussichten an dem Gelingen des Unternehmens zweifelte, sei es, daß andere<lb/>
Gründe ihn verstimmten, genug, er reiste plötzlich wieder ab und überließ es<lb/>
seinem College» Methfessel, die bald von allen Seiten anrückenden Sänger<lb/>
und Musiker zu einem homogenen Ganzen zusammenzustimmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28" next="#ID_29"> Montag, Juli, war die Probe des großen Concertes, in welchem laut<lb/>
Statuten nur größere classische Werke vor sämmtlkhen anwesenden Mitgliedern<lb/>
der Musikgesellschaft aufgeführt werden. Dieses Jahr sollten Neukomms Hymne<lb/>
an die Nacht, Mendelsohns Lobgesang und.Beethovens Symphonie in ^dur<lb/>
zur Aufführung kommen. Die Probe dieser aus allen Richtungen der Wind¬<lb/>
rose zusammengekommenen Musiker ließ nicht viel Gutes erwarten; um so<lb/>
überraschter war man, als die Aufführung des folgenden Tages über Erwarten<lb/>
gelang. Es ist hier nicht der Ort, an eine solche Production den Maßstab<lb/>
der strengen Kritik anzulegen; wir suchen die Wichtigkeit mehr in dem cultur¬<lb/>
historischen Moment, das die Aufführung in sich bergen kann, und dies möchte<lb/>
im gegenwärtigen Falle nicht gering sein. Seit der Monte Rosa steht, und<lb/>
die Rhone ihre grünen Wasser von der Furka in den Lemansee hinunterwälzt,<lb/>
war es das erste Mal, daß dieses Land Beethovensche und Mendelsohnsche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] durch den Clinton geht, scheidet zwei nicht nur in Sprache, sondern in Cha¬ rakter, Bildung, Lebensart und in ihren politischen Anschauungen ganz ver¬ schiedene Volksstämme, unten Burgunder, oben Allemannen oder, wie die Sage meldet, versprengte Gothen aus dem Reiche Theodorichs und Totilas. Die Natnrforschergesellschast war der erste schweizerische Verein, der es wagte, in Wallis vorzudringen. Die Walliser hatten aber ihre gelehrten Miteidgenossen so herzlich aufgenommen, und ihnen die Merkwürdigkeiten ihres Landes in den Thälern und auf den Bergen, in Küche und Keller so bereit¬ willig gezeigt, daß die eidgenössischen Violinen, Bratschen und Contrcbässe das folgende Jahr es ebenfalls wagten, über die Gemmi und durch das Felsenthor von Se. Maurice nach Sitten aufzubrechen. Um bei den Gästen Ehre ein¬ zulegen waren die für das große und kleine Concert bestimmten Chöre, Sym¬ phonien und Ouvertüren schon viele Wochen vorher eingeübt worden. In Sitten, in Martinach, in Monther wurde vor dem schönen und vor dem starken Geschlechte mit Anstrengung musieirt und gesungen, als in der ersten Juliwoche Methfessel aus Bern und Richard Wagner aus Zürich eintrafen, Am das Commando der eidgenössischen musikalischen Armee zu übernehmen. Richard Wagner war bestimmt, eine Beethovensche Symphonie zu dirigiren; er fand aber bei seiner Ankunft in Sitten das Theater freilich zum Ballsal hergerichtet und Triumphbogen und Ehrenpforten zum Empfange der Gäste gebaut; da¬ gegen sollte die alte, im byzantinischen Stile gebaute Kirche als Concertsal dienen, und als der Maestro nach dem Orchester fragte, fand er erst einzelne zerstreute Elemente desselben beisammen. Sei es, daß er bei diesen mißlichen Aussichten an dem Gelingen des Unternehmens zweifelte, sei es, daß andere Gründe ihn verstimmten, genug, er reiste plötzlich wieder ab und überließ es seinem College» Methfessel, die bald von allen Seiten anrückenden Sänger und Musiker zu einem homogenen Ganzen zusammenzustimmen. Montag, Juli, war die Probe des großen Concertes, in welchem laut Statuten nur größere classische Werke vor sämmtlkhen anwesenden Mitgliedern der Musikgesellschaft aufgeführt werden. Dieses Jahr sollten Neukomms Hymne an die Nacht, Mendelsohns Lobgesang und.Beethovens Symphonie in ^dur zur Aufführung kommen. Die Probe dieser aus allen Richtungen der Wind¬ rose zusammengekommenen Musiker ließ nicht viel Gutes erwarten; um so überraschter war man, als die Aufführung des folgenden Tages über Erwarten gelang. Es ist hier nicht der Ort, an eine solche Production den Maßstab der strengen Kritik anzulegen; wir suchen die Wichtigkeit mehr in dem cultur¬ historischen Moment, das die Aufführung in sich bergen kann, und dies möchte im gegenwärtigen Falle nicht gering sein. Seit der Monte Rosa steht, und die Rhone ihre grünen Wasser von der Furka in den Lemansee hinunterwälzt, war es das erste Mal, daß dieses Land Beethovensche und Mendelsohnsche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/18>, abgerufen am 22.07.2024.