Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.Umgang mit Goethe lernen, Einfacliheit, Natürlichkeit und Correctheit.-- Diese Noch einen zweiten Tadel müsten wir gegen Herrn Düntzer ausspreche". 01 '
Umgang mit Goethe lernen, Einfacliheit, Natürlichkeit und Correctheit.— Diese Noch einen zweiten Tadel müsten wir gegen Herrn Düntzer ausspreche». 01 '
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Umgang mit Goethe lernen, Einfacliheit, Natürlichkeit und Correctheit.— Diese
Art von Parallelismus findet sich noch öfters, und geht zuweilen ans den In¬
halt über, wo dann der Dichter mit seinem Vertheidiger nicht besonders zu¬
frieden sein würde. Wir wollen hier den Anfang der Abhandlung über Eg-
mont anführen. „Als Goethe an seinen väterlichen Freund, den Actuarius
Salzmann in Straßburg, die schriftliche Bitte richtete, einen Abdruck seines eben
erschienenen „Götz" an seine Ses nheimer Geliebte zu senden, fügte er die
humoristische Bemerkung hinzu: „„Die arme Friederike wird einigermaßen sich
getröstet finden, wenn der Untreue vergiftet wirb."" Goethe selbst wußte sich
einer gewissen jugendlichen Leichtfertigkeit schuldig, durch welche er Friederiken
unendlichen Schmerz bereitet hatte, aber keiner Treulosigkeit, welche Weislingens
Seele belastete; wenn dieser durch die Verführung eines liebreizenden, aber
rankevollen Weibes seinem heilig gegebenen Worte abwendig gemacht wird, so
hatte unsren Dichter die Einsicht, daß eine Verbindung mit Friederiken für ihn
Unmöglich sei, zur schmerzlichsten Entsagung genöthigt." — Das ist eine sehr
schlimme Parallele; wenn man den psychologischen Inhalt einer Handlung
»erlegen will, muß man ein feinerer Anatom sein als Herr Düntzer. Freilich
hat Goethe weder im Clavigo noch im Weisungen sich selbst schildern wollen,
aber daß er aus Erfahrung wußte, wie einem zu Muthe ist, wenn man ein
hingebendes und vertrauendes Wesen im Stich laßt,- das gab seiner'Schilderung
le»e Wärme und Naturwahrheit, die uns hinreißt. Wenn man den Dichter
u>ehe besser rechtfertigen kann, soll man es lieber gar nicht thun. Wie Goethe
selbst über sein Verhältniß zu Friederike dachte, hat er am besten in dem be¬
rühmten Briefe an Frau von "Stein, bei Gelegenheit deS zweiten Besuchs in
Sesenheim geschildert. Wenn ein tüchtiger Mann ein Unrecht gethan hat, wird
^ nicht gleich ins Wasser springen; er wird die Sache, so gut es gehen will,
nieder ins Gleiche bringen, und die Art und Weise, wie Goethe es bei jenem
desund gethan, macht beiden Betheiligten Ehre. Aber man soll uns nicht ein¬
üben wollen, daß Unrecht Recht ist, umsoweniger, wenn der Dichter selbst
sei» Unrecht so lebhast empfindet, wie es Goethe gethan hat.
Noch einen zweiten Tadel müsten wir gegen Herrn Düntzer ausspreche».
Bei der Art und Weise, wie er seine Eommentare schreibt, ist zu befürchten,
eine ganze Bibliothek daraus entsteht, in welcher man doch nur alles in
Zweiter Auflage erhält. Daß Herr Düntzer aus weniger bekannten und zu-
K"uglichen Schriften die Stellen, die er braucht, wie laug sie auch sein mögen,
^örtlich anführt, kann nur gebilligt werden; daß er dem Publicum aber mit
^'selben Ausführlichkeit dasjenige erzählt, was in Goethes Werken steht, ist
»">» wenigsten überflüssig, denn von dem Publicum, welches sich DüntzerS
Werke anschafft, sann man doch wol voraussetzen, daß co Goethe bereits besitzt.
Herr Düntzer hat es aber sür nöthig gehalten, uns den Inhalt der drei Aus-
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