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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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seiner Entwicklung sich zur Aufgabe gemacht haben, bisher noch so wenig Notiz
nahmen und nehmen konnten von dem Einfluß des geologischen Baues der
Länder auf die Geschichte der Völker. Welche wichtige Rolle spielen Eisen und
Kohlen in der Geschichte Englands, edle Metalle in der Amerikas und Ru߬
lands, große Mannigfaltigkeit des innern Baues in der Deutschlands. Freilich
viele dieser geologischen Einwirkungen sind ganz außerordentlich langsamer und
dadurch schwer, nachweisbarer Natur. Sie werden oft Jahrhunderte lang
überwogen und zurückgehalten durch die bereits erblich gewordenen Eigenthümlich¬
keiten aus andern Wohnsitzen eingewanderter Völkerstämme, ganz ohne Wirkung,
kann aber ihr unermüdlicher Einfluß auf die Deiner nicht bleiben. Ein solches
Beispiel langen Verharrens in einmal erblich gewordener geistiger Indolenz
zeigt uns der Stamm der Osmanen, die trotz ihrer Besitznahme von den reich¬
gegliederten Küsten des Marmora- und deS aegeischen Meeres noch immer
die alte Scheu vor der Civilisation der Arbeit bewahrt haben. Die Ausnahme
kann aber nicht die Regel umstoßen, umsoweniger, da 400 Jahre unter solchen
Umständen, wie sie hier vorliegen, in der Entwicklung deS Völkerlebens doch
nur eine kurze Spanne Zeit sind. Hätten den Türken der griechischen Halb¬
insel von Anfang an die unterdrückten Nationen als Arbeiter gefehlt, so würde
die Einwirkung des Bodenbaues auch bei ihnen eine günstigere gewesen sein.

Nach dem allen halte ich mich berechtigt zu dem Schluß: Die gegenwärtige
Oberfläche der Erde mit allen ihren Eigenthümlichkeiten ist etwas nach und
nach Gewordenes, Entwickeltes, ebenso alles Leben auf ihr, und beides in
steter gegenseitiger Beziehung zueinander."

Im Laufe derselben Abhandlung gibt der Verfasser ein Citat aus Riehl,
der mit ihm zu ungefähr gleichen Resultaten kommt. Auch dieses Citat führen
wir hier an, weil eS mit sinniger Anschaulichkeit und geistvoll auf die Gesichts¬
punkte hindeutet, welche auch in diesem Buche festgehalten sind, die also das
größere Publicum am bequemsten auf die hohe Bedeutung der vorliegenden
Untersuchung hinweisen können.

"Der Norden und Süden unsres Vaterlandes zeigt entschieden wahlverwandte
Gruppen von Volksindividualitäten: Mitteldeutschland ist es, was den Gegen¬
satz hierzu bildet. Sieht man von den Zufälligkeiten, von der Decoration, dem
äußern Costüm des Volksthums ab, dann stehen die Ostfriesen, Schleswig-
Holsteiner, Mecklenburger, Pommern den Altbaiern, Tirolern. Steicrmärkern
unendlich näher als beide den Sachsen, Thüringern, Rheinfrankcn u. s. w.
Im Norden und Süden sitzen noch Volksstämme in großen und ganzen Ge¬
bilden, im Binnenland sind die Trümmer originaler Stämme ausgelöst und
bunt durcheinandergeworfen. Im Norden und Süden findet sich noch eine
rein bäuerliche Bevölkerung, reine Dörfer, dazwischen auch reine Städte. In
der Mitte ist bäuerliches und städtisches Wesen vielfach vermischt und ineinander-


seiner Entwicklung sich zur Aufgabe gemacht haben, bisher noch so wenig Notiz
nahmen und nehmen konnten von dem Einfluß des geologischen Baues der
Länder auf die Geschichte der Völker. Welche wichtige Rolle spielen Eisen und
Kohlen in der Geschichte Englands, edle Metalle in der Amerikas und Ru߬
lands, große Mannigfaltigkeit des innern Baues in der Deutschlands. Freilich
viele dieser geologischen Einwirkungen sind ganz außerordentlich langsamer und
dadurch schwer, nachweisbarer Natur. Sie werden oft Jahrhunderte lang
überwogen und zurückgehalten durch die bereits erblich gewordenen Eigenthümlich¬
keiten aus andern Wohnsitzen eingewanderter Völkerstämme, ganz ohne Wirkung,
kann aber ihr unermüdlicher Einfluß auf die Deiner nicht bleiben. Ein solches
Beispiel langen Verharrens in einmal erblich gewordener geistiger Indolenz
zeigt uns der Stamm der Osmanen, die trotz ihrer Besitznahme von den reich¬
gegliederten Küsten des Marmora- und deS aegeischen Meeres noch immer
die alte Scheu vor der Civilisation der Arbeit bewahrt haben. Die Ausnahme
kann aber nicht die Regel umstoßen, umsoweniger, da 400 Jahre unter solchen
Umständen, wie sie hier vorliegen, in der Entwicklung deS Völkerlebens doch
nur eine kurze Spanne Zeit sind. Hätten den Türken der griechischen Halb¬
insel von Anfang an die unterdrückten Nationen als Arbeiter gefehlt, so würde
die Einwirkung des Bodenbaues auch bei ihnen eine günstigere gewesen sein.

