Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein humoristischer Gauner, der übrigens vollständig in der Hoffmannschen
Manier angelegt ist, erweist sich alö der einzig Verständige in diesem ganzen
Kunsttreiben. Mit nicht geringerem Leichtsinn wie mit den ästhetischen Begriffen
wird mit den sittlichen umgesprungen. Ein Bruder Liederlich, dem kein anderes
Verdienst zukommt, als das zweifelhafte der Gutmüthigkeit, gewinnt den
Preis. Die Moralisten und Vernunftmenschen werden beschämt. Aber'wer
nicht Tiecks übrige Werke kennt, und sich daran erinnert, daß in dieser Ironie
gegen allen Ernst des Lebens das gefährliche Princip der romantischen Schule
versteckt lag, empfindet in diesen heitern, anmuthigen und dem Anschein nach
unbefangenen Bildern die innere Unwahrheit nicht heraus. Erst wenn man
diese schone Sinnlichkeit zu analysiren anfängt, erkennt man die Unwahrheit der
Darstellung. Die Figuren sind nur um der Einfälle wegen da; sie haben
kein inneres Leben, keinen realen Boden. Trotz ihrer anscheinenden Modernität
schweben sie ebenso in der Luft, wie die Tendenzbilder in Tiecks früheren
Märchen.

Die.zweite Novelle, die Verlobung (1823) empfiehlt sich gleichfalls
durch eine heitere Stimmung und durch frische Farbe. Sie ist die dreisteste
Satire gegen die damals wiedererwachende Frömmelei, die man in Deutschland
gewagt hat. Wen es Wunder nimmt, daß grade Tieck, der sich doch in seinen
frühern Versuchen mit so feierlicher Salbung über die Religion hatte vernehmen
lassen, hier so ganz auf Seite der Weltkinder tritt, und unter dem Vorgeben,
die erheuchelte Frömmigkeit zu entlarven, das innere Wefen des Pharisäerthums
mit unerbittlicher Geißel trifft, der muß folgendes erwägen. Einmal hatten
grade damals die Pietisten den Freunden der Poesie großes Aergerniß gegeben;
ein Jahr vorher waren die falschen Wanderjahre von Pustkuchen erschienen, in
denen die heidnische, weltliche Gesinnung des Dichters von einem beschränkten
Christenthum aus verdammt wurde. Dieser frömmelnden Werkheiligkeit gegen¬
über konnte sich der Apostel der reinen Poesie wol versucht fühlen, die Freude
.am Leben selbst im einfachsten epikureischen Sinn zu rechtfertigen. Außerdem
war Tiecks Religiosität immer nur in der Phantasie gewesen, nicht im Herzen;
er hatte die Religion im poetischen Sinn vertheidigt, aber wo sie aus der
Poesie heraustreten und sich im Leben geltendmachen, ja wol gar die ironische
Freiheit des Dichters beeinträchtigen wollte, durfte er sie nicht gelten lassen;
grade wie Aristophanes hätte er sich wol unter Umständen als ein begeisterter
Apostel des Dionysos-Cult geberdet, wenn sich der Gott nur gefallen ließ, an
seinem eignen Fest als Hanswurst verspottet zu werden. Die auf Speculation,
Phantasie und Mystik gegründete poetische Religion der Romantiker war eine
ganz andere, als die praktischen Versuche des neuerwecklen christlichen Glaubens.
Dies kann nicht oft genug wiederholt werden, wenn man nicht fortwährend
in die ärgsten Mißverständnisse verfallen will.


Ein humoristischer Gauner, der übrigens vollständig in der Hoffmannschen
Manier angelegt ist, erweist sich alö der einzig Verständige in diesem ganzen
Kunsttreiben. Mit nicht geringerem Leichtsinn wie mit den ästhetischen Begriffen
wird mit den sittlichen umgesprungen. Ein Bruder Liederlich, dem kein anderes
Verdienst zukommt, als das zweifelhafte der Gutmüthigkeit, gewinnt den
Preis. Die Moralisten und Vernunftmenschen werden beschämt. Aber'wer
nicht Tiecks übrige Werke kennt, und sich daran erinnert, daß in dieser Ironie
gegen allen Ernst des Lebens das gefährliche Princip der romantischen Schule
versteckt lag, empfindet in diesen heitern, anmuthigen und dem Anschein nach
unbefangenen Bildern die innere Unwahrheit nicht heraus. Erst wenn man
diese schone Sinnlichkeit zu analysiren anfängt, erkennt man die Unwahrheit der
Darstellung. Die Figuren sind nur um der Einfälle wegen da; sie haben
kein inneres Leben, keinen realen Boden. Trotz ihrer anscheinenden Modernität
schweben sie ebenso in der Luft, wie die Tendenzbilder in Tiecks früheren
Märchen.

