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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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ster brennt unter den glühenden Strahlen, der Sand unter den Füßen ist heiß
und seine Temperatur dringt durch Stiefeln und Strümpfe -- dazu kein Luft¬
zug, das Laub an den Bäumen im Nergelben und Abtrocknen begriffen, ein
Labetrunk nur mit Hilfe von Eis aus den tiefsten Kellern zu erzeugen, und der
Abend, selbst die Nacht durch ein nur geringes Minus ans der Temperatur-
scala vom schwülen Mittag unterschieden.

Jedermann, der es irge-ut möglich machen kann, hat darum Konstantinopel
schon in der vergangenen Woche und in den ersten Tagen der laufenden geräumt, um
seinen Wohnsitz nach der Meerenge, "in den Bospor", wie man hier zu sagen
pflegt, nach Ortakoj, Arnautkoj, Therapia oder Bujukdere zu verlegen. Die beiden
letzteren Orte sind die gesuchtesten, weil sie vor den Unbilden des Sommers am
meisten schützen, was wiederum ein Resultat ihrer Lage ist. Sie kennen den
gewundenen, in Zickzack und Krümmungen sich biegenden Lauf der Meerenge.
Da, wo nach dem Pontus zu die letzte Krümmung in eine weite Bucht sich
ausliest, aus der europäischen Seite, liegen die beiden Dörfer Therapia und
Bujukdere. Ersteres dreht seine ganze Antlitzseite dem freien Meere zu, welches
durch den hier sich allerdings verengenden Hals des Kanals immer noch offen
genug hineinschaut. Es empfängt von dort aus die frischen Brisen an jedem
Abend und Morgen und beim Nordoststurm rollen wol einige versprengte Wogen
der auswärts tobenden See, mannigfach gebrochen zwar, aber immer noch
durch ihren Ungestüm die Herkunft kündend, schäumend und brausend an seinen
Strand. Bujukdere dagegen wird von diesen Winden und Wellen mehr an¬
gestreift, als daß Kühle und spritzender Gischt sein volles Gesicht berühren.
Daß die Diplomatie und höhere Soeietv nichtsdestoweniger sich mehrentheils
ihm, anstatt dem Nachbardorfe, zuwendet, ist mir darum als mindestens un-
motivirte Geschmacksrichtung erschienen.

An allen Festtagen, und denen rechnet man hier billigerweise den türkischen
Sonntag (Freitag) mit bei, bewegen sich ganze Scharen meistens auf dem
Bosporus in kleineren und größeren Kalks aus Pera, Toppana, dem eigent¬
lichen Stambul nach Bujukdere hinaus, um dort an den Freuden theilzunehmen,
welche eine privilegirte Classe der Gesellschaft ohne Unterschied der Tage dort
genießt. Gestern machte hierin eine Ausnahme, und es ereignete sich der um¬
gekehrte Fall, daß von Bujukdere aus bereits am Nachmittag kleine Kahnflvtten
und von Passagieren überladene Dampfschiffchen dem goldenen Horn entgegen¬
steuerten.

Es war die aus den 21. Juni fallende Nacht der Erleuchtung, welche diesen
magnetischen Einfluß übte. Die Feier steht mit dem Namasan in Verbindung,
und bezeichnet den Moment, in welchem der Großherr, welcher vor seinen Unter¬
thanen auch in religiöser Beziehung etwas voraushat, seine Fasten beendet
und in seinen Harem eine neue Gemahlin einführt. Um acht Uhr Abends


ster brennt unter den glühenden Strahlen, der Sand unter den Füßen ist heiß
und seine Temperatur dringt durch Stiefeln und Strümpfe — dazu kein Luft¬
zug, das Laub an den Bäumen im Nergelben und Abtrocknen begriffen, ein
Labetrunk nur mit Hilfe von Eis aus den tiefsten Kellern zu erzeugen, und der
Abend, selbst die Nacht durch ein nur geringes Minus ans der Temperatur-
scala vom schwülen Mittag unterschieden.

Jedermann, der es irge-ut möglich machen kann, hat darum Konstantinopel
schon in der vergangenen Woche und in den ersten Tagen der laufenden geräumt, um
seinen Wohnsitz nach der Meerenge, „in den Bospor", wie man hier zu sagen
pflegt, nach Ortakoj, Arnautkoj, Therapia oder Bujukdere zu verlegen. Die beiden
letzteren Orte sind die gesuchtesten, weil sie vor den Unbilden des Sommers am
meisten schützen, was wiederum ein Resultat ihrer Lage ist. Sie kennen den
gewundenen, in Zickzack und Krümmungen sich biegenden Lauf der Meerenge.
Da, wo nach dem Pontus zu die letzte Krümmung in eine weite Bucht sich
ausliest, aus der europäischen Seite, liegen die beiden Dörfer Therapia und
Bujukdere. Ersteres dreht seine ganze Antlitzseite dem freien Meere zu, welches
durch den hier sich allerdings verengenden Hals des Kanals immer noch offen
genug hineinschaut. Es empfängt von dort aus die frischen Brisen an jedem
Abend und Morgen und beim Nordoststurm rollen wol einige versprengte Wogen
der auswärts tobenden See, mannigfach gebrochen zwar, aber immer noch
durch ihren Ungestüm die Herkunft kündend, schäumend und brausend an seinen
Strand. Bujukdere dagegen wird von diesen Winden und Wellen mehr an¬
gestreift, als daß Kühle und spritzender Gischt sein volles Gesicht berühren.
Daß die Diplomatie und höhere Soeietv nichtsdestoweniger sich mehrentheils
ihm, anstatt dem Nachbardorfe, zuwendet, ist mir darum als mindestens un-
motivirte Geschmacksrichtung erschienen.

An allen Festtagen, und denen rechnet man hier billigerweise den türkischen
Sonntag (Freitag) mit bei, bewegen sich ganze Scharen meistens auf dem
Bosporus in kleineren und größeren Kalks aus Pera, Toppana, dem eigent¬
lichen Stambul nach Bujukdere hinaus, um dort an den Freuden theilzunehmen,
welche eine privilegirte Classe der Gesellschaft ohne Unterschied der Tage dort
genießt. Gestern machte hierin eine Ausnahme, und es ereignete sich der um¬
gekehrte Fall, daß von Bujukdere aus bereits am Nachmittag kleine Kahnflvtten
und von Passagieren überladene Dampfschiffchen dem goldenen Horn entgegen¬
steuerten.

Es war die aus den 21. Juni fallende Nacht der Erleuchtung, welche diesen
magnetischen Einfluß übte. Die Feier steht mit dem Namasan in Verbindung,
und bezeichnet den Moment, in welchem der Großherr, welcher vor seinen Unter¬
thanen auch in religiöser Beziehung etwas voraushat, seine Fasten beendet
und in seinen Harem eine neue Gemahlin einführt. Um acht Uhr Abends


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/72>, abgerufen am 27.07.2024.