Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.nach Idealität erklären zu wollen, während es doch nur das fortschreitende Wir haben hier diese Stelle hervorgehoben, keineswegs um dem eigentlichen nach Idealität erklären zu wollen, während es doch nur das fortschreitende Wir haben hier diese Stelle hervorgehoben, keineswegs um dem eigentlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0055" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281206"/> <p xml:id="ID_142" prev="#ID_141"> nach Idealität erklären zu wollen, während es doch nur das fortschreitende<lb/> Streben nach Naturwahrheit ist. Denn ein Gemälde, welches mit allen Vor¬<lb/> zügen der Technik ausgestattet ist, gibt uns (wir wollen hier nur die eine<lb/> Seite hervorheben) die Natur, wie wir sie wirklich sehen. Es übt eine<lb/> Täuschung aus, wenn es sich auch von selbst versteht, daß diese Täuschung<lb/> nicht die höchste Aufgabe der Kunst sein kann. Alle andern Formen der bil¬<lb/> denden Kunst dagegen, Plastik, Relief und Zeichnung geben uns nicht den<lb/> Anschein der Naturwahrheit, sondern nur Aehnlichkeiten, bei denen sich unsre<lb/> Seele der wirklichen Dinge erinnert. Bei einem blos schattirter Bild denken<lb/> wir uns die Farbe hinzu, bei Umrissen und Reliefs den Schatten u. s. w.<lb/> Der Grund, daß man zu dem ausgeführten Gemälde erst später kommt, ist<lb/> nicht der angebliche Tastsinn unsres Auges, der für sich eine Befriedigung<lb/> verlangte, sondern einmal das natürliche Verlangen, die Aufmerksamkeit auf<lb/> bestimmte einzelne Gegenstände zu firiren, ehe man sie in der allgemeinen Er¬<lb/> scheinung verschwimmen läßt, sodann die Unvollkommenheit der Beobachtung,<lb/> die erst durch den Fortschritt der physikalischen Gesetze befähigt wird, sich dessen,<lb/> was sie steht, klar bewußt zu werden, endlich die Unvollkommenheit der Technik,<lb/> die unmöglich etwas versuchen kann, wozu ihr alle Mittel fehlen. Der Natur¬<lb/> künstler sucht, so gut es gehen will, seinen Gegenständen eine Farbe zu geben,<lb/> die, wenn auch in sehr roher Weise, die Natur nachahmt. Die farblose<lb/> Plastik der Griechen ist ein Fortschritt nach einer künstlichen Idealität hin,<lb/> wovon sich jeder überzeugen kann, der einen Naturmenschen in ein Antiken-<lb/> cabinet führt. — Wir halten es für sehr wichtig, dieses Naturmoment der<lb/> künstlerischen Entwicklung festzuhalten, da man sonst nicht blos in eine falsche<lb/> historische Vorstellung verfällt, sondern auch an den Zwecken der Kunst irre<lb/> wird. Es grassirt heute wieder ein falscher Idealismus, der in der Unvoll¬<lb/> kommenheit der Technik eine gewisse künstlerische Weihe sucht, namentlich wo<lb/> es sich um religiöse Dinge handelt. Herr Bischer bekämpft im übrigen dies<lb/> Nazarenerthum mit entschiedenem Erfolg; er sollte aber auch bei den Be¬<lb/> gründungen seiner Theorie daraus sehen, ihm keinen Vorschub zu leisten. Denn<lb/> wenn man behauptet, daß von der chinesischen Malerei zur modernen per¬<lb/> spektivischen ein ideeller Fortschritt liege, so läßt sich darüber streiten, denn der<lb/> Begriff des Ideals ist ein schwankender, aber der Fortschritt zur Naturwahrheit,<lb/> der darin liegt, läßt sich nicht bestreiten; und wenn man die-Entwicklung der<lb/> Kunst auf die Nachbildung der Natur basirt, und ihre Idealität dahin bestimmt,<lb/> daß sie die wirklichen Absichten der Natur belauscht und mit Absonderung<lb/> des Zufälligen das Wesentliche festhält, so würde dies ein Moment sein, in<lb/> dem Idealisten und Realisten sich einigen könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_143" next="#ID_144"> Wir haben hier diese Stelle hervorgehoben, keineswegs um dem eigentlichen<lb/> Inhalt der Untersuchungen vorzugreifen, auf den wir uns vielmehr vorbehalten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0055]
