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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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zeigte es sich im Jahre 1813 deutlich, daß es die Absicht der Russen war,
Ostpreußen bis zur Weichsel für Nußland zu occupiren und dann Halt zu
machen, Das muthige Benehmen der Patrioten in Königsberg störte den
'Plan, Sie wiesen die russischen Befehle zurück, wußten es durchzusetzen, daß
die Volksbewaffnung nicht auf russische Ordre, sondern aus dem eignen Geist
der Nation durch die eignen Stände erfolgte, daß nicht durch preußische That¬
kraft ein Fremdherrscher um eines andern willen gestürzt, sondern durch die
selbstständige kriegerische Thätigkeit des Volks eine wirkliche Befreiung herbei¬
geführt werde. Seitdem richtete die russische Politik ihr Hauptaugenmerk auf
Danzig, die Beherrscherin des Mündungslandcs der Weichsel, desjenigen
Stromes, den Nußland so gern zu einem ausschließlich russische" macheu
Möchte.

Das Corps, dem die Eroberung dieses wichtigen von dem tapfern fran¬
zösischen General Rapp vertheidigten Punktes anvertraut wurde, war unter
den Befehl des Herzogs Alexander von Würtemberg gestellt, der 1801 in die
Dienste des Kaisers Paul vou Nußland, seines Schwagers, getreten, von
Kaiser Alexander zum Generalgouvemeur von Weißrußland ernannt war und
>>r der Schlacht bei Mosaisk nach Bagrations Verwundung den linken Flügel
commandirt hatte. "Er war dem russischen Kaiser umsomehr ergeben, als er
">it seinem Bruder, dem Könige von Würtemberg, in gespannten Verhält¬
nissen lebte und von ihm nicht die Mittel zum fürstlichen Aufwand erhielt."
Bei diesen persönlichen Beziehungen und seiner verwandschaftlichen Stellung
als Oheim des Kaisers darf man wol annehmen, daß der Herzog in die tie¬
fern Absichten der russischen Politik eingeweiht war, zumal da sein Ben-ahnen
während der Belagerung und namentlich nach der Kapitulation genau von
demselben Geiste dictirt ist, der aus den bekannten Tendenzen des russischen
Oberbefehlshabers hervorleuchtet. Der Herzog brachte nach Danzig den General-
ü'nttenant Fürsten Wolchonski, den Generallieutenant Boroödin und den
Generalmajor Waljaminoff. den letztern als Chef des Generalstabes, mit. "Die
b°>den ersten Generale schienen ihm beigegeben zu sein, um im Hauptquartier
Herzogs das specifisch russische Interesse wahrzunehmen und die
russische Politik zu verfolgen, welche seit Peter l. unablässig Eroberungen nach
besten zu machen sucht, besonders die Ostsee ausschließlich gewinnen will,
^''d also auch nach dem Besitz von Danzig strebt. Sie standen keiner Truppen-
Theilung vor, hatten auch sonst keine bestimmten Dienstgeschäfte und traten
"Ur bei wichtigen Angelegenheiten als Bevollmächtigte des Herzogs auf." In
^'r That war es Kutusowö Absicht, die Weichsel zur russischen Grenze zu
"'ander und demgemäß Danzig und Thorn ausschließlich durch russische Truppen
Zobern und besetzen zu lassen. In diesem Geiste schrieb Kutusow gleich nach
Einnahme Pillauö an Wittgenstein: "Das preußische Corps unter York


zeigte es sich im Jahre 1813 deutlich, daß es die Absicht der Russen war,
Ostpreußen bis zur Weichsel für Nußland zu occupiren und dann Halt zu
machen, Das muthige Benehmen der Patrioten in Königsberg störte den
'Plan, Sie wiesen die russischen Befehle zurück, wußten es durchzusetzen, daß
die Volksbewaffnung nicht auf russische Ordre, sondern aus dem eignen Geist
der Nation durch die eignen Stände erfolgte, daß nicht durch preußische That¬
kraft ein Fremdherrscher um eines andern willen gestürzt, sondern durch die
selbstständige kriegerische Thätigkeit des Volks eine wirkliche Befreiung herbei¬
geführt werde. Seitdem richtete die russische Politik ihr Hauptaugenmerk auf
Danzig, die Beherrscherin des Mündungslandcs der Weichsel, desjenigen
Stromes, den Nußland so gern zu einem ausschließlich russische» macheu
Möchte.

Das Corps, dem die Eroberung dieses wichtigen von dem tapfern fran¬
zösischen General Rapp vertheidigten Punktes anvertraut wurde, war unter
den Befehl des Herzogs Alexander von Würtemberg gestellt, der 1801 in die
Dienste des Kaisers Paul vou Nußland, seines Schwagers, getreten, von
Kaiser Alexander zum Generalgouvemeur von Weißrußland ernannt war und
>>r der Schlacht bei Mosaisk nach Bagrations Verwundung den linken Flügel
commandirt hatte. „Er war dem russischen Kaiser umsomehr ergeben, als er
">it seinem Bruder, dem Könige von Würtemberg, in gespannten Verhält¬
nissen lebte und von ihm nicht die Mittel zum fürstlichen Aufwand erhielt."
Bei diesen persönlichen Beziehungen und seiner verwandschaftlichen Stellung
als Oheim des Kaisers darf man wol annehmen, daß der Herzog in die tie¬
fern Absichten der russischen Politik eingeweiht war, zumal da sein Ben-ahnen
während der Belagerung und namentlich nach der Kapitulation genau von
demselben Geiste dictirt ist, der aus den bekannten Tendenzen des russischen
Oberbefehlshabers hervorleuchtet. Der Herzog brachte nach Danzig den General-
ü'nttenant Fürsten Wolchonski, den Generallieutenant Boroödin und den
Generalmajor Waljaminoff. den letztern als Chef des Generalstabes, mit. „Die
b°>den ersten Generale schienen ihm beigegeben zu sein, um im Hauptquartier
Herzogs das specifisch russische Interesse wahrzunehmen und die
russische Politik zu verfolgen, welche seit Peter l. unablässig Eroberungen nach
besten zu machen sucht, besonders die Ostsee ausschließlich gewinnen will,
^''d also auch nach dem Besitz von Danzig strebt. Sie standen keiner Truppen-
Theilung vor, hatten auch sonst keine bestimmten Dienstgeschäfte und traten
"Ur bei wichtigen Angelegenheiten als Bevollmächtigte des Herzogs auf." In
^'r That war es Kutusowö Absicht, die Weichsel zur russischen Grenze zu
"'ander und demgemäß Danzig und Thorn ausschließlich durch russische Truppen
Zobern und besetzen zu lassen. In diesem Geiste schrieb Kutusow gleich nach
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/461>, abgerufen am 01.09.2024.