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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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besprochene Schrift: "die Gleichberechtigung der Nationalitäten." In demselben
Jahre kehrte er nach Ungarn zurück.

Man hat in dem vorliegenden Buch eine konservative Gesinnung finden
wollen, die mit seiner Vergangenheit nicht ganz übereinstimmen sollte. Indeß
darf man ihn in keiner Beziehung zu der Partei rechnen, die sich selbst die
konservative nennt. Er findet vielmehr in derselben nur einen neuen Ausdruck
für die Verirrung des Zeitgeistes im allgemeinen, dessen Gebrechen sie dann
am meisten unterliegt, wenn sie ihn am eifrigsten bekämpft. Die Reaction,
welche in diesem Buch allerdings herrscht, ist nickt gegen eine bestimmte Partei,
sondern gegen den politischen Idealismus im allgemeinen gerichtet. Er hat
die Ideen, die ihn selbst eine große Zeit seines Lebens bewegten, die aber schon
der unmittelbaren Erfahrung ihn täuschten, einer scharfsinnigen Dialektik
Unterworfen und ist zu dem Resultat gekommen, daß sie sich selbst widersprechen
Und daß, wenn man sie in der Hand der Leidenschaften frei walten läßt, sie
"ur Auflösung aller Civilisation führen müssen.

Diese Ideen sind Freiheit, Gleichheit und Nationalität. Er findet sie nicht
^'se in der neuesten Zeit wirksam, sondern als den Grundgedanken der ganzen
Neuen Geschichte. Er findet aber, daß sie in den Händen der Gebildeten, die
^es ihrer bemächtigten, einen ganz andern Sinn angenommen haben, als ur¬
sprünglich in ihnen lag. "Ideen wirken nicht blos aus jene, für welche die
^lgcrungcn, die man daraus ziehen kann, günstig sind, ihr Einfluß ist ein
^gemeiner, ja er ist bei jenen, die sich durch dieselben in ihrer Stellung
edrvht sehen, fast immer am mächtigsten. Die Begriffe der Freiheit und
Weichheit, die Ueberzeugung, daß Unrecht sei, wenn der Staat gewisse Classen
lUner Bürger zum Nachtheil anderer bevorzugt, ist vielleicht weniger allgemein
^6 Volk gedrungen, als man glaubt. Die große Mehrzahl der Bewohner
^ankreichs war sichs schwerlich klar bewußt, daß eine Verfassung/ welche das
-Princip der Gleichheit als Hauptgrundsatz anerkennt und die Ausübung der
^Wischer Rechte auf Vinc> der Bevölkerung beschränkt, den größten Gegensatz
" sich selbst enthält, und daß ein Königthum, welches außer dem Willen des
"Uvcränen Volks keine Grundlage besitzt und seinen eignen Willen dem der-
^"'gen, die man i^Uoue.juris für das Volk hält -- der Wähler -- zu sub-
^ uiren bemüht ist, sich selbst untergräbt. -- Doch wenn die große Mehrheit
>v , hierüber auch im Dunkeln war, die höhern Classen der Gesellschaft
fiir^? ^ Wie die Begriffe der Gleichheit und Volkssouveränetät
^ne große Mehrheit derselben längst zu einer theoretischen Ueberzeugung
l>tert^ ' ^ ^ Socte6'"cenar in Frankreich, die die Unhalt-
jene^>^ bchchmden Verhältnisse einsahen. Es war ihnen bekannt, daß alle
^ die soviele Verwaltungen seit der Julirevolution angewandt hatten,
le Staatsmaschine in ihrer Richtung zu erhalten, die Grundlagen derselben


besprochene Schrift: „die Gleichberechtigung der Nationalitäten." In demselben
Jahre kehrte er nach Ungarn zurück.

Man hat in dem vorliegenden Buch eine konservative Gesinnung finden
wollen, die mit seiner Vergangenheit nicht ganz übereinstimmen sollte. Indeß
darf man ihn in keiner Beziehung zu der Partei rechnen, die sich selbst die
konservative nennt. Er findet vielmehr in derselben nur einen neuen Ausdruck
für die Verirrung des Zeitgeistes im allgemeinen, dessen Gebrechen sie dann
am meisten unterliegt, wenn sie ihn am eifrigsten bekämpft. Die Reaction,
welche in diesem Buch allerdings herrscht, ist nickt gegen eine bestimmte Partei,
sondern gegen den politischen Idealismus im allgemeinen gerichtet. Er hat
die Ideen, die ihn selbst eine große Zeit seines Lebens bewegten, die aber schon
der unmittelbaren Erfahrung ihn täuschten, einer scharfsinnigen Dialektik
Unterworfen und ist zu dem Resultat gekommen, daß sie sich selbst widersprechen
Und daß, wenn man sie in der Hand der Leidenschaften frei walten läßt, sie
»ur Auflösung aller Civilisation führen müssen.

