Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.Feind kann schwerlich jede Polizeiverordnung respectiren, besonders wenn, wie Doch dies nur beiläufig. Wir sind weit entfernt, überhaupt die strategische Reval sah den Feind schon oft durch seine Straßen toben, obgleich es Feind kann schwerlich jede Polizeiverordnung respectiren, besonders wenn, wie Doch dies nur beiläufig. Wir sind weit entfernt, überhaupt die strategische Reval sah den Feind schon oft durch seine Straßen toben, obgleich es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98444"/> <p xml:id="ID_377" prev="#ID_376"> Feind kann schwerlich jede Polizeiverordnung respectiren, besonders wenn, wie<lb/> es mit Nargen der Fall, eine Insel nicht nur den Zugang zum Hafen eines<lb/> starkbefestigten Marineetablissements beherrscht, sondern auch an ihrer dem Fest¬<lb/> lande zugewendeten Seite mit Schanzen und Batterieständcn ausgerüstet ist.<lb/> Freilich wurde Nargen trotzdem von den Russen nicht vertheidigt. Aber diese<lb/> Schuld ist den „britischen Barbaren" nicht aufzubürden. Auch erscheint nun¬<lb/> mehr die Besetzung der Insel Nargen — in nordwestlicher Richtung etwa<lb/> 3 Meilen von Neval entfernt — keine so ganz kopf - und gedankenlose That,<lb/> als man sie in verschiedenen Blättern schildert. Der directe Angriff aus Reval<lb/> ward damit wesentlich vorbereitet und die gefällten Waldstücken sind keineswegs<lb/> bedeutungslos, falls etwa während des Kampfes um den Kriegshafen feindliche<lb/> Schiffe aus Sweaborg hervorbrechen möchten, um den Angreifern in den Rücken<lb/> zu fallen und'die Insel zum Stützpunkt ihrer Operationen zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_378"> Doch dies nur beiläufig. Wir sind weit entfernt, überhaupt die strategische<lb/> Wichtigkeit einer Operation gegen Neval ins Auge zu fassen, ja selbst nur den<lb/> Ort mit besonderer Rücklicht auf seine fortificatorische Wichtigkeit vorzuführen.<lb/> Wir kennen ihn nur im tiefsten Frieden. Noch dachte damals kein Mensch<lb/> daran, dem Zaren seine Ostseeküsten beschädigen zu wollen. Vielmehr hatte<lb/> England mit dem Londoner Protokoll über die dänische Thronfolge am eifrigsten<lb/> daran gearbeitet, dem Hause Holstein-Gottorp^Romanow die ganze Ostsee erb¬<lb/> eigenthümlich als Binnensee zu sichern. Ueberdies sind es ja auch heute nicht<lb/> die „granitnen Quadern" — welche, nebenbei gesagt, in und um Reval aus<lb/> leicht verwitternden Sandstein bestehen — wofür sich das große Publicum<lb/> interessirt, sondern das Menschenleben ist es, welches sich dahinter bewegt, seil<lb/> Jahrhunderten dort einen Sammelpunkt für den baltischen Norden bildete und<lb/> nun schuldlos den Kriegsschrecken verfällt, die von der Petersburger Politik in<lb/> beispiellosem Uebermuthe gegen ganz Europa herausgefordert wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_379" next="#ID_380"> Reval sah den Feind schon oft durch seine Straßen toben, obgleich es<lb/> noch keine alte Stadt zu nennen. Denn was sind sechs Jahrhunderte? Vom<lb/> Dänenkönig Waldemar II., der auch Narva gründete, ists zu Anfang des<lb/> 13. Jahrhunderts gebaut worden und genannt nach dem dänischen Worte<lb/> Nesseln d. i. Riff. Die Letten, welche damals unter den deutschen Schwert¬<lb/> rittern noch ein streitbares Volk waren, bezeichneten und bezeichnen es als<lb/> Dahin Plius d. i. die Stadt der Dänen, esthnisch heißt es Tallina, und die<lb/> Russen, welche es schon früh einmal erobernd verwüsteten, hinterließen dem<lb/> Trümmerhaufen den Namen Koliwan. Da noch heute all diese Völkerschaften<lb/> hier verkehren, so sind auch all diese Namen noch im Gebrauch. — Man findet<lb/> eS im Anblicke des isolirt und schroffaufstesgenden Dombergeö, von welchem<lb/> die Bürgerstraßen zum Strande hinabfließen, ganz natürlich, daß hier schon<lb/> vor Nepals Gründung eine feste, weilhinschauende Burg der Esthen gethront</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
Feind kann schwerlich jede Polizeiverordnung respectiren, besonders wenn, wie
es mit Nargen der Fall, eine Insel nicht nur den Zugang zum Hafen eines
starkbefestigten Marineetablissements beherrscht, sondern auch an ihrer dem Fest¬
lande zugewendeten Seite mit Schanzen und Batterieständcn ausgerüstet ist.
