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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Richelieu, in der Rue Viviemu' und längs den Boulevards bis hinauf zum
Bastillenplatze.

In diesen wird keine Speise aufgetragen, die nicht vor die Jurisdiction
von weiland Orfila gehörte, die nicht eine Rolle vor den Assisen spielen könnte.
Die Speisekarten sind pompöse Bücher, die sich lesen, wie irgendein moderner
Roman, so schöne Namen kommen darin vor. Lauter schöne Seelen, lauter
rhetorische Wesen, die unter den perfidesten Saucen ihre schwarze Schlechtigkeit
verbergen. Wer die Fortschritte der modernen Küchenchemie studiren wollte,
der wird mit Bewunderung aus diesen Anstalten gehen. Wer aber von einem
weniger wissenschaftlichen Triebe hierhergeführt wird, der wird mit Schaudern
diesem Saucenzauber entfliehen. Jede Schüssel ist ein böser Geist, der durch
eine Hererei ü la rein", ir 1a I'rnvvnyalk oder K 1a ?ompaclc>or festgebannt ist
und blos von den Naturkräften der Verdauung aus seinem künstlichen Schlummer
geweckt wird, um sich dann in unsrem Innern leider so spät und zu spät
einer unangenehmen Reue über verfehlten Lebensberuf hinzugeben. Der
Gläubige mag fromm sein Kreuz schlagen, denn diese glänzenden, elegant heraus"
geputzten Schüsseln erinnern an das Tenfelgeld in den alten Zauberromancn,
das uns als Leder, als Kohle u. f. w. in der Hand (im Magen) bleibt.

So ein Restaurant bezahlt mehre tausend Franken Zins für sein überaus präch¬
tiges Local mit den vielen Spiegeln, in denen sich tausende und abcrtausende von
Gefoppten wohlgefällig beschauen. Er hat hübsches Geschirr -- er gibt täglich
w el sie Tischwäsche und die Aufwärter in ihren schwarzen Jäckchen, mit den weiße"
Halsbinden, der bleichweißen Schürze und der dienstfertigen Serviettte unter dem
Arme, die nette Comptoirsfrau mit den freundlichen Blicken -- die sauber aus¬
gestatteten und mit Geschmack aufgerichteten Desserts berücken und umfangen unsre
Sinne ... Wir geben uns der Täuschung preis und essen Schuhsolcn statt Beafsteate
und Cantabona statt Rostbeaf. Die Geheimnisse der sauceverhüllte" Ungeheuer z"
enträthseln, dies mag einem Liebig anheimgestellt bleiben -- wir lassen den
wohlthätigen Schleier darüber, dessen Lüftung der Seekrankheit nahebringt-
Und alles das wegen bloßer Befriedigung unsrer Eitelkeit. Man will um
zweiunddreißig Sous Suppe nebst drei andern Gängen, einem Dessert, Wew
und Brot zu sich nehmen. Die einfachste Addition muß das Lügenhafte dieses
Strebens darthun -- aber der Pariser addirt nicht -- seine Augen sind be¬
friedigt, er hat Brot soviel er will, und das ist ihm eigentlich die Hauptsache
Der Fremde wird oft auf eigenthümliche Weise getäuscht. Die ersten vierzehn
Tage erhält sich die Illusion seines Magens auf der nöthigen Höhe, um >"
Enthusiasmus über diese beispiellos billigen Institutionen zu gerathen -- aber
spätestens nach dieser Lehrzeit öffnen sich seine Augen und er sehnt sich "ach
den Fleischtöpfen seiner Heimat zurück. Er verwünscht den unmoralischen
Trug und sucht in irgend einer bürgerlichen Pension, deren es hier soviele


Richelieu, in der Rue Viviemu' und längs den Boulevards bis hinauf zum
Bastillenplatze.

In diesen wird keine Speise aufgetragen, die nicht vor die Jurisdiction
von weiland Orfila gehörte, die nicht eine Rolle vor den Assisen spielen könnte.
Die Speisekarten sind pompöse Bücher, die sich lesen, wie irgendein moderner
Roman, so schöne Namen kommen darin vor. Lauter schöne Seelen, lauter
rhetorische Wesen, die unter den perfidesten Saucen ihre schwarze Schlechtigkeit
verbergen. Wer die Fortschritte der modernen Küchenchemie studiren wollte,
der wird mit Bewunderung aus diesen Anstalten gehen. Wer aber von einem
weniger wissenschaftlichen Triebe hierhergeführt wird, der wird mit Schaudern
diesem Saucenzauber entfliehen. Jede Schüssel ist ein böser Geist, der durch
eine Hererei ü la rein«, ir 1a I'rnvvnyalk oder K 1a ?ompaclc>or festgebannt ist
und blos von den Naturkräften der Verdauung aus seinem künstlichen Schlummer
geweckt wird, um sich dann in unsrem Innern leider so spät und zu spät
einer unangenehmen Reue über verfehlten Lebensberuf hinzugeben. Der
Gläubige mag fromm sein Kreuz schlagen, denn diese glänzenden, elegant heraus"
geputzten Schüsseln erinnern an das Tenfelgeld in den alten Zauberromancn,
das uns als Leder, als Kohle u. f. w. in der Hand (im Magen) bleibt.

