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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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solche Polemik einzulassen. Einmal ist sie unnöthig, denn wenn seine Dich¬
tung wirklich soviel Lebensmotivc enthält, um das unbefangen recipirende
Publieum zu erregen, so wird der böse Wille der gesammten Kritik diesen
Erfolg nicht schmälern können. Sodann verläßt der Dichter, indem er seine
eignen Werke interpretier, seine günstige Stellung, und verirrt sich in das
Gebiet der Prosa. So ist es auch Herrn Jordan in dieser Parabase gegan¬
gen. Sie ist zwar in Otlaverimen, aber trotz dieser Reime enthält sie doch
die nackteste Prosa. Darum finden wir den prosaischen Commentar zum
Demiurgos, der auf buchhSndlerischem Wege verbreitet wird, und der auch
einmal als Beilage in unsrem Journal mitgegeben ist, viel zweckmäßiger. Der
Eindruck des Gedichts an sich wird zwar nichts dadurch gewinnen, daß man
dem Publicum erzählt, was es eigentlich bedeuten soll, so wenig wie in unsrer
Zeit das Verständniß eines Gemäldes, wenn man den Personen Zettel in
den Mund klebt, worauf geschrieben steht, was sie eben sagen. Allein der
Kritik wird dadurch das Geschäft erleichtert, denn sie erhält eine authen¬
tische Interpretation von dem, was der Dichter gewollt hat, und kann daS,
was er geleistet, an diesem Maßstab messen.

Da die Frage eine allgemeine ist und sich nicht blos auf das gegenwär¬
tige Gedicht bezieht, so gehen wir mit einigen Worten darauf ein. He"
Jordan macht sich über seine Kritiker lustig, die von dem Dichter verlange",
er solle nur concrete Gegenstände darstellen, wie geringfügig diese auch sei"
mögen, und stellt es als eine Erniedrigung der Poesie dar, wenn man dieser
das Geschäft zuweist, eine Milbe oder einen Baum oder eine Tischlerwerkstätte
zu besingen, anstatt einen Gott oder das Ganze des Universums u. s. >">
Allein so ist die Frage nicht richtig gestellt. Wenn der Genius eines Dichtet
so groß ist, uns einen Gott oder das Ganze deö Universums in einem con-
creten Bilde zu lebendiger Gegenwart vorzuführen, so werden wir ihn deshalb
nicht tadeln, sondern wir werden ihn loben, preisen und anbeten. Wenn aber
das Talent eines Dichters zu einer so schwierigen Aufgabe nicht ausreicht,
wenn mit seinen weitumfassenden Tendenzen nichts weiter gewonnen wird, als
eine zusammenhangslose Reihe blasser Schemen, so werden wir ihn aussi"'-
der", von seinem zwecklosen Unternehmen abzulassen, und statt dessen etwas
zu schildern, was er mit seinem Sinn, seinem Gemüth und seiner Einbildungs¬
kraft wirklich umspannen kann, sei es auch nur eine Milbe, ein Baum oder
eine Tischlerwerkstätte. Und indem wir so verfahren, können wir eine groß'''
Autorität für uns anführen, nämlich Goethe, der in seinem spätern Alter
jedem jungen Dichter als ersten Grundsatz einschärfte, nichts darstellen i"
wollen, was er nicht vollständig durchschaute und beherrschte. Goethe hat
diese Marime stets befolgt. Er ist im Gedicht überall von seinen unmit¬
telbaren Empfindungen ausgegangen, und wenn eins dieser Gedichte, der


solche Polemik einzulassen. Einmal ist sie unnöthig, denn wenn seine Dich¬
tung wirklich soviel Lebensmotivc enthält, um das unbefangen recipirende
Publieum zu erregen, so wird der böse Wille der gesammten Kritik diesen
Erfolg nicht schmälern können. Sodann verläßt der Dichter, indem er seine
eignen Werke interpretier, seine günstige Stellung, und verirrt sich in das
Gebiet der Prosa. So ist es auch Herrn Jordan in dieser Parabase gegan¬
gen. Sie ist zwar in Otlaverimen, aber trotz dieser Reime enthält sie doch
die nackteste Prosa. Darum finden wir den prosaischen Commentar zum
Demiurgos, der auf buchhSndlerischem Wege verbreitet wird, und der auch
einmal als Beilage in unsrem Journal mitgegeben ist, viel zweckmäßiger. Der
Eindruck des Gedichts an sich wird zwar nichts dadurch gewinnen, daß man
dem Publicum erzählt, was es eigentlich bedeuten soll, so wenig wie in unsrer
Zeit das Verständniß eines Gemäldes, wenn man den Personen Zettel in
den Mund klebt, worauf geschrieben steht, was sie eben sagen. Allein der
Kritik wird dadurch das Geschäft erleichtert, denn sie erhält eine authen¬
tische Interpretation von dem, was der Dichter gewollt hat, und kann daS,
was er geleistet, an diesem Maßstab messen.

