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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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kam entgegensetzte; strebten die Operationen an beflügelter Schnelligkeit denen Bo-
napartes mit Erfolg nach (Oestreich gegen Sardinien 18i9).

DaS heutige Kriegstheater im Osten gehört entschieden zu denjenigen Landes-
räumeu, auf welchen die Hindernisse noch frei und unumschränkt über die Bewegungs-
linien dominiren. Es ist aus kulturhistorische" Gründen einleuchtend, daß auch
ohne Balkan und Donau ein Marsch gegen Konstantinopel von Rußland aus und
umgekehrt ein Gegenmarsch aus Rumelien oder Bulgarien nach Bessarabien und
Podolien unermeßliche Bewegungshindcrnisse zu überwinden haben würde. Der
breite Strom und das hohe Gebirge erhöhen dieselben aber mindestens um das
Doppelte, und in dieser Hinsicht darf gesagt werden, daß sie die beiden Hauvt-
grundlinicn des türkisch-russischen Kriegstheaters bilden. Es ist im ganzen in
Rede stehenden Raume keine entscheidende Operation denkbar, sei es nach der einen
oder der andern Seite hin, welche nicht von einer der beiden Linien durchschnitten
würde.

Wenn man beide miteinander vergleicht, so will auf den ersten Anschein der
Balkan als die wichtigere den Vorrang beanspruchen. Indeß beruht dies auf Täu¬
schung, welche eine nähere Erwägung an den Tag legen wird. Es ist wahr, daß
die Donau unzählige Mal von den Russen wie von den Osmanen überschritten
worden ist, und dagegen das in Rede stehende Gebirge von den ersteren nur ein¬
mal, aber dieses Factum legt "och keinen Beweis in Hinsicht auf die überlegene
Stärke der letzteren Vcrthcidigungslune ab, denn man hat dabei nicht zu vergessen,
daß bei den Schwierigkeiten des Balkanübcrschreitcns die Donau, weil sie den Russen
im Rücken liegen blieb, mit einwirkte und deren Operationslinie bis zum Kamm
der Kette sich bedeutend verlängerte, mithin ihre Streitmacht, dem strategischen un-
ausweichbaren Gesetz gemäß sich vermindert hatte. Im allgemeinen gilt, daß Wasser¬
linien schwierigere Hindernisse als Gebirgslinien sind, und diese Regel findet auf
die Donau zwischen der Bulgarei und den Fürstentümern umsomehr Anwendung,
als außer ihrer enormen Breite die sumpfige Beschaffenheit des linken Ufers die
UcbcrgangSarbciteu bedeutend erschwert und ihre Ausführbarkeit aus einzelne Punkte
beschränkt.

Der nächste Schluß, welchen man hieraus ziehen kann, ist der: daß die Natur-
verhältnisse der Türkei behufs ihrer Vertheidigung einen bedeutenden Vorschub
leisten, daß aber andrerseits die Russen, nachdem sie einmal strategische Herrn der
beiden Fürstenthümer geworden, hier gegen Süden hin eine starke Vertheidigung^- .
linie finden würden, wenn sie ans Rücksichten gegen Oestreich überhaupt an eine
Defensive längs der Do"an denken dürfen. Nur wenn das siebenbürgische Wald¬
gebirge mit seinen Pässen, überhaupt wenn jenes östreichische Vorland in russische"
Händen wäre, würde der Zar im Stande sein, sich auf die untere Donau für jed¬
weden Zweck zu basiren. Wie die Verhältnisse heute stehen, vermag er dies nicht
weiter vorwärts als hinter dem Sereth und dem Donaudelta. Wenn diesen Um¬
ständen zum Trotz das russische Hauptquartier neuerdings von Jassy "ach Bukarest
zurückverlegt worden ist, so geschah es, falls in Oestreichs Politik keine Aenderung
eingetreten ist, nur infolge einer Kraftübcrschätzuug, deren Bestrafung in keinem
Fall ausbleiben wird. --


kam entgegensetzte; strebten die Operationen an beflügelter Schnelligkeit denen Bo-
napartes mit Erfolg nach (Oestreich gegen Sardinien 18i9).

