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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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behandeln. Die paar russischen Stücke, die im Gange sind, fristen nothdürftig
ihr Leben einige Vorstellungen fort, aber die Geschichte ist ausgebeutet, ver¬
altet wie die Tables tournantes. Unter den Vaudevilles ist ein einziges, das
Erwähnung verdient, es sind die "Anbeter meiner Frau" im Gymnase.
Das Stück dreht sich um folgendes Arion, das ein als Civilingenieur ver¬
kleideter La Rochefoucauld der Ehe aufstellt. "Wenn man aus einer an¬
betungswürdigen und angebeteten Frau plötzlich ein Fräulein ohne Mitgift
machte, wie viele Getreue würden die Feuerprobe bestehen?" Der Ehemann
des Vaudeville, der ein'Franzose ist und französische Anbeter zu bekämpfen
hat, sagt: keiner. Er gibt sich plötzlich als Vormund seiner Frau aus und
weiß geschickt die Fabel auszustreuen, als wenn seine Ehe blos die Leimruthe
gewesen, lockere Zeisige anzuziehen.. Die List gelingt -- aber der gute Civil¬
ingenieur hat vorher nicht geringe Angst auszustehen -- da sein strategischer
Plan beinahe entdeckt war und er sich von einem Dutzend Freierbriefen
bedroht sieht. Schon triumphirt die Eitelkeit seiner verletzten Ehehälfte,
aber eine neue List hilft dem Armen wieder aus der Verlegenheit, und zur
großen Freude sämmtlicher Eheleute wird den Frauen en plein Gymnase
bewiesen, daß sie nicht fähig sind, eine uneigennützige Leidenschaft zu
erwecken. Ob alle überzeugt sind, ob auch nur die Heldin des fraglichen
Stückes überführt ist, mag unerörtert bleiben. Die Hauptsache bleibt der gute
Humor des Stückes mit seinen drolligen Situationen und komischen Einfällen.
Man lacht herzlich dabei.

Vom Theater führe ich Ihre Leser ins Drama des wirklichen Lebens,
wie es sich uns in der Gazette des Tribunaur in täglicher Neuheit entrollt.
Dieser dramatische Verfall ist Um so interessanter, als er einen wichtigen
Contrast zwischen dem englischen und französischen Volksleben darthut. Wir
finden diesen darin, daß jeder Londoner Policereport von argen Mißhandlungen
der Weiber erzählt, während der französische Courier in dieser Beziehung
höchst human ist. Dagegen kommen in der hiesigen Hautevolee häufig
die brutalsten Mißehen vor, seit Mine. Laffargc, dem Duc de Prasum u. s. w.
geht dieser Stoff den Bühnenfabrikanten nicht aus, die Gründe liegen einfach
in der Art, wie die fashionablen Ehen hier zu Lande geschlossen werden. Einen
mehr komischen als tragischen Fall erzählt uns die Gazette des Tribunaur von
den zu Amiens stattgehabten Gerichtssitzungen. Ein Graf OMahony hatte,
nach der Sitte deS französischen Adels, seine brachliegenden und verschuldeten
Güter mit der Mitgift einer reichen Kaufmannstochter gedüngt. Aber wenn
die Mitgift verwendet ist, wird die Frau oft zur Last. So ein junges Ge¬
schöpf, im Kloster aufgewachsen, liebebedürftig und unverständig, hat oft lästige
Prätentioncn. Unser Graf, ein Mitglied vieler frommen und Antithierqnälerei-
vercine, behandelte seine Frau nicht wie das liebe Viel), denn er prügelte sie


behandeln. Die paar russischen Stücke, die im Gange sind, fristen nothdürftig
ihr Leben einige Vorstellungen fort, aber die Geschichte ist ausgebeutet, ver¬
altet wie die Tables tournantes. Unter den Vaudevilles ist ein einziges, das
Erwähnung verdient, es sind die „Anbeter meiner Frau" im Gymnase.
Das Stück dreht sich um folgendes Arion, das ein als Civilingenieur ver¬
kleideter La Rochefoucauld der Ehe aufstellt. „Wenn man aus einer an¬
betungswürdigen und angebeteten Frau plötzlich ein Fräulein ohne Mitgift
machte, wie viele Getreue würden die Feuerprobe bestehen?" Der Ehemann
des Vaudeville, der ein'Franzose ist und französische Anbeter zu bekämpfen
hat, sagt: keiner. Er gibt sich plötzlich als Vormund seiner Frau aus und
weiß geschickt die Fabel auszustreuen, als wenn seine Ehe blos die Leimruthe
gewesen, lockere Zeisige anzuziehen.. Die List gelingt — aber der gute Civil¬
ingenieur hat vorher nicht geringe Angst auszustehen — da sein strategischer
Plan beinahe entdeckt war und er sich von einem Dutzend Freierbriefen
bedroht sieht. Schon triumphirt die Eitelkeit seiner verletzten Ehehälfte,
aber eine neue List hilft dem Armen wieder aus der Verlegenheit, und zur
großen Freude sämmtlicher Eheleute wird den Frauen en plein Gymnase
bewiesen, daß sie nicht fähig sind, eine uneigennützige Leidenschaft zu
erwecken. Ob alle überzeugt sind, ob auch nur die Heldin des fraglichen
Stückes überführt ist, mag unerörtert bleiben. Die Hauptsache bleibt der gute
Humor des Stückes mit seinen drolligen Situationen und komischen Einfällen.
Man lacht herzlich dabei.

Vom Theater führe ich Ihre Leser ins Drama des wirklichen Lebens,
wie es sich uns in der Gazette des Tribunaur in täglicher Neuheit entrollt.
Dieser dramatische Verfall ist Um so interessanter, als er einen wichtigen
Contrast zwischen dem englischen und französischen Volksleben darthut. Wir
finden diesen darin, daß jeder Londoner Policereport von argen Mißhandlungen
der Weiber erzählt, während der französische Courier in dieser Beziehung
höchst human ist. Dagegen kommen in der hiesigen Hautevolee häufig
die brutalsten Mißehen vor, seit Mine. Laffargc, dem Duc de Prasum u. s. w.
geht dieser Stoff den Bühnenfabrikanten nicht aus, die Gründe liegen einfach
in der Art, wie die fashionablen Ehen hier zu Lande geschlossen werden. Einen
mehr komischen als tragischen Fall erzählt uns die Gazette des Tribunaur von
den zu Amiens stattgehabten Gerichtssitzungen. Ein Graf OMahony hatte,
nach der Sitte deS französischen Adels, seine brachliegenden und verschuldeten
Güter mit der Mitgift einer reichen Kaufmannstochter gedüngt. Aber wenn
die Mitgift verwendet ist, wird die Frau oft zur Last. So ein junges Ge¬
schöpf, im Kloster aufgewachsen, liebebedürftig und unverständig, hat oft lästige
Prätentioncn. Unser Graf, ein Mitglied vieler frommen und Antithierqnälerei-
vercine, behandelte seine Frau nicht wie das liebe Viel), denn er prügelte sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/229>, abgerufen am 09.01.2025.