Da die Frage eine allgemeine ist und sich nicht blos auf das gegenwär¬
tige Gedicht bezieht, so gehen wir mit einigen Worten darauf ein. He"
Jordan macht sich über seine Kritiker lustig, die von dem Dichter verlange»,
er solle nur concrete Gegenstände darstellen, wie geringfügig diese auch sei"
mögen, und stellt es als eine Erniedrigung der Poesie dar, wenn man dieser
das Geschäft zuweist, eine Milbe oder einen Baum oder eine Tischlerwerkstätte
zu besingen, anstatt einen Gott oder das Ganze des Universums u. s. >">
Allein so ist die Frage nicht richtig gestellt. Wenn der Genius eines Dichtet
so groß ist, uns einen Gott oder das Ganze deö Universums in einem con-
creten Bilde zu lebendiger Gegenwart vorzuführen, so werden wir ihn deshalb
nicht tadeln, sondern wir werden ihn loben, preisen und anbeten. Wenn aber
das Talent eines Dichters zu einer so schwierigen Aufgabe nicht ausreicht,
wenn mit seinen weitumfassenden Tendenzen nichts weiter gewonnen wird, als
eine zusammenhangslose Reihe blasser Schemen, so werden wir ihn aussi"'-
der», von seinem zwecklosen Unternehmen abzulassen, und statt dessen etwas
zu schildern, was er mit seinem Sinn, seinem Gemüth und seiner Einbildungs¬
kraft wirklich umspannen kann, sei es auch nur eine Milbe, ein Baum oder
eine Tischlerwerkstätte. Und indem wir so verfahren, können wir eine groß'''
Autorität für uns anführen, nämlich Goethe, der in seinem spätern Alter
jedem jungen Dichter als ersten Grundsatz einschärfte, nichts darstellen i"
wollen, was er nicht vollständig durchschaute und beherrschte. Goethe hat
diese Marime stets befolgt. Er ist im Gedicht überall von seinen unmit¬
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[0410] solche Polemik einzulassen. Einmal ist sie unnöthig, denn wenn seine Dich¬ tung wirklich soviel Lebensmotivc enthält, um das unbefangen recipirende Publieum zu erregen, so wird der böse Wille der gesammten Kritik diesen Erfolg nicht schmälern können. Sodann verläßt der Dichter, indem er seine eignen Werke interpretier, seine günstige Stellung, und verirrt sich in das Gebiet der Prosa. So ist es auch Herrn Jordan in dieser Parabase gegan¬ gen. Sie ist zwar in Otlaverimen, aber trotz dieser Reime enthält sie doch die nackteste Prosa. Darum finden wir den prosaischen Commentar zum Demiurgos, der auf buchhSndlerischem Wege verbreitet wird, und der auch einmal als Beilage in unsrem Journal mitgegeben ist, viel zweckmäßiger. Der Eindruck des Gedichts an sich wird zwar nichts dadurch gewinnen, daß man dem Publicum erzählt, was es eigentlich bedeuten soll, so wenig wie in unsrer Zeit das Verständniß eines Gemäldes, wenn man den Personen Zettel in den Mund klebt, worauf geschrieben steht, was sie eben sagen. Allein der Kritik wird dadurch das Geschäft erleichtert, denn sie erhält eine authen¬ tische Interpretation von dem, was der Dichter gewollt hat, und kann daS, was er geleistet, an diesem Maßstab messen. Da die Frage eine allgemeine ist und sich nicht blos auf das gegenwär¬ tige Gedicht bezieht, so gehen wir mit einigen Worten darauf ein. He" Jordan macht sich über seine Kritiker lustig, die von dem Dichter verlange», er solle nur concrete Gegenstände darstellen, wie geringfügig diese auch sei" mögen, und stellt es als eine Erniedrigung der Poesie dar, wenn man dieser das Geschäft zuweist, eine Milbe oder einen Baum oder eine Tischlerwerkstätte zu besingen, anstatt einen Gott oder das Ganze des Universums u. s. >"> Allein so ist die Frage nicht richtig gestellt. Wenn der Genius eines Dichtet so groß ist, uns einen Gott oder das Ganze deö Universums in einem con- creten Bilde zu lebendiger Gegenwart vorzuführen, so werden wir ihn deshalb nicht tadeln, sondern wir werden ihn loben, preisen und anbeten. Wenn aber das Talent eines Dichters zu einer so schwierigen Aufgabe nicht ausreicht, wenn mit seinen weitumfassenden Tendenzen nichts weiter gewonnen wird, als eine zusammenhangslose Reihe blasser Schemen, so werden wir ihn aussi"'- der», von seinem zwecklosen Unternehmen abzulassen, und statt dessen etwas zu schildern, was er mit seinem Sinn, seinem Gemüth und seiner Einbildungs¬ kraft wirklich umspannen kann, sei es auch nur eine Milbe, ein Baum oder eine Tischlerwerkstätte. Und indem wir so verfahren, können wir eine groß''' Autorität für uns anführen, nämlich Goethe, der in seinem spätern Alter jedem jungen Dichter als ersten Grundsatz einschärfte, nichts darstellen i" wollen, was er nicht vollständig durchschaute und beherrschte. Goethe hat diese Marime stets befolgt. Er ist im Gedicht überall von seinen unmit¬ telbaren Empfindungen ausgegangen, und wenn eins dieser Gedichte, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/410>, abgerufen am 01.09.2024.