Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.Leider wird auch dieses Sonntagsvergnügen des guten Bürgers gestört Leider wird auch dieses Sonntagsvergnügen des guten Bürgers gestört <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281505"/> <p xml:id="ID_1059" next="#ID_1060"> Leider wird auch dieses Sonntagsvergnügen des guten Bürgers gestört<lb/> werden; denn die Türkei ist uns jetzt zu nahe gerückt und da wenigstens dem<lb/> Anschein nach gegenwärtig die eine der deutschen Großmächte für die Englän¬<lb/> der und Franzosen Partei nimmt, und die andere geneigt zu sein scheint, die<lb/> entgegengesetzte Ansicht zu vertreten, so wird man an der Centralstelle der<lb/> Preßpolizei wol darin übereinkommen, daß über den türkischen Krieg gar nichts<lb/> gesagt werden darf. Vom Raisonnement versteht sich das von selbst, aber daS<lb/> Verbot wird sich auf die Thatsachen erstrecken; denn man wird hinter jeder<lb/> Thatsache eine Tendenz vermuthen. Wenn ein Zeitungsblatt berichten wollte,<lb/> ein französischer Unteroffizier sei in Gallipoli an der Pest gestorben, so würde<lb/> das die östreichischen Sympathien verletzen, und wenn es erzählte, ein Kosack<lb/> habe sich in Branntwein übernommen, so würde das in Preußen mißliebig<lb/> sein. Sollte gar die Ansicht aufgestellt werden, ein griechischer Freiwilliger<lb/> habe bei der Einnahme einer Stadt ein Taschentuch gestohlen, so würde das<lb/> gewiß in Baiern böses Blut machen; und wollte man wieder berichten, ein<lb/> englischer Matrose habe sich über die schlechte Beschaffenheit des Rindfleisches<lb/> beklagt, so würde das bei den Beziehungen des hannöverschen Hofes zuo<lb/> englischen gleichfalls unstatthaft sein. Nun verlangt aber die deutsche Einheit<lb/> offenbar, daß die Sympathien und Interessen aller deutschen Staaten geschont<lb/> werden, und so bemerken wir denn mit einigem Schrecken, daß wir im Anfange<lb/> unsrer Bemerkungen doch noch zu rosenfarben gesehen haben. Ueber Rußland<lb/> und die Türkei darf nichts gesagt werden; über England und Frankreich natür¬<lb/> lich auch nichts, denn selbst das Lob, was man dem einen oder andern er¬<lb/> theilte, würde muthmaßlich die Gefühle eines deutschen Staates verwunden;<lb/> allein auch dabei würde man schwerlich stehen bleiben dürfen, denn bei den<lb/> delicaten Beziehungen der verschiedenen Höfe zueinander würden die bedenk¬<lb/> lichsten Anspielungen zu nahe liegen. Würde man z. B. die schwedische Eisen-<lb/> Produktion rühmen, so würde das wie eine indirecte Aufforderung an Schwede»<lb/> klingen, sich gegen Nußland zu empören; würde man vielleicht bei Gelegenheit<lb/> der Pepita auf das Ebenmaß der spanischen Leibesconstitution eingehen, ^<lb/> würde das leicht wie eine indirecte Anerkennung Esparteros aussehen und den<lb/> Verdacht revolutionärer Principien nach sich ziehen. Selbst die völlige Aus¬<lb/> schließung aller politischen Ereignisse würde zur Beruhigung Deutschlands mock!<lb/> nicht völlig hinreichen, wenigstens würde man bei den pommerschen Gänse¬<lb/> brüsten, dem westphälischen Pumpernickel u. s. w. niemals die Redactions¬<lb/> bemerkung unterlassen dürfen, man habe damit nicht d'le geringste Ehrenkrän¬<lb/> kung gegen hochgestellte und wohlgesinnte preußische Beamte beabsichtigt. Daß<lb/> die sogenannte wissenschaftliche Literatur unter diesen Umständen als gänzlich<lb/> unzulässig betrachtet werden muß, erhellt aus der Sachlage. Wo wollte M"N<lb/> z. B. in der Geschichte, der Philosophie, der Naturwissenschaft, ja auch der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0354]
Leider wird auch dieses Sonntagsvergnügen des guten Bürgers gestört
werden; denn die Türkei ist uns jetzt zu nahe gerückt und da wenigstens dem
Anschein nach gegenwärtig die eine der deutschen Großmächte für die Englän¬
der und Franzosen Partei nimmt, und die andere geneigt zu sein scheint, die
entgegengesetzte Ansicht zu vertreten, so wird man an der Centralstelle der
Preßpolizei wol darin übereinkommen, daß über den türkischen Krieg gar nichts
gesagt werden darf. Vom Raisonnement versteht sich das von selbst, aber daS
Verbot wird sich auf die Thatsachen erstrecken; denn man wird hinter jeder
Thatsache eine Tendenz vermuthen. Wenn ein Zeitungsblatt berichten wollte,
ein französischer Unteroffizier sei in Gallipoli an der Pest gestorben, so würde
das die östreichischen Sympathien verletzen, und wenn es erzählte, ein Kosack
habe sich in Branntwein übernommen, so würde das in Preußen mißliebig
sein. Sollte gar die Ansicht aufgestellt werden, ein griechischer Freiwilliger
habe bei der Einnahme einer Stadt ein Taschentuch gestohlen, so würde das
gewiß in Baiern böses Blut machen; und wollte man wieder berichten, ein
englischer Matrose habe sich über die schlechte Beschaffenheit des Rindfleisches
beklagt, so würde das bei den Beziehungen des hannöverschen Hofes zuo
englischen gleichfalls unstatthaft sein. Nun verlangt aber die deutsche Einheit
offenbar, daß die Sympathien und Interessen aller deutschen Staaten geschont
werden, und so bemerken wir denn mit einigem Schrecken, daß wir im Anfange
unsrer Bemerkungen doch noch zu rosenfarben gesehen haben. Ueber Rußland
und die Türkei darf nichts gesagt werden; über England und Frankreich natür¬
lich auch nichts, denn selbst das Lob, was man dem einen oder andern er¬
theilte, würde muthmaßlich die Gefühle eines deutschen Staates verwunden;
allein auch dabei würde man schwerlich stehen bleiben dürfen, denn bei den
delicaten Beziehungen der verschiedenen Höfe zueinander würden die bedenk¬
lichsten Anspielungen zu nahe liegen. Würde man z. B. die schwedische Eisen-
Produktion rühmen, so würde das wie eine indirecte Aufforderung an Schwede»
klingen, sich gegen Nußland zu empören; würde man vielleicht bei Gelegenheit
der Pepita auf das Ebenmaß der spanischen Leibesconstitution eingehen, ^
würde das leicht wie eine indirecte Anerkennung Esparteros aussehen und den
Verdacht revolutionärer Principien nach sich ziehen. Selbst die völlige Aus¬
schließung aller politischen Ereignisse würde zur Beruhigung Deutschlands mock!
nicht völlig hinreichen, wenigstens würde man bei den pommerschen Gänse¬
brüsten, dem westphälischen Pumpernickel u. s. w. niemals die Redactions¬
bemerkung unterlassen dürfen, man habe damit nicht d'le geringste Ehrenkrän¬
kung gegen hochgestellte und wohlgesinnte preußische Beamte beabsichtigt. Daß
die sogenannte wissenschaftliche Literatur unter diesen Umständen als gänzlich
unzulässig betrachtet werden muß, erhellt aus der Sachlage. Wo wollte M"N
z. B. in der Geschichte, der Philosophie, der Naturwissenschaft, ja auch der
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