Freilich wurde Nargen trotzdem von den Russen nicht vertheidigt. Aber diese
Schuld ist den „britischen Barbaren" nicht aufzubürden. Auch erscheint nun¬
mehr die Besetzung der Insel Nargen — in nordwestlicher Richtung etwa
3 Meilen von Neval entfernt — keine so ganz kopf - und gedankenlose That,
als man sie in verschiedenen Blättern schildert. Der directe Angriff aus Reval
ward damit wesentlich vorbereitet und die gefällten Waldstücken sind keineswegs
bedeutungslos, falls etwa während des Kampfes um den Kriegshafen feindliche
Schiffe aus Sweaborg hervorbrechen möchten, um den Angreifern in den Rücken
zu fallen und'die Insel zum Stützpunkt ihrer Operationen zu machen.
Doch dies nur beiläufig. Wir sind weit entfernt, überhaupt die strategische
Wichtigkeit einer Operation gegen Neval ins Auge zu fassen, ja selbst nur den
Ort mit besonderer Rücklicht auf seine fortificatorische Wichtigkeit vorzuführen.
Wir kennen ihn nur im tiefsten Frieden. Noch dachte damals kein Mensch
daran, dem Zaren seine Ostseeküsten beschädigen zu wollen. Vielmehr hatte
England mit dem Londoner Protokoll über die dänische Thronfolge am eifrigsten
daran gearbeitet, dem Hause Holstein-Gottorp^Romanow die ganze Ostsee erb¬
eigenthümlich als Binnensee zu sichern. Ueberdies sind es ja auch heute nicht
die „granitnen Quadern" — welche, nebenbei gesagt, in und um Reval aus
leicht verwitternden Sandstein bestehen — wofür sich das große Publicum
interessirt, sondern das Menschenleben ist es, welches sich dahinter bewegt, seil
Jahrhunderten dort einen Sammelpunkt für den baltischen Norden bildete und
nun schuldlos den Kriegsschrecken verfällt, die von der Petersburger Politik in
beispiellosem Uebermuthe gegen ganz Europa herausgefordert wurden.
Reval sah den Feind schon oft durch seine Straßen toben, obgleich es
noch keine alte Stadt zu nennen. Denn was sind sechs Jahrhunderte? Vom
Dänenkönig Waldemar II., der auch Narva gründete, ists zu Anfang des
13. Jahrhunderts gebaut worden und genannt nach dem dänischen Worte
Nesseln d. i. Riff. Die Letten, welche damals unter den deutschen Schwert¬
rittern noch ein streitbares Volk waren, bezeichneten und bezeichnen es als
Dahin Plius d. i. die Stadt der Dänen, esthnisch heißt es Tallina, und die
Russen, welche es schon früh einmal erobernd verwüsteten, hinterließen dem
Trümmerhaufen den Namen Koliwan. Da noch heute all diese Völkerschaften
hier verkehren, so sind auch all diese Namen noch im Gebrauch. — Man findet
eS im Anblicke des isolirt und schroffaufstesgenden Dombergeö, von welchem
die Bürgerstraßen zum Strande hinabfließen, ganz natürlich, daß hier schon
vor Nepals Gründung eine feste, weilhinschauende Burg der Esthen gethront
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |