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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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fügte das Verbot der Schrift, wogegen Fichte eine sehr heftige Appellation
an das Publicum erließ. Diese der Sache gegebene Oeffentlichkeit machte auch
die Regierung zu Weimar bedenklich. Fichte hörte von einem Verweisenden
man ihm ertheilen wolle, protestirte dagegen in einem offenbar drohenden
Schreiben und erhielt plötzlich seine Entlassung. Die Actenstücke liegen jetzt
in seinen Werken vollständig vor uns, und wir müssen offen gestehen, daß sie
auf beiden Seiten keinen sehr erfreulichen Eindruck machen. In der Sache
stellen wir uns entschieden auf Seite Fichtes. Man kann die Thatsache als
den ersten Act ansehen, in welchem sich die UnHaltbarkeit des ganzen künstlich
errichteten Gebäudes der absoluten Literatur andeutete. Aber wir finden auch
Fichtes Verfahren zu herausfordernd, zu trotzig und zu wenig vornehm. Er
hat die Würde der Philosophie, die in seiner Person gekränkt wurde, nicht
edel genug vertreten; er ließ es dazu kommen, daß die große und ernste Streit¬
srage sich in eine Menge kleiner Nebenumstände zersplitterte.

Noch ein Wort der Verständigung über den Inhalt dieses Streits. Fichte
hatte vollkommen recht, wenn er sein philosophisches System nicht atheistisch,
sondern akosmistisch nannte, und zwar in ganz anderm Sinne, als diese Be¬
zeichnung auf Spinoza angewendet wird. Zwar versenkt auch Spinoza die
bunte Mannigfaltigkeit der Erscheinungen in die unlerschicdlvse Nacht der
"Substanz" und insofern er diese Substanz, dies Wesen aller Wesen, von dem
alle Erscheinungen der intellectuellen und der physischen Welt bloße Erregungen
sind, Gott nennt, könnte man auf jene Bezeichnung verfallen. Allein sein Gott
ist doch in der That nichts weiter, als die mit Nothwendigkeit schaffende oder
sich selbst wiedergebärende Natur. Bei Fichte ist grade das Entgegengesetzte
der Fall. Die Idee von der Freiheit und von der Zurechnungsfähigkeit der
Person, die eine moralische, unerschütterliche Weltordnung voraussetzt, geht ihm
über alles. Aus ihr leitet er alle Naturbedingungen, aus ihr den Geist her,
der Allmacht und Gerechtigkeit zugleich ist. Der Gott, den er auf diese Weise
findet, ist nur der erhöhte und ins Unendliche gesteigerte Begriff jener absolut
freien und gerechten Persönlichkeit, welche um ihrer eignen Gerechtigkeit willen
Menschen hervorbringen muß, in denen die Rechtsbestimmüngen sich aus-
einunderbreiten, und eine Welt, welche der Mensch dem Dienst des Guten
unterwerfen soll. Die Idee ist gewiß im eminenten Sinne nicht blos religiös,
sondern christlich, und der absolute Gegensatz zum Spinvzismuö. Die Welt ist
das versinnlichte Material unsrer Pflicht, diese Pflicht ist das eigentlich Reale
in den Sinnendingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung und außer ihr
ist nichts real, nichts betrachtenswerth.

In diesem guten Bewußtsein über seine christliche Gesinnung, oder bestimmter
ausgedrückt, seine christliche Logik, mußte ihn die Verketzerung von einer Partei,
in der er ebenso die Irreligiosität wie die Ungründlichkeit verabscheute, aufs


fügte das Verbot der Schrift, wogegen Fichte eine sehr heftige Appellation
an das Publicum erließ. Diese der Sache gegebene Oeffentlichkeit machte auch
die Regierung zu Weimar bedenklich. Fichte hörte von einem Verweisenden
man ihm ertheilen wolle, protestirte dagegen in einem offenbar drohenden
Schreiben und erhielt plötzlich seine Entlassung. Die Actenstücke liegen jetzt
in seinen Werken vollständig vor uns, und wir müssen offen gestehen, daß sie
auf beiden Seiten keinen sehr erfreulichen Eindruck machen. In der Sache
stellen wir uns entschieden auf Seite Fichtes. Man kann die Thatsache als
den ersten Act ansehen, in welchem sich die UnHaltbarkeit des ganzen künstlich
errichteten Gebäudes der absoluten Literatur andeutete. Aber wir finden auch
Fichtes Verfahren zu herausfordernd, zu trotzig und zu wenig vornehm. Er
hat die Würde der Philosophie, die in seiner Person gekränkt wurde, nicht
edel genug vertreten; er ließ es dazu kommen, daß die große und ernste Streit¬
srage sich in eine Menge kleiner Nebenumstände zersplitterte.

Noch ein Wort der Verständigung über den Inhalt dieses Streits. Fichte
hatte vollkommen recht, wenn er sein philosophisches System nicht atheistisch,
sondern akosmistisch nannte, und zwar in ganz anderm Sinne, als diese Be¬
zeichnung auf Spinoza angewendet wird. Zwar versenkt auch Spinoza die
bunte Mannigfaltigkeit der Erscheinungen in die unlerschicdlvse Nacht der
„Substanz" und insofern er diese Substanz, dies Wesen aller Wesen, von dem
alle Erscheinungen der intellectuellen und der physischen Welt bloße Erregungen
sind, Gott nennt, könnte man auf jene Bezeichnung verfallen. Allein sein Gott
ist doch in der That nichts weiter, als die mit Nothwendigkeit schaffende oder
sich selbst wiedergebärende Natur. Bei Fichte ist grade das Entgegengesetzte
der Fall. Die Idee von der Freiheit und von der Zurechnungsfähigkeit der
Person, die eine moralische, unerschütterliche Weltordnung voraussetzt, geht ihm
über alles. Aus ihr leitet er alle Naturbedingungen, aus ihr den Geist her,
der Allmacht und Gerechtigkeit zugleich ist. Der Gott, den er auf diese Weise
findet, ist nur der erhöhte und ins Unendliche gesteigerte Begriff jener absolut
freien und gerechten Persönlichkeit, welche um ihrer eignen Gerechtigkeit willen
Menschen hervorbringen muß, in denen die Rechtsbestimmüngen sich aus-
einunderbreiten, und eine Welt, welche der Mensch dem Dienst des Guten
unterwerfen soll. Die Idee ist gewiß im eminenten Sinne nicht blos religiös,
sondern christlich, und der absolute Gegensatz zum Spinvzismuö. Die Welt ist
das versinnlichte Material unsrer Pflicht, diese Pflicht ist das eigentlich Reale
in den Sinnendingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung und außer ihr
ist nichts real, nichts betrachtenswerth.

In diesem guten Bewußtsein über seine christliche Gesinnung, oder bestimmter
ausgedrückt, seine christliche Logik, mußte ihn die Verketzerung von einer Partei,
in der er ebenso die Irreligiosität wie die Ungründlichkeit verabscheute, aufs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/300>, abgerufen am 27.07.2024.