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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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noch seine Gerippe aus dem Schlamm hervor, um zu zeigen, wieweit die
Versandung vorgeschritten ist. Man hat den Molo darum tiefer ins Wasser
hinausgeschoben; aber auch an ihn legt sich der Sand bereits von neuem an
und droht mit dem Schicksale des alten'Hafens. Dazu kommt noch, daß an
seinem Eingänge öfters Schiffe strandeten, liegen blieben und so der Versandung
neue Stützpunkte boten. Am meisten aber schadet seinem Bestände der 1T00 Schritt
lange Damm des westlich vom Kaufmannshafen angelegten Kriegshafens, wel¬
cher allerdings den größten Kriegsschiffen genügende Tiefe bietet. Ueber die¬
sem Zwecke hat das heutige Nußland rasch vergessen, daß Peter I. Reval zum
Hauptstapelplatz des finnischen Busens zu machen, daß er selbst den persischen.
Handel hierher zu leiten gedachte. Was gilt der bürgerliche Wohlstand ganzer
Provinzen, sobald es einen Kriegszwcck gilt!

Man muß gestehen, als Marinestation ist der Kriegshafen vortefflich.
Gegen Westen schützt ihn eine vorspringende Landzunge mit den daranhängeu-
den Karlsinseln; im Nordosten bricht Nargen die Wuth der Wellen. Daß
dort zugleich eine Befestigung aufgeworfen ward, ist schon erwähnt. Und weil
denn eben alles möglichst nach Petersburger, respective Kronstädter Thema gerichtet
sein muß, wurde weiter die sogenannte Kesselbatterie (Fort Kollin) mitten in
die Fluten hinausgelegt. Vom Festlande aber droht auf dem Kalkfelsen, etwa
60 Fuß über dem Meeresspiegel, die sogenannte Westbatterie. -- Damit waren je¬
doch die militärischen Schutzmaßregeln (wenigstens in den Friedensjahren) erschöpft.
Die Festungswerke der Stadt selbst blieben nicht nur in Verfall, sondern wur¬
den gegen die Landseite dem Niederreißen bedingungslos preisgegeben. Nur
einmal hatte man die Idee, im Nordosten und jenseits Katharinenthal den
hohen Strand mit casemattirten Kasernen zu besetzen. Man hat sie auch voll¬
kommen fertig gebaut und sie haben Millionen gekostet. Es sind stattliche,
palastartige Bauten. Als man aber die Soldaten hineinlegen wollte, fand
sich, daß sie gradezu unbewohnbar sind, weil man sie aus sogenanntem weißen
Wasscrflies gebaut hatte. Dieser zieht beständig Feuchtigkeit aus der Atmo¬
sphäre an und zerbröckelt natürlich nach kürzester Zeit. So stehen denn diese
Festungspaläste verlassen und leer, nur von Eulen und Fledermäusen bewohnt.
spärliches Gras überzieht die Fußböden ihrer Räume, über welche von Zeit
zu Zeit eine Wand oder Decke hereinbricht. Selbst eine Moschee der Muha-
medaner, welche auf der Flotte dienen, hat geräumt und aus dem unsichern
Gestein in die sicherern Räume einer hölzernen Privatsternwarte verlegt werden
müssen, die vom Eigenthümer verlassen war. Die Nevaler aber sehen in die¬
sem Verfalle gewissermaßen eine Nemesis für den Verfall, welchem 'man um
Petersburg ihr Handelsleben, um Kriegszwecke ihren Handelshafen opferte, und
erfanden für den verunglückten Bau den Spottnamen: "Ruinen von Palmyra."




noch seine Gerippe aus dem Schlamm hervor, um zu zeigen, wieweit die
Versandung vorgeschritten ist. Man hat den Molo darum tiefer ins Wasser
hinausgeschoben; aber auch an ihn legt sich der Sand bereits von neuem an
und droht mit dem Schicksale des alten'Hafens. Dazu kommt noch, daß an
seinem Eingänge öfters Schiffe strandeten, liegen blieben und so der Versandung
neue Stützpunkte boten. Am meisten aber schadet seinem Bestände der 1T00 Schritt
lange Damm des westlich vom Kaufmannshafen angelegten Kriegshafens, wel¬
cher allerdings den größten Kriegsschiffen genügende Tiefe bietet. Ueber die¬
sem Zwecke hat das heutige Nußland rasch vergessen, daß Peter I. Reval zum
Hauptstapelplatz des finnischen Busens zu machen, daß er selbst den persischen.
Handel hierher zu leiten gedachte. Was gilt der bürgerliche Wohlstand ganzer
Provinzen, sobald es einen Kriegszwcck gilt!

Man muß gestehen, als Marinestation ist der Kriegshafen vortefflich.
Gegen Westen schützt ihn eine vorspringende Landzunge mit den daranhängeu-
den Karlsinseln; im Nordosten bricht Nargen die Wuth der Wellen. Daß
dort zugleich eine Befestigung aufgeworfen ward, ist schon erwähnt. Und weil
denn eben alles möglichst nach Petersburger, respective Kronstädter Thema gerichtet
sein muß, wurde weiter die sogenannte Kesselbatterie (Fort Kollin) mitten in
die Fluten hinausgelegt. Vom Festlande aber droht auf dem Kalkfelsen, etwa
60 Fuß über dem Meeresspiegel, die sogenannte Westbatterie. — Damit waren je¬
doch die militärischen Schutzmaßregeln (wenigstens in den Friedensjahren) erschöpft.
Die Festungswerke der Stadt selbst blieben nicht nur in Verfall, sondern wur¬
den gegen die Landseite dem Niederreißen bedingungslos preisgegeben. Nur
einmal hatte man die Idee, im Nordosten und jenseits Katharinenthal den
hohen Strand mit casemattirten Kasernen zu besetzen. Man hat sie auch voll¬
kommen fertig gebaut und sie haben Millionen gekostet. Es sind stattliche,
palastartige Bauten. Als man aber die Soldaten hineinlegen wollte, fand
sich, daß sie gradezu unbewohnbar sind, weil man sie aus sogenanntem weißen
Wasscrflies gebaut hatte. Dieser zieht beständig Feuchtigkeit aus der Atmo¬
sphäre an und zerbröckelt natürlich nach kürzester Zeit. So stehen denn diese
Festungspaläste verlassen und leer, nur von Eulen und Fledermäusen bewohnt.
spärliches Gras überzieht die Fußböden ihrer Räume, über welche von Zeit
zu Zeit eine Wand oder Decke hereinbricht. Selbst eine Moschee der Muha-
medaner, welche auf der Flotte dienen, hat geräumt und aus dem unsichern
Gestein in die sicherern Räume einer hölzernen Privatsternwarte verlegt werden
müssen, die vom Eigenthümer verlassen war. Die Nevaler aber sehen in die¬
sem Verfalle gewissermaßen eine Nemesis für den Verfall, welchem 'man um
Petersburg ihr Handelsleben, um Kriegszwecke ihren Handelshafen opferte, und
erfanden für den verunglückten Bau den Spottnamen: „Ruinen von Palmyra."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/141>, abgerufen am 22.07.2024.