Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schriebe, was zu thun und zu lassen sei, und das ihnen den Glauben an
Objecte der NechtstlMigkeit, d. h. an Sachen und Personen und den Glauben
an Gott, d. l). an eine ewige moralische Weltordnung aufnötigte.

Alle diese Dinge sind in Kant enthalten und überall im einzelnen sehr
tief ausgeführt; aber grade weil die Darstellung in die Breite geht und immer
nur das Einzelne ins Auge saßt, wirken sie weniger lebhaft aus die Einbildungs¬
kraft. Fichte wagt nun einen großen Schritt, diese Lehre als ein Ganzes auf¬
zufassen, und einerseits die verschiedenen, nicht weiter zu begründenden Denk-
formen (Kategorien) aus einer einzelnen herzuleiten, sodann jenen Uebergang aus
der theoretischen in die praktische Speculation, die Klippe, an der sast jede Me¬
taphysik scheitert, an dieselbe Denkform anzuknüpfen. Er glaubte diesen Punkt
des Archimedes in dem Begriff des "Ich" gefunden zu haben, jenem allerdings
höchst merkwürdigen Act des Bewußtseins, in welchem dasselbe zugleich Subject und
Object ist, in welchem unmittelbare Wahrnehmung und freies Denken, Idee und
Realität sich als etwas absolut Identisches darstellen. Er suchte nachzuweisen,
wie aus dem Begriff des Ich, welcher eine Einheit und einen Widerspruch
enthalte, sich unmittelbar die Nothwendigkeit ergäbe, andre Jede anzunehmen,
an denen es seine Bestimmung realisiren könne, endlich ein großes allgemeines
Ich, von dem es nur eine vereinzelte Erscheinung sei und an dessen Eristenz
es seine Realität habe. Er war fest überzeugt, in diesem ganzen, mit uner¬
hörter Energie durchgeführten System nichts weiter zu lehren, als was bereits
Kant gelehrt, und nur die wissenschaftliche Form hinzugefügt zu haben, weshalb
er auch seine Philosophie, um sie von der sogenannten Weltweisheit zu unter¬
scheiden, die "Wissenschaftslehre" nannte, d. h. die Lehre von der wissenschaft¬
lichen Begründung aller Wissenschaft. -- Was den Inhalt seiner Gedanken
betrifft, so täuschte er sich in seiner Voraussetzung keineswegs, aber durch seinen
Ausdruck gewann dieser Inhalt eine sehr verschiedene Färbung.

Kants Gedankengang war immer auf folgendes Princip herausgekommen!
über die letzten Gründe unsres reinen Denkens vermögen wir uns keine Rechen¬
schaft zu geben, aber an diesem Denken kann uns auch nur die praktische Seite
interessiren, und in dieser Beziehung haben wir einen Haltpunkt, der uns
über die objective Sicherheit jenes Denkens vollkommen beruhigt, soweit eS für
unsre Bestimmung innerhalb der praktischen Welt nothwendig ist.

Fichte dagegen glaubte streng bei der Theorie zu bleiben, wenn er die
Eristenz der Natur, der Menschheit und Gottes lediglich aus dem im Bewußt¬
sein des Ich, dem einzigen sicheren Punkt der unmittelbaren Erkenntniß, mit
Nothwendigkeit beruhenden Gewissen herleitete, und hier mußte allerdings ein
allgemeiner Widerspruch erfolgen. Wenn Kant die Menschen gewissermaßen
darüber tröstete, daß sie sich die objective Erkenntnißquelle durch das Gewissen
ersetzen könnten, so gehört nur eine gewisse Kraft und Energie der Gesinnung


schriebe, was zu thun und zu lassen sei, und das ihnen den Glauben an
Objecte der NechtstlMigkeit, d. h. an Sachen und Personen und den Glauben
an Gott, d. l). an eine ewige moralische Weltordnung aufnötigte.

Alle diese Dinge sind in Kant enthalten und überall im einzelnen sehr
tief ausgeführt; aber grade weil die Darstellung in die Breite geht und immer
nur das Einzelne ins Auge saßt, wirken sie weniger lebhaft aus die Einbildungs¬
kraft. Fichte wagt nun einen großen Schritt, diese Lehre als ein Ganzes auf¬
zufassen, und einerseits die verschiedenen, nicht weiter zu begründenden Denk-
formen (Kategorien) aus einer einzelnen herzuleiten, sodann jenen Uebergang aus
der theoretischen in die praktische Speculation, die Klippe, an der sast jede Me¬
taphysik scheitert, an dieselbe Denkform anzuknüpfen. Er glaubte diesen Punkt
des Archimedes in dem Begriff des „Ich" gefunden zu haben, jenem allerdings
höchst merkwürdigen Act des Bewußtseins, in welchem dasselbe zugleich Subject und
Object ist, in welchem unmittelbare Wahrnehmung und freies Denken, Idee und
Realität sich als etwas absolut Identisches darstellen. Er suchte nachzuweisen,
wie aus dem Begriff des Ich, welcher eine Einheit und einen Widerspruch
enthalte, sich unmittelbar die Nothwendigkeit ergäbe, andre Jede anzunehmen,
an denen es seine Bestimmung realisiren könne, endlich ein großes allgemeines
Ich, von dem es nur eine vereinzelte Erscheinung sei und an dessen Eristenz
es seine Realität habe. Er war fest überzeugt, in diesem ganzen, mit uner¬
hörter Energie durchgeführten System nichts weiter zu lehren, als was bereits
Kant gelehrt, und nur die wissenschaftliche Form hinzugefügt zu haben, weshalb
er auch seine Philosophie, um sie von der sogenannten Weltweisheit zu unter¬
scheiden, die „Wissenschaftslehre" nannte, d. h. die Lehre von der wissenschaft¬
lichen Begründung aller Wissenschaft. — Was den Inhalt seiner Gedanken
betrifft, so täuschte er sich in seiner Voraussetzung keineswegs, aber durch seinen
Ausdruck gewann dieser Inhalt eine sehr verschiedene Färbung.