Diese Ideen sind Freiheit, Gleichheit und Nationalität. Er findet sie nicht
^'se in der neuesten Zeit wirksam, sondern als den Grundgedanken der ganzen
Neuen Geschichte. Er findet aber, daß sie in den Händen der Gebildeten, die
^es ihrer bemächtigten, einen ganz andern Sinn angenommen haben, als ur¬
sprünglich in ihnen lag. „Ideen wirken nicht blos aus jene, für welche die
^lgcrungcn, die man daraus ziehen kann, günstig sind, ihr Einfluß ist ein
^gemeiner, ja er ist bei jenen, die sich durch dieselben in ihrer Stellung
edrvht sehen, fast immer am mächtigsten. Die Begriffe der Freiheit und
Weichheit, die Ueberzeugung, daß Unrecht sei, wenn der Staat gewisse Classen
lUner Bürger zum Nachtheil anderer bevorzugt, ist vielleicht weniger allgemein
^6 Volk gedrungen, als man glaubt. Die große Mehrzahl der Bewohner
^ankreichs war sichs schwerlich klar bewußt, daß eine Verfassung/ welche das
-Princip der Gleichheit als Hauptgrundsatz anerkennt und die Ausübung der
^Wischer Rechte auf Vinc> der Bevölkerung beschränkt, den größten Gegensatz
" sich selbst enthält, und daß ein Königthum, welches außer dem Willen des
"Uvcränen Volks keine Grundlage besitzt und seinen eignen Willen dem der-
^"'gen, die man i^Uoue.juris für das Volk hält — der Wähler — zu sub-
^ uiren bemüht ist, sich selbst untergräbt. — Doch wenn die große Mehrheit
>v , hierüber auch im Dunkeln war, die höhern Classen der Gesellschaft
fiir^? ^ Wie die Begriffe der Gleichheit und Volkssouveränetät
^ne große Mehrheit derselben längst zu einer theoretischen Ueberzeugung
l>tert^ ' ^ ^ Socte6'"cenar in Frankreich, die die Unhalt-
jene^>^ bchchmden Verhältnisse einsahen. Es war ihnen bekannt, daß alle
^ die soviele Verwaltungen seit der Julirevolution angewandt hatten,
le Staatsmaschine in ihrer Richtung zu erhalten, die Grundlagen derselben


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[0429] besprochene Schrift: „die Gleichberechtigung der Nationalitäten." In demselben Jahre kehrte er nach Ungarn zurück. Man hat in dem vorliegenden Buch eine konservative Gesinnung finden wollen, die mit seiner Vergangenheit nicht ganz übereinstimmen sollte. Indeß darf man ihn in keiner Beziehung zu der Partei rechnen, die sich selbst die konservative nennt. Er findet vielmehr in derselben nur einen neuen Ausdruck für die Verirrung des Zeitgeistes im allgemeinen, dessen Gebrechen sie dann am meisten unterliegt, wenn sie ihn am eifrigsten bekämpft. Die Reaction, welche in diesem Buch allerdings herrscht, ist nickt gegen eine bestimmte Partei, sondern gegen den politischen Idealismus im allgemeinen gerichtet. Er hat die Ideen, die ihn selbst eine große Zeit seines Lebens bewegten, die aber schon der unmittelbaren Erfahrung ihn täuschten, einer scharfsinnigen Dialektik Unterworfen und ist zu dem Resultat gekommen, daß sie sich selbst widersprechen Und daß, wenn man sie in der Hand der Leidenschaften frei walten läßt, sie »ur Auflösung aller Civilisation führen müssen. Diese Ideen sind Freiheit, Gleichheit und Nationalität. Er findet sie nicht ^'se in der neuesten Zeit wirksam, sondern als den Grundgedanken der ganzen Neuen Geschichte. Er findet aber, daß sie in den Händen der Gebildeten, die ^es ihrer bemächtigten, einen ganz andern Sinn angenommen haben, als ur¬ sprünglich in ihnen lag. „Ideen wirken nicht blos aus jene, für welche die ^lgcrungcn, die man daraus ziehen kann, günstig sind, ihr Einfluß ist ein ^gemeiner, ja er ist bei jenen, die sich durch dieselben in ihrer Stellung edrvht sehen, fast immer am mächtigsten. Die Begriffe der Freiheit und Weichheit, die Ueberzeugung, daß Unrecht sei, wenn der Staat gewisse Classen lUner Bürger zum Nachtheil anderer bevorzugt, ist vielleicht weniger allgemein ^6 Volk gedrungen, als man glaubt. Die große Mehrzahl der Bewohner ^ankreichs war sichs schwerlich klar bewußt, daß eine Verfassung/ welche das -Princip der Gleichheit als Hauptgrundsatz anerkennt und die Ausübung der ^Wischer Rechte auf Vinc> der Bevölkerung beschränkt, den größten Gegensatz " sich selbst enthält, und daß ein Königthum, welches außer dem Willen des "Uvcränen Volks keine Grundlage besitzt und seinen eignen Willen dem der- ^"'gen, die man i^Uoue.juris für das Volk hält — der Wähler — zu sub- ^ uiren bemüht ist, sich selbst untergräbt. — Doch wenn die große Mehrheit >v , hierüber auch im Dunkeln war, die höhern Classen der Gesellschaft fiir^? ^ Wie die Begriffe der Gleichheit und Volkssouveränetät ^ne große Mehrheit derselben längst zu einer theoretischen Ueberzeugung l>tert^ ' ^ ^ Socte6'"cenar in Frankreich, die die Unhalt- jene^>^ bchchmden Verhältnisse einsahen. Es war ihnen bekannt, daß alle ^ die soviele Verwaltungen seit der Julirevolution angewandt hatten, le Staatsmaschine in ihrer Richtung zu erhalten, die Grundlagen derselben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/429>, abgerufen am 01.09.2024.