Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer Sache, war, aber soviel ist gewiß, daß das Ministerium keine Vorsichts¬
maßregeln traf, obgleich es Nachrichten von der drohenden Verschwörung, und
von DulceS Theilnahme an derselben hatte. Dulce blieb auf seinem^ einflu߬
reichen Posten, es vergingen 14 ganze Tage nach dem ersten todtgebornen
Aufstand für Madrid in steter Erwartung eines neuen, ohne daß etwas zu
seiner Vorbeugung geschah. Schon glaubten die Madrider nicht mehr an eine
Wiederholung des ersten Versuchs, als sie am Morgen des 28. Juni erfuhren,
daß Dulce unter dem Vorwand einer Revue vor der Stadt die i Schwadronen
Cavalerio, welche in Madrid lagen, sowie ein Bataillon des Regiments Prin¬
cipe und ein paar Compagnien von andern Regimentern gesammelt, und sie,
begleitet von O'Donnell, nach Alcala geführt habe, um auch die dortliegenden
Truppen für den Aufstand zu gewinnen. Noch andere Generale sollten sich
ihm angeschlossen haben, doch war es schwer, etwas Zuverlässiges zu erfahren.
Madrid bot an diesem Tage einen seltsamen Anblick dar. Die Königin und
der Hof waren zwei Tage vorher nach dem Escurial gezogen; sämmtliche Mi¬
nister mit Ausnahme von zweien waren abwesend; und die zwei anwesenden
waren von dem plötzlichen Ereigniß wie gelähmt, und allem Anscheine nach
hilflos. Es wurde nichts gethan, nicht einmal die Truppen unter die Waffen
gerufen. Eine Zeitlang hätte man glauben können, daß mit Ausnahme von
etwa -1300 Mann sämmtliche Truppen mit den aufständischen Generalen die
Stadt verlassen hätten; mehre Stunden lang war die Stadt thatsächlich i"
den Händen des Volks, und wäre es aufgestanden, so würde es wahrscheinlich
einen leichten Sieg davongetragen haben, denn viele von den in Madrid zu¬
rückgebliebenen Truppen waren unzufrieden, und hätten sich den Bürgern an¬
geschlossen. Eine große Aufregung herrschte; daS allgemeine Gefühl war das
der freudigen Hoffnung, eines Ministeriums entledigt zu werden, das allgemein
verhaßt war. Die Puerta del Sol, der Sammelplatz aller politischen Kanne¬
gießer, und die vornehmsten Straßen standen voll von Gruppen, die eifrig die
Tagesereignisse besprachen; Freunde und Bekannte grüßten sich mit freudigen
Gesichtern und schüttelten sich glückwünschend die Hände -- Liberale und Mo-
derados waren gleich erfreut über ein Ereigniß, welches dein gemeinsamen
Feinde den Untergang drohte. Bald stellte sich aus den vielen tausend Ge¬
rüchten als eine Wahrheit heraus, daß die Reiterei von Alcala sich den Auf¬
ständischen, angeschlossen, und daß zweitausend Dragoner, begleitet von einet"
kleinen, aber zuverlässigen Corps Infanterie, in feindlicher Haltung dicht bei
Madrid standen. Gegen Abend erwachte endlich die Behörde aus ihrer Be¬
täubung. Die Aufständischen hatten versäumt, den Telegraphen zwischen Ma¬
drid und Aranjuez zu zerstören, die Königin hatte' Nachricht von dem ausge¬
brochenen Aufstand erhalten, und ihre nahebevorstehende Rückkehr zurückmelde"
lassen. Die Straßen füllten sich alsbald mit Truppen, eine festliche Erleuch-


ihrer Sache, war, aber soviel ist gewiß, daß das Ministerium keine Vorsichts¬
maßregeln traf, obgleich es Nachrichten von der drohenden Verschwörung, und
von DulceS Theilnahme an derselben hatte. Dulce blieb auf seinem^ einflu߬
reichen Posten, es vergingen 14 ganze Tage nach dem ersten todtgebornen
Aufstand für Madrid in steter Erwartung eines neuen, ohne daß etwas zu
seiner Vorbeugung geschah. Schon glaubten die Madrider nicht mehr an eine
Wiederholung des ersten Versuchs, als sie am Morgen des 28. Juni erfuhren,
daß Dulce unter dem Vorwand einer Revue vor der Stadt die i Schwadronen
Cavalerio, welche in Madrid lagen, sowie ein Bataillon des Regiments Prin¬
cipe und ein paar Compagnien von andern Regimentern gesammelt, und sie,
begleitet von O'Donnell, nach Alcala geführt habe, um auch die dortliegenden
Truppen für den Aufstand zu gewinnen. Noch andere Generale sollten sich
ihm angeschlossen haben, doch war es schwer, etwas Zuverlässiges zu erfahren.