nach Idealität erklären zu wollen, während es doch nur das fortschreitende
Streben nach Naturwahrheit ist. Denn ein Gemälde, welches mit allen Vor¬
zügen der Technik ausgestattet ist, gibt uns (wir wollen hier nur die eine
Seite hervorheben) die Natur, wie wir sie wirklich sehen. Es übt eine
Täuschung aus, wenn es sich auch von selbst versteht, daß diese Täuschung
nicht die höchste Aufgabe der Kunst sein kann. Alle andern Formen der bil¬
denden Kunst dagegen, Plastik, Relief und Zeichnung geben uns nicht den
Anschein der Naturwahrheit, sondern nur Aehnlichkeiten, bei denen sich unsre
Seele der wirklichen Dinge erinnert. Bei einem blos schattirter Bild denken
wir uns die Farbe hinzu, bei Umrissen und Reliefs den Schatten u. s. w.
Der Grund, daß man zu dem ausgeführten Gemälde erst später kommt, ist
nicht der angebliche Tastsinn unsres Auges, der für sich eine Befriedigung
verlangte, sondern einmal das natürliche Verlangen, die Aufmerksamkeit auf
bestimmte einzelne Gegenstände zu firiren, ehe man sie in der allgemeinen Er¬
scheinung verschwimmen läßt, sodann die Unvollkommenheit der Beobachtung,
die erst durch den Fortschritt der physikalischen Gesetze befähigt wird, sich dessen,
was sie steht, klar bewußt zu werden, endlich die Unvollkommenheit der Technik,
die unmöglich etwas versuchen kann, wozu ihr alle Mittel fehlen. Der Natur¬
künstler sucht, so gut es gehen will, seinen Gegenständen eine Farbe zu geben,
die, wenn auch in sehr roher Weise, die Natur nachahmt. Die farblose
Plastik der Griechen ist ein Fortschritt nach einer künstlichen Idealität hin,
wovon sich jeder überzeugen kann, der einen Naturmenschen in ein Antiken-
cabinet führt. — Wir halten es für sehr wichtig, dieses Naturmoment der
künstlerischen Entwicklung festzuhalten, da man sonst nicht blos in eine falsche
historische Vorstellung verfällt, sondern auch an den Zwecken der Kunst irre
wird. Es grassirt heute wieder ein falscher Idealismus, der in der Unvoll¬
kommenheit der Technik eine gewisse künstlerische Weihe sucht, namentlich wo
es sich um religiöse Dinge handelt. Herr Bischer bekämpft im übrigen dies
Nazarenerthum mit entschiedenem Erfolg; er sollte aber auch bei den Be¬
gründungen seiner Theorie daraus sehen, ihm keinen Vorschub zu leisten. Denn
wenn man behauptet, daß von der chinesischen Malerei zur modernen per¬
spektivischen ein ideeller Fortschritt liege, so läßt sich darüber streiten, denn der
Begriff des Ideals ist ein schwankender, aber der Fortschritt zur Naturwahrheit,
der darin liegt, läßt sich nicht bestreiten; und wenn man die-Entwicklung der
Kunst auf die Nachbildung der Natur basirt, und ihre Idealität dahin bestimmt,
daß sie die wirklichen Absichten der Natur belauscht und mit Absonderung
des Zufälligen das Wesentliche festhält, so würde dies ein Moment sein, in
dem Idealisten und Realisten sich einigen könnten.
Wir haben hier diese Stelle hervorgehoben, keineswegs um dem eigentlichen
Inhalt der Untersuchungen vorzugreifen, auf den wir uns vielmehr vorbehalten
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