So ein Restaurant bezahlt mehre tausend Franken Zins für sein überaus präch¬
tiges Local mit den vielen Spiegeln, in denen sich tausende und abcrtausende von
Gefoppten wohlgefällig beschauen. Er hat hübsches Geschirr — er gibt täglich
w el sie Tischwäsche und die Aufwärter in ihren schwarzen Jäckchen, mit den weiße»
Halsbinden, der bleichweißen Schürze und der dienstfertigen Serviettte unter dem
Arme, die nette Comptoirsfrau mit den freundlichen Blicken — die sauber aus¬
gestatteten und mit Geschmack aufgerichteten Desserts berücken und umfangen unsre
Sinne ... Wir geben uns der Täuschung preis und essen Schuhsolcn statt Beafsteate
und Cantabona statt Rostbeaf. Die Geheimnisse der sauceverhüllte» Ungeheuer z»
enträthseln, dies mag einem Liebig anheimgestellt bleiben — wir lassen den
wohlthätigen Schleier darüber, dessen Lüftung der Seekrankheit nahebringt-
Und alles das wegen bloßer Befriedigung unsrer Eitelkeit. Man will um
zweiunddreißig Sous Suppe nebst drei andern Gängen, einem Dessert, Wew
und Brot zu sich nehmen. Die einfachste Addition muß das Lügenhafte dieses
Strebens darthun — aber der Pariser addirt nicht — seine Augen sind be¬
friedigt, er hat Brot soviel er will, und das ist ihm eigentlich die Hauptsache
Der Fremde wird oft auf eigenthümliche Weise getäuscht. Die ersten vierzehn
Tage erhält sich die Illusion seines Magens auf der nöthigen Höhe, um >"
Enthusiasmus über diese beispiellos billigen Institutionen zu gerathen — aber
spätestens nach dieser Lehrzeit öffnen sich seine Augen und er sehnt sich »ach
den Fleischtöpfen seiner Heimat zurück. Er verwünscht den unmoralischen
Trug und sucht in irgend einer bürgerlichen Pension, deren es hier soviele


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[0480] Richelieu, in der Rue Viviemu' und längs den Boulevards bis hinauf zum Bastillenplatze. In diesen wird keine Speise aufgetragen, die nicht vor die Jurisdiction von weiland Orfila gehörte, die nicht eine Rolle vor den Assisen spielen könnte. Die Speisekarten sind pompöse Bücher, die sich lesen, wie irgendein moderner Roman, so schöne Namen kommen darin vor. Lauter schöne Seelen, lauter rhetorische Wesen, die unter den perfidesten Saucen ihre schwarze Schlechtigkeit verbergen. Wer die Fortschritte der modernen Küchenchemie studiren wollte, der wird mit Bewunderung aus diesen Anstalten gehen. Wer aber von einem weniger wissenschaftlichen Triebe hierhergeführt wird, der wird mit Schaudern diesem Saucenzauber entfliehen. Jede Schüssel ist ein böser Geist, der durch eine Hererei ü la rein«, ir 1a I'rnvvnyalk oder K 1a ?ompaclc>or festgebannt ist und blos von den Naturkräften der Verdauung aus seinem künstlichen Schlummer geweckt wird, um sich dann in unsrem Innern leider so spät und zu spät einer unangenehmen Reue über verfehlten Lebensberuf hinzugeben. Der Gläubige mag fromm sein Kreuz schlagen, denn diese glänzenden, elegant heraus" geputzten Schüsseln erinnern an das Tenfelgeld in den alten Zauberromancn, das uns als Leder, als Kohle u. f. w. in der Hand (im Magen) bleibt. So ein Restaurant bezahlt mehre tausend Franken Zins für sein überaus präch¬ tiges Local mit den vielen Spiegeln, in denen sich tausende und abcrtausende von Gefoppten wohlgefällig beschauen. Er hat hübsches Geschirr — er gibt täglich w el sie Tischwäsche und die Aufwärter in ihren schwarzen Jäckchen, mit den weiße» Halsbinden, der bleichweißen Schürze und der dienstfertigen Serviettte unter dem Arme, die nette Comptoirsfrau mit den freundlichen Blicken — die sauber aus¬ gestatteten und mit Geschmack aufgerichteten Desserts berücken und umfangen unsre Sinne ... Wir geben uns der Täuschung preis und essen Schuhsolcn statt Beafsteate und Cantabona statt Rostbeaf. Die Geheimnisse der sauceverhüllte» Ungeheuer z» enträthseln, dies mag einem Liebig anheimgestellt bleiben — wir lassen den wohlthätigen Schleier darüber, dessen Lüftung der Seekrankheit nahebringt- Und alles das wegen bloßer Befriedigung unsrer Eitelkeit. Man will um zweiunddreißig Sous Suppe nebst drei andern Gängen, einem Dessert, Wew und Brot zu sich nehmen. Die einfachste Addition muß das Lügenhafte dieses Strebens darthun — aber der Pariser addirt nicht — seine Augen sind be¬ friedigt, er hat Brot soviel er will, und das ist ihm eigentlich die Hauptsache Der Fremde wird oft auf eigenthümliche Weise getäuscht. Die ersten vierzehn Tage erhält sich die Illusion seines Magens auf der nöthigen Höhe, um >" Enthusiasmus über diese beispiellos billigen Institutionen zu gerathen — aber spätestens nach dieser Lehrzeit öffnen sich seine Augen und er sehnt sich »ach den Fleischtöpfen seiner Heimat zurück. Er verwünscht den unmoralischen Trug und sucht in irgend einer bürgerlichen Pension, deren es hier soviele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/480>, abgerufen am 01.09.2024.