Kants Gedankengang war immer auf folgendes Princip herausgekommen!
über die letzten Gründe unsres reinen Denkens vermögen wir uns keine Rechen¬
schaft zu geben, aber an diesem Denken kann uns auch nur die praktische Seite
interessiren, und in dieser Beziehung haben wir einen Haltpunkt, der uns
über die objective Sicherheit jenes Denkens vollkommen beruhigt, soweit eS für
unsre Bestimmung innerhalb der praktischen Welt nothwendig ist.

Fichte dagegen glaubte streng bei der Theorie zu bleiben, wenn er die
Eristenz der Natur, der Menschheit und Gottes lediglich aus dem im Bewußt¬
sein des Ich, dem einzigen sicheren Punkt der unmittelbaren Erkenntniß, mit
Nothwendigkeit beruhenden Gewissen herleitete, und hier mußte allerdings ein
allgemeiner Widerspruch erfolgen. Wenn Kant die Menschen gewissermaßen
darüber tröstete, daß sie sich die objective Erkenntnißquelle durch das Gewissen
ersetzen könnten, so gehört nur eine gewisse Kraft und Energie der Gesinnung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281409"/>
            <p xml:id="ID_797" prev="#ID_796"> schriebe, was zu thun und zu lassen sei, und das ihnen den Glauben an<lb/>
Objecte der NechtstlMigkeit, d. h. an Sachen und Personen und den Glauben<lb/>
an Gott, d. l). an eine ewige moralische Weltordnung aufnötigte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_798"> Alle diese Dinge sind in Kant enthalten und überall im einzelnen sehr<lb/>
tief ausgeführt; aber grade weil die Darstellung in die Breite geht und immer<lb/>
nur das Einzelne ins Auge saßt, wirken sie weniger lebhaft aus die Einbildungs¬<lb/>
kraft. Fichte wagt nun einen großen Schritt, diese Lehre als ein Ganzes auf¬<lb/>
zufassen, und einerseits die verschiedenen, nicht weiter zu begründenden Denk-<lb/>
formen (Kategorien) aus einer einzelnen herzuleiten, sodann jenen Uebergang aus<lb/>
der theoretischen in die praktische Speculation, die Klippe, an der sast jede Me¬<lb/>
taphysik scheitert, an dieselbe Denkform anzuknüpfen. Er glaubte diesen Punkt<lb/>
des Archimedes in dem Begriff des &#x201E;Ich" gefunden zu haben, jenem allerdings<lb/>
höchst merkwürdigen Act des Bewußtseins, in welchem dasselbe zugleich Subject und<lb/>
Object ist, in welchem unmittelbare Wahrnehmung und freies Denken, Idee und<lb/>
Realität sich als etwas absolut Identisches darstellen. Er suchte nachzuweisen,<lb/>
wie aus dem Begriff des Ich, welcher eine Einheit und einen Widerspruch<lb/>
enthalte, sich unmittelbar die Nothwendigkeit ergäbe, andre Jede anzunehmen,<lb/>
an denen es seine Bestimmung realisiren könne, endlich ein großes allgemeines<lb/>
Ich, von dem es nur eine vereinzelte Erscheinung sei und an dessen Eristenz<lb/>
es seine Realität habe. Er war fest überzeugt, in diesem ganzen, mit uner¬<lb/>
hörter Energie durchgeführten System nichts weiter zu lehren, als was bereits<lb/>
Kant gelehrt, und nur die wissenschaftliche Form hinzugefügt zu haben, weshalb<lb/>
er auch seine Philosophie, um sie von der sogenannten Weltweisheit zu unter¬<lb/>
scheiden, die &#x201E;Wissenschaftslehre" nannte, d. h. die Lehre von der wissenschaft¬<lb/>
lichen Begründung aller Wissenschaft. &#x2014; Was den Inhalt seiner Gedanken<lb/>
betrifft, so täuschte er sich in seiner Voraussetzung keineswegs, aber durch seinen<lb/>
Ausdruck gewann dieser Inhalt eine sehr verschiedene Färbung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_799"> Kants Gedankengang war immer auf folgendes Princip herausgekommen!<lb/>
über die letzten Gründe unsres reinen Denkens vermögen wir uns keine Rechen¬<lb/>
schaft zu geben, aber an diesem Denken kann uns auch nur die praktische Seite<lb/>
interessiren, und in dieser Beziehung haben wir einen Haltpunkt, der uns<lb/>
über die objective Sicherheit jenes Denkens vollkommen beruhigt, soweit eS für<lb/>
