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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Stellungen befangen werden; er würde dem Ueberwiegen der Materie durch
geistige Kraft vorbeugen. Wenigstens Poesie sind diese Stoßseufzer nicht, z, B,:


"O Herr! ich glaub', es wär das Beste,
Du ließest mich in dieser Welt;
Heil' nur zuvor mein Leibgebrcste,
Und sorge auch für etwas Geld.
Ich weiß, es ist voll Sünd und Laster
Die Welt; jedoch ich bin einmal
Gewohnt, auf diesem Erdpechpflaster
Zu schlendern durch das Jammerthal,
Geniren wird das Weltgetrcibc
Mich nie; denn selten geh' ich aus;
In Schlafrock und Pantoffeln bleibe
Ich gern bei meiner Frau zu Haus."

Aber wenn ihn einmal der Kobold des tollen Humors erfaßt, dann er¬
kennen mir auch hier den alten Heine wieder, und verzeihen ihm gern seine
sah'eltworte, Lästerungen und Cynismen, wegen seiner treffenden und durch¬
greifenden Einfalle. So z. B. die Himmelfahrt, die Launen der Verliebten,
Erinnerungen aus Krähwinkels Schrcckenstagen u. f. w,


"Ihr Deutschen seid ein großes Volk,
So simpel und doch so begäbet!
Man sieht auch wahrhaftig nicht an,
Daß ihr das Pulver erfunden habet."

Die neuen französischen Zustände werden durch eine Dedication an den
Fürsten von Pückler-Muskau eingeleitet, den Heine als einen Geistesverwandten
begrüßt, und mit Recht. Denn trotz ihrer verschiedenen Stellung in der Ge¬
sellschaft war ihre Bildung eine sehr homogene und sie sind beide als die Väter
der jungdeutschen Literatur zu betrachten. -- Was die Korrespondenzen selbst
betrifft, so sind sie insofern ein sehr interessanter Beitrag zur Geschichte unsrer
Literatur, als sie uns die Art und Weise versinnlichen, wie die allgemeine
Zeitung auf die politische Bildung ihres Publicums einzuwirken bemüht ge¬
wesen ist. Daß dieses Blatt bei 'seinen außerordentlichen Mitteln und seiner
Verbreitung über die ganze Welt auch in der Form jene Eleganz und Zier¬
lichkeit anstrebt, die einem gebildeten und zum Theil vornehmen Publicum die
politischen Neuigkeiten annehmbar macht, finden wir ganz in der Ordnung:
aber sie geht in diesem Streben ohne Zweifel zu weit. Denn Heine ist nicht
der einzige ihrer Korrespondenten, dem es vor allem auf den Stil ankommt,
und dann erst auf den Inhalt, .soweit derselbe für das abstracte Stilbedürfniß
nicht völlig zu umgehen ist, sondern ein großer Theil ihrer Mitarbeiter -- und
wir glauben kaum zu weit zu gehen, wenn wir behaupten, daß ihre Arbeiten


Stellungen befangen werden; er würde dem Ueberwiegen der Materie durch
geistige Kraft vorbeugen. Wenigstens Poesie sind diese Stoßseufzer nicht, z, B,:


„O Herr! ich glaub', es wär das Beste,
Du ließest mich in dieser Welt;
Heil' nur zuvor mein Leibgebrcste,
Und sorge auch für etwas Geld.
Ich weiß, es ist voll Sünd und Laster
Die Welt; jedoch ich bin einmal
Gewohnt, auf diesem Erdpechpflaster
Zu schlendern durch das Jammerthal,
Geniren wird das Weltgetrcibc
Mich nie; denn selten geh' ich aus;
In Schlafrock und Pantoffeln bleibe
Ich gern bei meiner Frau zu Haus."

Aber wenn ihn einmal der Kobold des tollen Humors erfaßt, dann er¬
kennen mir auch hier den alten Heine wieder, und verzeihen ihm gern seine
sah'eltworte, Lästerungen und Cynismen, wegen seiner treffenden und durch¬
greifenden Einfalle. So z. B. die Himmelfahrt, die Launen der Verliebten,
Erinnerungen aus Krähwinkels Schrcckenstagen u. f. w,


„Ihr Deutschen seid ein großes Volk,
So simpel und doch so begäbet!
Man sieht auch wahrhaftig nicht an,
Daß ihr das Pulver erfunden habet."

Die neuen französischen Zustände werden durch eine Dedication an den
Fürsten von Pückler-Muskau eingeleitet, den Heine als einen Geistesverwandten
begrüßt, und mit Recht. Denn trotz ihrer verschiedenen Stellung in der Ge¬
sellschaft war ihre Bildung eine sehr homogene und sie sind beide als die Väter
der jungdeutschen Literatur zu betrachten. — Was die Korrespondenzen selbst
betrifft, so sind sie insofern ein sehr interessanter Beitrag zur Geschichte unsrer
Literatur, als sie uns die Art und Weise versinnlichen, wie die allgemeine
Zeitung auf die politische Bildung ihres Publicums einzuwirken bemüht ge¬
wesen ist. Daß dieses Blatt bei 'seinen außerordentlichen Mitteln und seiner
Verbreitung über die ganze Welt auch in der Form jene Eleganz und Zier¬
lichkeit anstrebt, die einem gebildeten und zum Theil vornehmen Publicum die
politischen Neuigkeiten annehmbar macht, finden wir ganz in der Ordnung:
aber sie geht in diesem Streben ohne Zweifel zu weit. Denn Heine ist nicht
der einzige ihrer Korrespondenten, dem es vor allem auf den Stil ankommt,
und dann erst auf den Inhalt, .soweit derselbe für das abstracte Stilbedürfniß
nicht völlig zu umgehen ist, sondern ein großer Theil ihrer Mitarbeiter — und
wir glauben kaum zu weit zu gehen, wenn wir behaupten, daß ihre Arbeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/174>, abgerufen am 24.08.2024.