Madrid bot an diesem Tage einen seltsamen Anblick dar. Die Königin und
der Hof waren zwei Tage vorher nach dem Escurial gezogen; sämmtliche Mi¬
nister mit Ausnahme von zweien waren abwesend; und die zwei anwesenden
waren von dem plötzlichen Ereigniß wie gelähmt, und allem Anscheine nach
hilflos. Es wurde nichts gethan, nicht einmal die Truppen unter die Waffen
gerufen. Eine Zeitlang hätte man glauben können, daß mit Ausnahme von
etwa -1300 Mann sämmtliche Truppen mit den aufständischen Generalen die
Stadt verlassen hätten; mehre Stunden lang war die Stadt thatsächlich i"
den Händen des Volks, und wäre es aufgestanden, so würde es wahrscheinlich
einen leichten Sieg davongetragen haben, denn viele von den in Madrid zu¬
rückgebliebenen Truppen waren unzufrieden, und hätten sich den Bürgern an¬
geschlossen. Eine große Aufregung herrschte; daS allgemeine Gefühl war das
der freudigen Hoffnung, eines Ministeriums entledigt zu werden, das allgemein
verhaßt war. Die Puerta del Sol, der Sammelplatz aller politischen Kanne¬
gießer, und die vornehmsten Straßen standen voll von Gruppen, die eifrig die
Tagesereignisse besprachen; Freunde und Bekannte grüßten sich mit freudigen
Gesichtern und schüttelten sich glückwünschend die Hände — Liberale und Mo-
derados waren gleich erfreut über ein Ereigniß, welches dein gemeinsamen
Feinde den Untergang drohte. Bald stellte sich aus den vielen tausend Ge¬
rüchten als eine Wahrheit heraus, daß die Reiterei von Alcala sich den Auf¬
ständischen, angeschlossen, und daß zweitausend Dragoner, begleitet von einet»
kleinen, aber zuverlässigen Corps Infanterie, in feindlicher Haltung dicht bei
Madrid standen. Gegen Abend erwachte endlich die Behörde aus ihrer Be¬
täubung. Die Aufständischen hatten versäumt, den Telegraphen zwischen Ma¬
drid und Aranjuez zu zerstören, die Königin hatte' Nachricht von dem ausge¬
brochenen Aufstand erhalten, und ihre nahebevorstehende Rückkehr zurückmelde»
lassen. Die Straßen füllten sich alsbald mit Truppen, eine festliche Erleuch-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281623"/>
          <p xml:id="ID_1432" prev="#ID_1431" next="#ID_1433"> ihrer Sache, war, aber soviel ist gewiß, daß das Ministerium keine Vorsichts¬<lb/>
maßregeln traf, obgleich es Nachrichten von der drohenden Verschwörung, und<lb/>
von DulceS Theilnahme an derselben hatte. Dulce blieb auf seinem^ einflu߬<lb/>
reichen Posten, es vergingen 14 ganze Tage nach dem ersten todtgebornen<lb/>
Aufstand für Madrid in steter Erwartung eines neuen, ohne daß etwas zu<lb/>
seiner Vorbeugung geschah. Schon glaubten die Madrider nicht mehr an eine<lb/>
Wiederholung des ersten Versuchs, als sie am Morgen des 28. Juni erfuhren,<lb/>
daß Dulce unter dem Vorwand einer Revue vor der Stadt die i Schwadronen<lb/>
Cavalerio, welche in Madrid lagen, sowie ein Bataillon des Regiments Prin¬<lb/>
cipe und ein paar Compagnien von andern Regimentern gesammelt, und sie,<lb/>
begleitet von O'Donnell, nach Alcala geführt habe, um auch die dortliegenden<lb/>
Truppen für den Aufstand zu gewinnen. Noch andere Generale sollten sich<lb/>
ihm angeschlossen haben, doch war es schwer, etwas Zuverlässiges zu erfahren.<lb/>
Madrid bot an diesem Tage einen seltsamen Anblick dar. Die Königin und<lb/>
der Hof waren zwei Tage vorher nach dem Escurial gezogen; sämmtliche Mi¬<lb/>
nister mit Ausnahme von zweien waren abwesend; und die zwei anwesenden<lb/>
waren von dem plötzlichen Ereigniß wie gelähmt, und allem Anscheine nach<lb/>
hilflos. Es wurde nichts gethan, nicht einmal die Truppen unter die Waffen<lb/>
gerufen. Eine Zeitlang hätte man glauben können, daß mit Ausnahme von<lb/>
etwa -1300 Mann sämmtliche Truppen mit den aufständischen Generalen die<lb/>
Stadt verlassen hätten; mehre Stunden lang war die Stadt thatsächlich i"<lb/>
den Händen des Volks, und wäre es aufgestanden, so würde es wahrscheinlich<lb/>
einen leichten Sieg davongetragen haben, denn viele von den in Madrid zu¬<lb/>
rückgebliebenen Truppen waren unzufrieden, und hätten sich den Bürgern an¬<lb/>
geschlossen. Eine große Aufregung herrschte; daS allgemeine Gefühl war das<lb/>
der freudigen Hoffnung, eines Ministeriums entledigt zu werden, das allgemein<lb/>
verhaßt war. Die Puerta del Sol, der Sammelplatz aller politischen Kanne¬<lb/>