Die.zweite Novelle, die Verlobung (1823) empfiehlt sich gleichfalls
durch eine heitere Stimmung und durch frische Farbe. Sie ist die dreisteste
Satire gegen die damals wiedererwachende Frömmelei, die man in Deutschland
gewagt hat. Wen es Wunder nimmt, daß grade Tieck, der sich doch in seinen
frühern Versuchen mit so feierlicher Salbung über die Religion hatte vernehmen
lassen, hier so ganz auf Seite der Weltkinder tritt, und unter dem Vorgeben,
die erheuchelte Frömmigkeit zu entlarven, das innere Wefen des Pharisäerthums
mit unerbittlicher Geißel trifft, der muß folgendes erwägen. Einmal hatten
grade damals die Pietisten den Freunden der Poesie großes Aergerniß gegeben;
ein Jahr vorher waren die falschen Wanderjahre von Pustkuchen erschienen, in
denen die heidnische, weltliche Gesinnung des Dichters von einem beschränkten
Christenthum aus verdammt wurde. Dieser frömmelnden Werkheiligkeit gegen¬
über konnte sich der Apostel der reinen Poesie wol versucht fühlen, die Freude
.am Leben selbst im einfachsten epikureischen Sinn zu rechtfertigen. Außerdem
war Tiecks Religiosität immer nur in der Phantasie gewesen, nicht im Herzen;
er hatte die Religion im poetischen Sinn vertheidigt, aber wo sie aus der
Poesie heraustreten und sich im Leben geltendmachen, ja wol gar die ironische
Freiheit des Dichters beeinträchtigen wollte, durfte er sie nicht gelten lassen;
grade wie Aristophanes hätte er sich wol unter Umständen als ein begeisterter
Apostel des Dionysos-Cult geberdet, wenn sich der Gott nur gefallen ließ, an
seinem eignen Fest als Hanswurst verspottet zu werden. Die auf Speculation,
Phantasie und Mystik gegründete poetische Religion der Romantiker war eine
ganz andere, als die praktischen Versuche des neuerwecklen christlichen Glaubens.
Dies kann nicht oft genug wiederholt werden, wenn man nicht fortwährend
in die ärgsten Mißverständnisse verfallen will.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98423"/>
          <p xml:id="ID_309" prev="#ID_308"> Ein humoristischer Gauner, der übrigens vollständig in der Hoffmannschen<lb/>
Manier angelegt ist, erweist sich alö der einzig Verständige in diesem ganzen<lb/>
Kunsttreiben. Mit nicht geringerem Leichtsinn wie mit den ästhetischen Begriffen<lb/>
wird mit den sittlichen umgesprungen. Ein Bruder Liederlich, dem kein anderes<lb/>
Verdienst zukommt, als das zweifelhafte der Gutmüthigkeit, gewinnt den<lb/>
Preis. Die Moralisten und Vernunftmenschen werden beschämt. Aber'wer<lb/>
nicht Tiecks übrige Werke kennt, und sich daran erinnert, daß in dieser Ironie<lb/>
gegen allen Ernst des Lebens das gefährliche Princip der romantischen Schule<lb/>
versteckt lag, empfindet in diesen heitern, anmuthigen und dem Anschein nach<lb/>
unbefangenen Bildern die innere Unwahrheit nicht heraus. Erst wenn man<lb/>
diese schone Sinnlichkeit zu analysiren anfängt, erkennt man die Unwahrheit der<lb/>
Darstellung. Die Figuren sind nur um der Einfälle wegen da; sie haben<lb/>
kein inneres Leben, keinen realen Boden. Trotz ihrer anscheinenden Modernität<lb/>
schweben sie ebenso in der Luft, wie die Tendenzbilder in Tiecks früheren<lb/>
Märchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_310"> Die.zweite Novelle, die Verlobung (1823) empfiehlt sich gleichfalls<lb/>
durch eine heitere Stimmung und durch frische Farbe. Sie ist die dreisteste<lb/>
Satire gegen die damals wiedererwachende Frömmelei, die man in Deutschland<lb/>
gewagt hat. Wen es Wunder nimmt, daß grade Tieck, der sich doch in seinen<lb/>
frühern Versuchen mit so feierlicher Salbung über die Religion hatte vernehmen<lb/>
lassen, hier so ganz auf Seite der Weltkinder tritt, und unter dem Vorgeben,<lb/>
die erheuchelte Frömmigkeit zu entlarven, das innere Wefen des Pharisäerthums<lb/>
mit unerbittlicher Geißel trifft, der muß folgendes erwägen. Einmal hatten<lb/>
grade damals die Pietisten den Freunden der Poesie großes Aergerniß gegeben;<lb/>
ein Jahr vorher waren die falschen Wanderjahre von Pustkuchen erschienen, in<lb/>
denen die heidnische, weltliche Gesinnung des Dichters von einem beschränkten<lb/>
Christenthum aus verdammt wurde. Dieser frömmelnden Werkheiligkeit gegen¬<lb/>