Nach dem allen halte ich mich berechtigt zu dem Schluß: Die gegenwärtige
Oberfläche der Erde mit allen ihren Eigenthümlichkeiten ist etwas nach und
nach Gewordenes, Entwickeltes, ebenso alles Leben auf ihr, und beides in
steter gegenseitiger Beziehung zueinander."

Im Laufe derselben Abhandlung gibt der Verfasser ein Citat aus Riehl,
der mit ihm zu ungefähr gleichen Resultaten kommt. Auch dieses Citat führen
wir hier an, weil eS mit sinniger Anschaulichkeit und geistvoll auf die Gesichts¬
punkte hindeutet, welche auch in diesem Buche festgehalten sind, die also das
größere Publicum am bequemsten auf die hohe Bedeutung der vorliegenden
Untersuchung hinweisen können.

„Der Norden und Süden unsres Vaterlandes zeigt entschieden wahlverwandte
Gruppen von Volksindividualitäten: Mitteldeutschland ist es, was den Gegen¬
satz hierzu bildet. Sieht man von den Zufälligkeiten, von der Decoration, dem
äußern Costüm des Volksthums ab, dann stehen die Ostfriesen, Schleswig-
Holsteiner, Mecklenburger, Pommern den Altbaiern, Tirolern. Steicrmärkern
unendlich näher als beide den Sachsen, Thüringern, Rheinfrankcn u. s. w.
Im Norden und Süden sitzen noch Volksstämme in großen und ganzen Ge¬
bilden, im Binnenland sind die Trümmer originaler Stämme ausgelöst und
bunt durcheinandergeworfen. Im Norden und Süden findet sich noch eine
rein bäuerliche Bevölkerung, reine Dörfer, dazwischen auch reine Städte. In
der Mitte ist bäuerliches und städtisches Wesen vielfach vermischt und ineinander-


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[0517] seiner Entwicklung sich zur Aufgabe gemacht haben, bisher noch so wenig Notiz nahmen und nehmen konnten von dem Einfluß des geologischen Baues der Länder auf die Geschichte der Völker. Welche wichtige Rolle spielen Eisen und Kohlen in der Geschichte Englands, edle Metalle in der Amerikas und Ru߬ lands, große Mannigfaltigkeit des innern Baues in der Deutschlands. Freilich viele dieser geologischen Einwirkungen sind ganz außerordentlich langsamer und dadurch schwer, nachweisbarer Natur. Sie werden oft Jahrhunderte lang überwogen und zurückgehalten durch die bereits erblich gewordenen Eigenthümlich¬ keiten aus andern Wohnsitzen eingewanderter Völkerstämme, ganz ohne Wirkung, kann aber ihr unermüdlicher Einfluß auf die Deiner nicht bleiben. Ein solches Beispiel langen Verharrens in einmal erblich gewordener geistiger Indolenz zeigt uns der Stamm der Osmanen, die trotz ihrer Besitznahme von den reich¬ gegliederten Küsten des Marmora- und deS aegeischen Meeres noch immer die alte Scheu vor der Civilisation der Arbeit bewahrt haben. Die Ausnahme kann aber nicht die Regel umstoßen, umsoweniger, da 400 Jahre unter solchen Umständen, wie sie hier vorliegen, in der Entwicklung deS Völkerlebens doch nur eine kurze Spanne Zeit sind. Hätten den Türken der griechischen Halb¬ insel von Anfang an die unterdrückten Nationen als Arbeiter gefehlt, so würde die Einwirkung des Bodenbaues auch bei ihnen eine günstigere gewesen sein. Nach dem allen halte ich mich berechtigt zu dem Schluß: Die gegenwärtige Oberfläche der Erde mit allen ihren Eigenthümlichkeiten ist etwas nach und nach Gewordenes, Entwickeltes, ebenso alles Leben auf ihr, und beides in steter gegenseitiger Beziehung zueinander." Im Laufe derselben Abhandlung gibt der Verfasser ein Citat aus Riehl, der mit ihm zu ungefähr gleichen Resultaten kommt. Auch dieses Citat führen wir hier an, weil eS mit sinniger Anschaulichkeit und geistvoll auf die Gesichts¬ punkte hindeutet, welche auch in diesem Buche festgehalten sind, die also das größere Publicum am bequemsten auf die hohe Bedeutung der vorliegenden Untersuchung hinweisen können. „Der Norden und Süden unsres Vaterlandes zeigt entschieden wahlverwandte Gruppen von Volksindividualitäten: Mitteldeutschland ist es, was den Gegen¬ satz hierzu bildet. Sieht man von den Zufälligkeiten, von der Decoration, dem äußern Costüm des Volksthums ab, dann stehen die Ostfriesen, Schleswig- Holsteiner, Mecklenburger, Pommern den Altbaiern, Tirolern. Steicrmärkern unendlich näher als beide den Sachsen, Thüringern, Rheinfrankcn u. s. w. Im Norden und Süden sitzen noch Volksstämme in großen und ganzen Ge¬ bilden, im Binnenland sind die Trümmer originaler Stämme ausgelöst und bunt durcheinandergeworfen. Im Norden und Süden findet sich noch eine rein bäuerliche Bevölkerung, reine Dörfer, dazwischen auch reine Städte. In der Mitte ist bäuerliches und städtisches Wesen vielfach vermischt und ineinander-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/517>, abgerufen am 27.07.2024.