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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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daß er auch nur die leiseste Bewegung macht und man merkt erst am tollen
Tanze des Tisches, welche fortbewegende Kraft selbst in unsren leisezitternden
Händen liegt. So ist es auch mit den individuellen Charakteren, solange wir
die Thaten einzeln, eine nach der andern zu beurtheilen haben, sieht sich
alles klein und unbedeutend an und erst später zeigt sich, daß die persönliche
Leidenschaft, der Ehrgeiz, Eigennutz, nur ein Instrument geführt von einer un-
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sichtbaren Macht gewesen.

So krystallistren sich im Momente klein erscheinende Gestalten zu historischen
Bedeutendheiten und diese wundern sich am Ende wie der Bourgois gentilhomme,
daß sie solange Geschichte machten, ohne es zu wissen.

Unser Leben geht also seinen gewöhnlichen Gang und wenn die allgemeine
Müdigkeit die äußere Theilnahmlosigkeit erklären, thut die Regierung ihrerseits
alles was sie kann, um das Land im gewöhnlichen Geleise zu erhalten. Wie
ich Ihnen schon vor Beginn des Krieges erzählt hatte, will der Kaiser die
öffentlichen Arbeiten eher vermehren als vermindern und seine Regierung be¬
nimmt sich geschickt genug, indem sie einerseits die ihr kraft der Centralisation
zustehende Machtvollkommenheit benutzt, andrerseits das Privatinteresse zur
Speculation anspornt. Sie scheut dabei kein Opfer, und man muß jetzt große
Revenüen geben, da das speculirende Capital den Weg zur Börse als Lieb¬
lingspromenade gewählt. Die junggeadelte Geldaristokratie deS neuen Kaiser-
thums, die Marquis Mirös, die Säulen der Credit mobiliers haben Phantasie
und Muth genug, auf jeden Vorschlag einzugehen. Diese Wahlverwandtschaft
in den auf verschiedenen Wegen zusammentreffenden Geistern mag uns jetzt
natürlich erscheinen, aber es gehört Jnstinct und Talent dazu, sie von vorn¬
herein erkannt zu haben. Dieses Talent der jetzigen Negierung hat man meiner
Ansicht nach noch immer nicht genug gewürdigt. Persignys Rücktritt in diesem
Augenblicke ist auch nicht ohne Bedeutung. Nicht als ob wir glaubten, der¬
selbe könnte eine große Veränderung in Napoleon III. Politik hervorbringen,
aber es bleibt bezeichnend, daß jetzt nur Soldaten und Geldleute am Ru¬
der sind.

Wieder ein Zeichen des Ernstes unserer Zeit ist, daß der Pariser gesellige
Witz, der selbst unter dem Terrorismus nicht geschwiegen, nun doch verstummt
ist. Es fühlt sich in diesem Augenblicke niemand als bloßer Gegner weder
der herrschenden Partei noch der unterdrückten, man hat mit allen Sympathien,
und gegen alle Einwendungen zu machen. Selbst auf die Theater, die Ge¬
legenheitsstücke, die Tagcsvaudeville geht diese Ohnmacht über. So schwach
war die geißelnde Satire noch nie gewesen. Die Russenjagd hat der Humor
der Pariser Fabrikanten ebenso satt bekommen wie der Buchhandel, und man
könnte jetzt hier leichter ein amerikanisches Stück auf die Bühne oder eine
chinesische Broschüre in den Buchladen bringen als einen russischen Stoff


daß er auch nur die leiseste Bewegung macht und man merkt erst am tollen
Tanze des Tisches, welche fortbewegende Kraft selbst in unsren leisezitternden
Händen liegt. So ist es auch mit den individuellen Charakteren, solange wir
die Thaten einzeln, eine nach der andern zu beurtheilen haben, sieht sich
alles klein und unbedeutend an und erst später zeigt sich, daß die persönliche
Leidenschaft, der Ehrgeiz, Eigennutz, nur ein Instrument geführt von einer un-
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sichtbaren Macht gewesen.

So krystallistren sich im Momente klein erscheinende Gestalten zu historischen
Bedeutendheiten und diese wundern sich am Ende wie der Bourgois gentilhomme,
daß sie solange Geschichte machten, ohne es zu wissen.

Unser Leben geht also seinen gewöhnlichen Gang und wenn die allgemeine
Müdigkeit die äußere Theilnahmlosigkeit erklären, thut die Regierung ihrerseits
alles was sie kann, um das Land im gewöhnlichen Geleise zu erhalten. Wie
ich Ihnen schon vor Beginn des Krieges erzählt hatte, will der Kaiser die
öffentlichen Arbeiten eher vermehren als vermindern und seine Regierung be¬
nimmt sich geschickt genug, indem sie einerseits die ihr kraft der Centralisation
zustehende Machtvollkommenheit benutzt, andrerseits das Privatinteresse zur
Speculation anspornt. Sie scheut dabei kein Opfer, und man muß jetzt große
Revenüen geben, da das speculirende Capital den Weg zur Börse als Lieb¬
lingspromenade gewählt. Die junggeadelte Geldaristokratie deS neuen Kaiser-
thums, die Marquis Mirös, die Säulen der Credit mobiliers haben Phantasie
und Muth genug, auf jeden Vorschlag einzugehen. Diese Wahlverwandtschaft
in den auf verschiedenen Wegen zusammentreffenden Geistern mag uns jetzt
natürlich erscheinen, aber es gehört Jnstinct und Talent dazu, sie von vorn¬
herein erkannt zu haben. Dieses Talent der jetzigen Negierung hat man meiner
Ansicht nach noch immer nicht genug gewürdigt. Persignys Rücktritt in diesem
Augenblicke ist auch nicht ohne Bedeutung. Nicht als ob wir glaubten, der¬
selbe könnte eine große Veränderung in Napoleon III. Politik hervorbringen,
aber es bleibt bezeichnend, daß jetzt nur Soldaten und Geldleute am Ru¬
der sind.

Wieder ein Zeichen des Ernstes unserer Zeit ist, daß der Pariser gesellige
Witz, der selbst unter dem Terrorismus nicht geschwiegen, nun doch verstummt
ist. Es fühlt sich in diesem Augenblicke niemand als bloßer Gegner weder
der herrschenden Partei noch der unterdrückten, man hat mit allen Sympathien,
und gegen alle Einwendungen zu machen. Selbst auf die Theater, die Ge¬
legenheitsstücke, die Tagcsvaudeville geht diese Ohnmacht über. So schwach
war die geißelnde Satire noch nie gewesen. Die Russenjagd hat der Humor
der Pariser Fabrikanten ebenso satt bekommen wie der Buchhandel, und man
könnte jetzt hier leichter ein amerikanisches Stück auf die Bühne oder eine
chinesische Broschüre in den Buchladen bringen als einen russischen Stoff


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/228>, abgerufen am 06.10.2024.