unsre Bestimmung innerhalb der praktischen Welt nothwendig ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_800" next="#ID_801"> Fichte dagegen glaubte streng bei der Theorie zu bleiben, wenn er die<lb/>
Eristenz der Natur, der Menschheit und Gottes lediglich aus dem im Bewußt¬<lb/>
sein des Ich, dem einzigen sicheren Punkt der unmittelbaren Erkenntniß, mit<lb/>
Nothwendigkeit beruhenden Gewissen herleitete, und hier mußte allerdings ein<lb/>
allgemeiner Widerspruch erfolgen. Wenn Kant die Menschen gewissermaßen<lb/>
darüber tröstete, daß sie sich die objective Erkenntnißquelle durch das Gewissen<lb/>
ersetzen könnten, so gehört nur eine gewisse Kraft und Energie der Gesinnung</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] schriebe, was zu thun und zu lassen sei, und das ihnen den Glauben an Objecte der NechtstlMigkeit, d. h. an Sachen und Personen und den Glauben an Gott, d. l). an eine ewige moralische Weltordnung aufnötigte. Alle diese Dinge sind in Kant enthalten und überall im einzelnen sehr tief ausgeführt; aber grade weil die Darstellung in die Breite geht und immer nur das Einzelne ins Auge saßt, wirken sie weniger lebhaft aus die Einbildungs¬ kraft. Fichte wagt nun einen großen Schritt, diese Lehre als ein Ganzes auf¬ zufassen, und einerseits die verschiedenen, nicht weiter zu begründenden Denk- formen (Kategorien) aus einer einzelnen herzuleiten, sodann jenen Uebergang aus der theoretischen in die praktische Speculation, die Klippe, an der sast jede Me¬ taphysik scheitert, an dieselbe Denkform anzuknüpfen. Er glaubte diesen Punkt des Archimedes in dem Begriff des „Ich" gefunden zu haben, jenem allerdings höchst merkwürdigen Act des Bewußtseins, in welchem dasselbe zugleich Subject und Object ist, in welchem unmittelbare Wahrnehmung und freies Denken, Idee und Realität sich als etwas absolut Identisches darstellen. Er suchte nachzuweisen, wie aus dem Begriff des Ich, welcher eine Einheit und einen Widerspruch enthalte, sich unmittelbar die Nothwendigkeit ergäbe, andre Jede anzunehmen, an denen es seine Bestimmung realisiren könne, endlich ein großes allgemeines Ich, von dem es nur eine vereinzelte Erscheinung sei und an dessen Eristenz es seine Realität habe. Er war fest überzeugt, in diesem ganzen, mit uner¬ hörter Energie durchgeführten System nichts weiter zu lehren, als was bereits Kant gelehrt, und nur die wissenschaftliche Form hinzugefügt zu haben, weshalb er auch seine Philosophie, um sie von der sogenannten Weltweisheit zu unter¬ scheiden, die „Wissenschaftslehre" nannte, d. h. die Lehre von der wissenschaft¬ lichen Begründung aller Wissenschaft. — Was den Inhalt seiner Gedanken betrifft, so täuschte er sich in seiner Voraussetzung keineswegs, aber durch seinen Ausdruck gewann dieser Inhalt eine sehr verschiedene Färbung. Kants Gedankengang war immer auf folgendes Princip herausgekommen! über die letzten Gründe unsres reinen Denkens vermögen wir uns keine Rechen¬ schaft zu geben, aber an diesem Denken kann uns auch nur die praktische Seite interessiren, und in dieser Beziehung haben wir einen Haltpunkt, der uns über die objective Sicherheit jenes Denkens vollkommen beruhigt, soweit eS für unsre Bestimmung innerhalb der praktischen Welt nothwendig ist. Fichte dagegen glaubte streng bei der Theorie zu bleiben, wenn er die Eristenz der Natur, der Menschheit und Gottes lediglich aus dem im Bewußt¬ sein des Ich, dem einzigen sicheren Punkt der unmittelbaren Erkenntniß, mit Nothwendigkeit beruhenden Gewissen herleitete, und hier mußte allerdings ein allgemeiner Widerspruch erfolgen. Wenn Kant die Menschen gewissermaßen darüber tröstete, daß sie sich die objective Erkenntnißquelle durch das Gewissen ersetzen könnten, so gehört nur eine gewisse Kraft und Energie der Gesinnung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/258>, abgerufen am 27.07.2024.