gießer, und die vornehmsten Straßen standen voll von Gruppen, die eifrig die<lb/>
Tagesereignisse besprachen; Freunde und Bekannte grüßten sich mit freudigen<lb/>
Gesichtern und schüttelten sich glückwünschend die Hände &#x2014; Liberale und Mo-<lb/>
derados waren gleich erfreut über ein Ereigniß, welches dein gemeinsamen<lb/>
Feinde den Untergang drohte. Bald stellte sich aus den vielen tausend Ge¬<lb/>
rüchten als eine Wahrheit heraus, daß die Reiterei von Alcala sich den Auf¬<lb/>
ständischen, angeschlossen, und daß zweitausend Dragoner, begleitet von einet»<lb/>
kleinen, aber zuverlässigen Corps Infanterie, in feindlicher Haltung dicht bei<lb/>
Madrid standen. Gegen Abend erwachte endlich die Behörde aus ihrer Be¬<lb/>
täubung. Die Aufständischen hatten versäumt, den Telegraphen zwischen Ma¬<lb/>
drid und Aranjuez zu zerstören, die Königin hatte' Nachricht von dem ausge¬<lb/>
brochenen Aufstand erhalten, und ihre nahebevorstehende Rückkehr zurückmelde»<lb/>
lassen.  Die Straßen füllten sich alsbald mit Truppen, eine festliche Erleuch-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0472] ihrer Sache, war, aber soviel ist gewiß, daß das Ministerium keine Vorsichts¬ maßregeln traf, obgleich es Nachrichten von der drohenden Verschwörung, und von DulceS Theilnahme an derselben hatte. Dulce blieb auf seinem^ einflu߬ reichen Posten, es vergingen 14 ganze Tage nach dem ersten todtgebornen Aufstand für Madrid in steter Erwartung eines neuen, ohne daß etwas zu seiner Vorbeugung geschah. Schon glaubten die Madrider nicht mehr an eine Wiederholung des ersten Versuchs, als sie am Morgen des 28. Juni erfuhren, daß Dulce unter dem Vorwand einer Revue vor der Stadt die i Schwadronen Cavalerio, welche in Madrid lagen, sowie ein Bataillon des Regiments Prin¬ cipe und ein paar Compagnien von andern Regimentern gesammelt, und sie, begleitet von O'Donnell, nach Alcala geführt habe, um auch die dortliegenden Truppen für den Aufstand zu gewinnen. Noch andere Generale sollten sich ihm angeschlossen haben, doch war es schwer, etwas Zuverlässiges zu erfahren. Madrid bot an diesem Tage einen seltsamen Anblick dar. Die Königin und der Hof waren zwei Tage vorher nach dem Escurial gezogen; sämmtliche Mi¬ nister mit Ausnahme von zweien waren abwesend; und die zwei anwesenden waren von dem plötzlichen Ereigniß wie gelähmt, und allem Anscheine nach hilflos. Es wurde nichts gethan, nicht einmal die Truppen unter die Waffen gerufen. Eine Zeitlang hätte man glauben können, daß mit Ausnahme von etwa -1300 Mann sämmtliche Truppen mit den aufständischen Generalen die Stadt verlassen hätten; mehre Stunden lang war die Stadt thatsächlich i" den Händen des Volks, und wäre es aufgestanden, so würde es wahrscheinlich einen leichten Sieg davongetragen haben, denn viele von den in Madrid zu¬ rückgebliebenen Truppen waren unzufrieden, und hätten sich den Bürgern an¬ geschlossen. Eine große Aufregung herrschte; daS allgemeine Gefühl war das der freudigen Hoffnung, eines Ministeriums entledigt zu werden, das allgemein verhaßt war. Die Puerta del Sol, der Sammelplatz aller politischen Kanne¬ gießer, und die vornehmsten Straßen standen voll von Gruppen, die eifrig die Tagesereignisse besprachen; Freunde und Bekannte grüßten sich mit freudigen Gesichtern und schüttelten sich glückwünschend die Hände — Liberale und Mo- derados waren gleich erfreut über ein Ereigniß, welches dein gemeinsamen Feinde den Untergang drohte. Bald stellte sich aus den vielen tausend Ge¬ rüchten als eine Wahrheit heraus, daß die Reiterei von Alcala sich den Auf¬ ständischen, angeschlossen, und daß zweitausend Dragoner, begleitet von einet» kleinen, aber zuverlässigen Corps Infanterie, in feindlicher Haltung dicht bei Madrid standen. Gegen Abend erwachte endlich die Behörde aus ihrer Be¬ täubung. Die Aufständischen hatten versäumt, den Telegraphen zwischen Ma¬ drid und Aranjuez zu zerstören, die Königin hatte' Nachricht von dem ausge¬ brochenen Aufstand erhalten, und ihre nahebevorstehende Rückkehr zurückmelde» lassen. Die Straßen füllten sich alsbald mit Truppen, eine festliche Erleuch-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/472
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/472>, abgerufen am 01.09.2024.