DaS heutige Kriegstheater im Osten gehört entschieden zu denjenigen Landes-
räumeu, auf welchen die Hindernisse noch frei und unumschränkt über die Bewegungs-
linien dominiren. Es ist aus kulturhistorische» Gründen einleuchtend, daß auch
ohne Balkan und Donau ein Marsch gegen Konstantinopel von Rußland aus und
umgekehrt ein Gegenmarsch aus Rumelien oder Bulgarien nach Bessarabien und
Podolien unermeßliche Bewegungshindcrnisse zu überwinden haben würde. Der
breite Strom und das hohe Gebirge erhöhen dieselben aber mindestens um das
Doppelte, und in dieser Hinsicht darf gesagt werden, daß sie die beiden Hauvt-
grundlinicn des türkisch-russischen Kriegstheaters bilden. Es ist im ganzen in
Rede stehenden Raume keine entscheidende Operation denkbar, sei es nach der einen
oder der andern Seite hin, welche nicht von einer der beiden Linien durchschnitten
würde.

Wenn man beide miteinander vergleicht, so will auf den ersten Anschein der
Balkan als die wichtigere den Vorrang beanspruchen. Indeß beruht dies auf Täu¬
schung, welche eine nähere Erwägung an den Tag legen wird. Es ist wahr, daß
die Donau unzählige Mal von den Russen wie von den Osmanen überschritten
worden ist, und dagegen das in Rede stehende Gebirge von den ersteren nur ein¬
mal, aber dieses Factum legt »och keinen Beweis in Hinsicht auf die überlegene
Stärke der letzteren Vcrthcidigungslune ab, denn man hat dabei nicht zu vergessen,
daß bei den Schwierigkeiten des Balkanübcrschreitcns die Donau, weil sie den Russen
im Rücken liegen blieb, mit einwirkte und deren Operationslinie bis zum Kamm
der Kette sich bedeutend verlängerte, mithin ihre Streitmacht, dem strategischen un-
ausweichbaren Gesetz gemäß sich vermindert hatte. Im allgemeinen gilt, daß Wasser¬
linien schwierigere Hindernisse als Gebirgslinien sind, und diese Regel findet auf
die Donau zwischen der Bulgarei und den Fürstentümern umsomehr Anwendung,
als außer ihrer enormen Breite die sumpfige Beschaffenheit des linken Ufers die
UcbcrgangSarbciteu bedeutend erschwert und ihre Ausführbarkeit aus einzelne Punkte
beschränkt.

Der nächste Schluß, welchen man hieraus ziehen kann, ist der: daß die Natur-
verhältnisse der Türkei behufs ihrer Vertheidigung einen bedeutenden Vorschub
leisten, daß aber andrerseits die Russen, nachdem sie einmal strategische Herrn der
beiden Fürstenthümer geworden, hier gegen Süden hin eine starke Vertheidigung^- .
linie finden würden, wenn sie ans Rücksichten gegen Oestreich überhaupt an eine
Defensive längs der Do»an denken dürfen. Nur wenn das siebenbürgische Wald¬
gebirge mit seinen Pässen, überhaupt wenn jenes östreichische Vorland in russische»
Händen wäre, würde der Zar im Stande sein, sich auf die untere Donau für jed¬
weden Zweck zu basiren. Wie die Verhältnisse heute stehen, vermag er dies nicht
weiter vorwärts als hinter dem Sereth und dem Donaudelta. Wenn diesen Um¬
ständen zum Trotz das russische Hauptquartier neuerdings von Jassy »ach Bukarest
zurückverlegt worden ist, so geschah es, falls in Oestreichs Politik keine Aenderung
eingetreten ist, nur infolge einer Kraftübcrschätzuug, deren Bestrafung in keinem
Fall ausbleiben wird. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/322>, abgerufen am 01.09.2024.