über konnte sich der Apostel der reinen Poesie wol versucht fühlen, die Freude<lb/>
.am Leben selbst im einfachsten epikureischen Sinn zu rechtfertigen. Außerdem<lb/>
war Tiecks Religiosität immer nur in der Phantasie gewesen, nicht im Herzen;<lb/>
er hatte die Religion im poetischen Sinn vertheidigt, aber wo sie aus der<lb/>
Poesie heraustreten und sich im Leben geltendmachen, ja wol gar die ironische<lb/>
Freiheit des Dichters beeinträchtigen wollte, durfte er sie nicht gelten lassen;<lb/>
grade wie Aristophanes hätte er sich wol unter Umständen als ein begeisterter<lb/>
Apostel des Dionysos-Cult geberdet, wenn sich der Gott nur gefallen ließ, an<lb/>
seinem eignen Fest als Hanswurst verspottet zu werden. Die auf Speculation,<lb/>
Phantasie und Mystik gegründete poetische Religion der Romantiker war eine<lb/>
ganz andere, als die praktischen Versuche des neuerwecklen christlichen Glaubens.<lb/>
Dies kann nicht oft genug wiederholt werden, wenn man nicht fortwährend<lb/>
in die ärgsten Mißverständnisse verfallen will.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] Ein humoristischer Gauner, der übrigens vollständig in der Hoffmannschen Manier angelegt ist, erweist sich alö der einzig Verständige in diesem ganzen Kunsttreiben. Mit nicht geringerem Leichtsinn wie mit den ästhetischen Begriffen wird mit den sittlichen umgesprungen. Ein Bruder Liederlich, dem kein anderes Verdienst zukommt, als das zweifelhafte der Gutmüthigkeit, gewinnt den Preis. Die Moralisten und Vernunftmenschen werden beschämt. Aber'wer nicht Tiecks übrige Werke kennt, und sich daran erinnert, daß in dieser Ironie gegen allen Ernst des Lebens das gefährliche Princip der romantischen Schule versteckt lag, empfindet in diesen heitern, anmuthigen und dem Anschein nach unbefangenen Bildern die innere Unwahrheit nicht heraus. Erst wenn man diese schone Sinnlichkeit zu analysiren anfängt, erkennt man die Unwahrheit der Darstellung. Die Figuren sind nur um der Einfälle wegen da; sie haben kein inneres Leben, keinen realen Boden. Trotz ihrer anscheinenden Modernität schweben sie ebenso in der Luft, wie die Tendenzbilder in Tiecks früheren Märchen. Die.zweite Novelle, die Verlobung (1823) empfiehlt sich gleichfalls durch eine heitere Stimmung und durch frische Farbe. Sie ist die dreisteste Satire gegen die damals wiedererwachende Frömmelei, die man in Deutschland gewagt hat. Wen es Wunder nimmt, daß grade Tieck, der sich doch in seinen frühern Versuchen mit so feierlicher Salbung über die Religion hatte vernehmen lassen, hier so ganz auf Seite der Weltkinder tritt, und unter dem Vorgeben, die erheuchelte Frömmigkeit zu entlarven, das innere Wefen des Pharisäerthums mit unerbittlicher Geißel trifft, der muß folgendes erwägen. Einmal hatten grade damals die Pietisten den Freunden der Poesie großes Aergerniß gegeben; ein Jahr vorher waren die falschen Wanderjahre von Pustkuchen erschienen, in denen die heidnische, weltliche Gesinnung des Dichters von einem beschränkten Christenthum aus verdammt wurde. Dieser frömmelnden Werkheiligkeit gegen¬ über konnte sich der Apostel der reinen Poesie wol versucht fühlen, die Freude .am Leben selbst im einfachsten epikureischen Sinn zu rechtfertigen. Außerdem war Tiecks Religiosität immer nur in der Phantasie gewesen, nicht im Herzen; er hatte die Religion im poetischen Sinn vertheidigt, aber wo sie aus der Poesie heraustreten und sich im Leben geltendmachen, ja wol gar die ironische Freiheit des Dichters beeinträchtigen wollte, durfte er sie nicht gelten lassen; grade wie Aristophanes hätte er sich wol unter Umständen als ein begeisterter Apostel des Dionysos-Cult geberdet, wenn sich der Gott nur gefallen ließ, an seinem eignen Fest als Hanswurst verspottet zu werden. Die auf Speculation, Phantasie und Mystik gegründete poetische Religion der Romantiker war eine ganz andere, als die praktischen Versuche des neuerwecklen christlichen Glaubens. Dies kann nicht oft genug wiederholt werden, wenn man nicht fortwährend in die ärgsten Mißverständnisse verfallen will.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/109>, abgerufen am 24.08.2024.