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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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erschüttert hatten .... und als nun im Namen des Volks einige tausende
gegen das Bestehende auftraten, zog man sich zurück, nicht weil man un¬
vermögend war zu widerstehen, sondern weil man es im Gefühl seines Unrechts
nicht einmal zu versuche" wagte." -- Den Grund dieses Uebels, welches die
Gegenwart noch ebenso stark bedroht, hofft er nur dann zu entfernen, wenn
man die Methode, welche Bacon zur Reform der Philosophie anwendete, auf
die Staatswissenschaft ausdehnt. "Finden wir in der gegenwärtigen Lage
der Staatswissenschaften nicht alles dasjenige wieder, was Bacon zu seiner Zeit
als die Ursache der Stagnation der Wissenschaft überhaupt angenommen hat?
Finden wir nicht dieselbe Sucht und Leichtigkeit, allgemeine Grundsätze aufzu¬
stellen, von denen sich das übrige, ohne die Erfahrung weiter zu berücksichtige",
auf rein theoretischem Wege ableiten läßt? Beweisen wir im Gebiete der
Staatswissenschaft nicht denselben Hang, überall nach Analogien zu schließen
und jede einzelne Thatsache zum System zu erheben? Geben wir uns nicht
dieselbe Mühe, dasjenige, was wir einmal angenommen, weil wirs geglaubt
oder angenehm gefunden, immer bestätigt zu finden, und jede Erfahrung, welche
dawider spricht, zu verachten oder solange an ihr herumzudeuten, bis sie >"
unsern Kram paßt, mehr bedacht, wie wir unsre einmal ausgesprochene Ansicht
faßlich darstellen können, als daß wir dieselbe zu berichtigen suchten?"

Gewiß ist diese Kritik überlieferter und daher unklar gewordener Idee"
eine sehr heilsame. Nur muß man sich davor hüten, daß man nicht in den¬
selben Fehler verfällt, wie die Idealisten, daß man nicht gleichfalls systematisirt-
Und diesem Fehler ist der Verfasser nicht ganz entgangen. Schon die Zus"'"'
menftellung der drei Ideen Freiheit, Gleichheit und Nationalität ist eine >"-
correcte. Die beiden ersten Ausdrücke hatten ursprünglich nur eine ganz ne¬
gative Beziehung, sie waren gegen den Druck und die Willkür des Despotis¬
mus gerichtet, während die letzte gleich von vornherein einen positiven u"v
ideellen Inhalt zeigte. Wenn man dem Druck eines despotischen Regiments
gegenüber, das in alle Lebensverhältnisse eingreift, die Sehnsucht nach Sc¬
heit empfindet und dieselbe soviel es geht zu bethätigen sucht; wenn >"""
einer geschlossenen Aristokratie gegenüber, deren Angehörige das Volk in se'
dem Augenblick beschimpfen und beeinträchtigen, das Verlangen der Gleichheit
ausspricht; so sind das zunächst ganz aus der Natur der Sache hervorgehe"^'
Bedürfnisse, die als solche sich mit historischer Kraft geltendmachen und erst
später bei dem Bestreben, alles zu verallgemeinern, zu Ideen verarbeitet werde",
wo man sie dann als künstliche Triebräder der Politik benutzt. Die absurde"
Konsequenzen dieser Ideen zu ziehen, ist eigentlich ein sehr leichtes Geschah'
denn der abstracte Freiheitsenthusiast, wenn er allen Sinn verliert, wird z"leV
verlangen, daß jedem alles erlaubt sein solle, daß z. B. niemand sich hcreininische"
solle, wenn einer den andern erschlüge u. s. w.; und der abstracte Gleichheit


erschüttert hatten .... und als nun im Namen des Volks einige tausende
gegen das Bestehende auftraten, zog man sich zurück, nicht weil man un¬
vermögend war zu widerstehen, sondern weil man es im Gefühl seines Unrechts
nicht einmal zu versuche» wagte." — Den Grund dieses Uebels, welches die
Gegenwart noch ebenso stark bedroht, hofft er nur dann zu entfernen, wenn
man die Methode, welche Bacon zur Reform der Philosophie anwendete, auf
die Staatswissenschaft ausdehnt. „Finden wir in der gegenwärtigen Lage
der Staatswissenschaften nicht alles dasjenige wieder, was Bacon zu seiner Zeit
als die Ursache der Stagnation der Wissenschaft überhaupt angenommen hat?
Finden wir nicht dieselbe Sucht und Leichtigkeit, allgemeine Grundsätze aufzu¬
stellen, von denen sich das übrige, ohne die Erfahrung weiter zu berücksichtige»,
auf rein theoretischem Wege ableiten läßt? Beweisen wir im Gebiete der
Staatswissenschaft nicht denselben Hang, überall nach Analogien zu schließen
und jede einzelne Thatsache zum System zu erheben? Geben wir uns nicht
dieselbe Mühe, dasjenige, was wir einmal angenommen, weil wirs geglaubt
oder angenehm gefunden, immer bestätigt zu finden, und jede Erfahrung, welche
dawider spricht, zu verachten oder solange an ihr herumzudeuten, bis sie >»
unsern Kram paßt, mehr bedacht, wie wir unsre einmal ausgesprochene Ansicht
faßlich darstellen können, als daß wir dieselbe zu berichtigen suchten?"

Gewiß ist diese Kritik überlieferter und daher unklar gewordener Idee»
eine sehr heilsame. Nur muß man sich davor hüten, daß man nicht in den¬
selben Fehler verfällt, wie die Idealisten, daß man nicht gleichfalls systematisirt-
Und diesem Fehler ist der Verfasser nicht ganz entgangen. Schon die Zus"'»'
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correcte. Die beiden ersten Ausdrücke hatten ursprünglich nur eine ganz ne¬
gative Beziehung, sie waren gegen den Druck und die Willkür des Despotis¬
mus gerichtet, während die letzte gleich von vornherein einen positiven u»v
ideellen Inhalt zeigte. Wenn man dem Druck eines despotischen Regiments
gegenüber, das in alle Lebensverhältnisse eingreift, die Sehnsucht nach Sc¬
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einer geschlossenen Aristokratie gegenüber, deren Angehörige das Volk in se'
dem Augenblick beschimpfen und beeinträchtigen, das Verlangen der Gleichheit
ausspricht; so sind das zunächst ganz aus der Natur der Sache hervorgehe»^'
Bedürfnisse, die als solche sich mit historischer Kraft geltendmachen und erst
später bei dem Bestreben, alles zu verallgemeinern, zu Ideen verarbeitet werde»,
wo man sie dann als künstliche Triebräder der Politik benutzt. Die absurde»
Konsequenzen dieser Ideen zu ziehen, ist eigentlich ein sehr leichtes Geschah'
denn der abstracte Freiheitsenthusiast, wenn er allen Sinn verliert, wird z»leV
verlangen, daß jedem alles erlaubt sein solle, daß z. B. niemand sich hcreininische"
solle, wenn einer den andern erschlüge u. s. w.; und der abstracte Gleichheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/430>, abgerufen am 01.09.2024.