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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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gen mitzutheilen, die umsoweniger überflüssig sein dürften, da wir von Herrn
Düntzer voraussichtlich noch eine ganze Reihe ähnlicher Schriften zu erwarten
haben.

Einmal würden wir es für wünschenswert!) halten, daß Herr Düntzer die
Polemik, wo sie sich nicht auf Thatsächliches bezieht, durchweg vermiede. Er
findet keinen glücklichen Ton dafür und sie ist auch vollkommen überflüssig-
Den Dichter selbst in Schutz zu nehmen, hat heutzutage wol keinen Sinn
mehr, und seine eigne Methode zu rechtfertigen, könnte Herr Düntzer der
Zeit überlassen. Zudem scheint er seine Gegner mißzuverstehen. Wen unter
den Verehrern des Dichters wird es nicht erfreuen, einen neuen Umstand aus
seinem Leben zu erfahren oder auf eine neue Seite seines Schaffens aufmerk¬
sam gemacht zu werden? Wenn man also an diesem sorgfältig gearbeiteten
Commentar etwas auszusetzen findet, so ist es nicht der Fleiß, sondern die
Kleinkrämerci. Freilich gibt es noch eine andre Classe von Commentatoren, die
viel schlimmer sind; nämlich die philosophischen Ausleger, die u, priori nachzu¬
weisen suchen, was Goethe denken und dichten mußte, um dem Weltgeist gerecht
zu werden, und die durch ihre Hirngespinste den natürlichen, unbefangenen
Eindruck der Werke verkümmern; allein in der philologischen Peinlichkeit, die
Herr Düntzer anwendet, liegt doch auch etwas sehr Unerfreuliches. Wenn bei
griechischen und römischen Schriftstellern die Philologen auf scheinbar kleine
und unbedeutende Umstände bisweilen ein großes Gewicht legen, so hat das
seinen natürlichen Grund darin, daß wir jene Schriftsteller nur sehr fragmen¬
tarisch besitzen, und uns mühsam ano einzelnen Bruchstücken ein Bild von dem
Ganzen zusammensetzen müssen. Aber wenn man diese Methode auf eine"
Schriftsteller anwendet, dessen Bild dem gesammten Volk in lebendigster Gegen-
wart vorschwebt, so macht das unzweifelhaft den Eindruck der Kleinkrämerci-
Der Mythus erzählt von Goethe, er habe einmal von seiner Frau gesagt, >"a"
merke es dieser Person doch gar nicht an, daß sie solange mit ihm umgegangen
sei. Auf viele von Goethes Auslegern würde die.er Ausspruch vollkommen
passen, und wenn wir Herrn Düntzer auch nicht mit Herrn Riemer in e>"e
Classe werfen wollen, so ist doch dieses WichUglhun mit kleinen Dingen, die>e
heillose Geschwätzigkeit gewiß nicht geeignet, diejenigen anzusprechen, die on>"
Goethe eine mehr als traditionelle Verehrung haben. Herr Düntzer sängt le>"e
Darstellung mit folgendem Satz an: "Gleichwie Schiller durch physiologisch'
psychologische Bestrebungen zum gewaltigen Ausbruche seines gährenden Frei¬
heitsdranges in den "Räubern" getrieben wurde, war Goethe zehn Jahr"
früher bei Betrachtung der Entwicklung des mittelalterlichen Staatörechtes zw'
Dichtung deö "Götz" geführt worden." -- Was 'ist das sür ein Stil ! Zwar
wäre es eine unbillige Forderung, wenn man von ven Ausleger verlangte, er
solle dem Stil seines Dichters nachstreben, aber eins'sollte man doch aus dem


gen mitzutheilen, die umsoweniger überflüssig sein dürften, da wir von Herrn
Düntzer voraussichtlich noch eine ganze Reihe ähnlicher Schriften zu erwarten
haben.

Einmal würden wir es für wünschenswert!) halten, daß Herr Düntzer die
Polemik, wo sie sich nicht auf Thatsächliches bezieht, durchweg vermiede. Er
findet keinen glücklichen Ton dafür und sie ist auch vollkommen überflüssig-
Den Dichter selbst in Schutz zu nehmen, hat heutzutage wol keinen Sinn
mehr, und seine eigne Methode zu rechtfertigen, könnte Herr Düntzer der
Zeit überlassen. Zudem scheint er seine Gegner mißzuverstehen. Wen unter
den Verehrern des Dichters wird es nicht erfreuen, einen neuen Umstand aus
seinem Leben zu erfahren oder auf eine neue Seite seines Schaffens aufmerk¬
sam gemacht zu werden? Wenn man also an diesem sorgfältig gearbeiteten
Commentar etwas auszusetzen findet, so ist es nicht der Fleiß, sondern die
Kleinkrämerci. Freilich gibt es noch eine andre Classe von Commentatoren, die
viel schlimmer sind; nämlich die philosophischen Ausleger, die u, priori nachzu¬
weisen suchen, was Goethe denken und dichten mußte, um dem Weltgeist gerecht
zu werden, und die durch ihre Hirngespinste den natürlichen, unbefangenen
Eindruck der Werke verkümmern; allein in der philologischen Peinlichkeit, die
Herr Düntzer anwendet, liegt doch auch etwas sehr Unerfreuliches. Wenn bei
griechischen und römischen Schriftstellern die Philologen auf scheinbar kleine
und unbedeutende Umstände bisweilen ein großes Gewicht legen, so hat das
seinen natürlichen Grund darin, daß wir jene Schriftsteller nur sehr fragmen¬
tarisch besitzen, und uns mühsam ano einzelnen Bruchstücken ein Bild von dem
Ganzen zusammensetzen müssen. Aber wenn man diese Methode auf eine»
Schriftsteller anwendet, dessen Bild dem gesammten Volk in lebendigster Gegen-
wart vorschwebt, so macht das unzweifelhaft den Eindruck der Kleinkrämerci-
Der Mythus erzählt von Goethe, er habe einmal von seiner Frau gesagt, >»a»
merke es dieser Person doch gar nicht an, daß sie solange mit ihm umgegangen
sei. Auf viele von Goethes Auslegern würde die.er Ausspruch vollkommen
passen, und wenn wir Herrn Düntzer auch nicht mit Herrn Riemer in e>»e
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Goethe eine mehr als traditionelle Verehrung haben. Herr Düntzer sängt le>»e
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psychologische Bestrebungen zum gewaltigen Ausbruche seines gährenden Frei¬
heitsdranges in den „Räubern" getrieben wurde, war Goethe zehn Jahr«
früher bei Betrachtung der Entwicklung des mittelalterlichen Staatörechtes zw'
Dichtung deö „Götz" geführt worden." — Was 'ist das sür ein Stil ! Zwar
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solle dem Stil seines Dichters nachstreben, aber eins'sollte man doch aus dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/490>, abgerufen am 09.11.2024.