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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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"Eisbü", d. i. bei der Abendmahlzeit des Schlachtfestes, an der die'Freunde
des Hausherrn theilnehmen, verzehrt, theils an die "Freundschaft und Ar-
muthei" im Dorfe ausgegeben wird; wenn an der Kirmse die Freude des
Bauern darin besteht, viel Knchengäste bei sich zu haben; wenn in jedem
Hause der zur Tischzeit eintretende Fremde mit dem freundlichen "Zugelangt"
empfangen und im Wirthshause jedem eintretenden Bekannten "zugetrunken",
d. h. ihm der Bierkrug von allen Anwesenden dargereicht und von diesem nach
gethanen Trunke und mit warmfestem Händedruck zurückgegeben wird: so sind
dies nur einzelne, aber redende Züge von dem Sinn des Waldes. Und so
wird auch, wo man sich begegnet, im Haus und auf der Straße, herztraulich
gegrüßt und die eine Hand von der andern kräftig gedrückt. Die Grüße rich-
ten sich übrigens nicht blos nach der Tageszeit, sondern vielfach nach der
augenblicklichen Beschäftigung oder Ruhe. Ömgescnn, ruht sichs schön, geden¬
gelt, getts fleißig! solche Grußformeln kehren oft wieder und verrathen, daß
die Bewohner eines Dorfs sich als Glieder einer einzigen großen Familie an¬
sehen. Ebendaher entspringt die Sitte, daß die Bauernbursche in ihr Dorf
keinen fremden Dörfler hereinheirathcn lassen, vielmehr jedes derartige Bestre¬
ben mit Prügeln und Wasserläufen zu verhindern suche"; auch das Geben
von Spitznamen. Auf dem Wald wie an dessen Fußstrichen bezeichnet man
sich im täglichen Verkehr nicht nach den Zunamen, sondern nach Benennungen,
die Humor und scharfe Beobachtungsgabe erfinden. Man kann lange in einem
Dorfe des Waldes leben, ohne den rechten Namen des Dörflers zu keimen,
weil sein Spitzname allein gebraucht wird. Als im vorigen Jahrhundert der
Schultheiß eines Walddorfs seinem gestrengen Amtmann das Verzeichnis) der
Ortsnachbarn mit Gratsch, Matzen, bon jour, Weißkopf, Pickels, Knabens,
Nöther, Metzner, Rasens, Schöps, Langer, Ochsner, Kröckels und Schwarzer
ausgefüllt übergab, merkte der Vorgesetzte in seiner höhern Weisheit allmälig
die Sachlage und ließ sich die Spitznamen in die Zunamen übersetzen und
erhielt folgendes Verzeichnis;: Rensch, Müller, Pctschold, Gläser, Petschold,
Müller, Müller, Müller, Bauer, Müller, Lipfert, Petschold, Lipfert, Büchner,
Meimold. Der Herr Amtmann lernte nun, was die Bauern schon lange
wußten, daß die Unart der Spitznamen neben dem Spiel des Witzes und
Reckens auch ihre nützliche Einfachheit hat. So wars damit von jeher auf
dem Wald und wird so ferner bleiben. Nicht minder praktisch ist der allübliche
Gebrauch, daß man nicht einfach die einzelnen Dörfler bezeichnet, sondern ge¬
wöhnlich mit ihrem Vornamen die Namen des Vaters, Großvaters und selbst
des Urgroßvaters verbindet, wodurch die Genealogien der Bauernfamilien durch
mehre Generationen stets flüssig erhalten werden. So ist in "Matzens Gobes
Danels sei Jörg" die Reihenfolge vom Urgroßvater, Großvater und Vater
bis zum Sohn enthalten.


„Eisbü", d. i. bei der Abendmahlzeit des Schlachtfestes, an der die'Freunde
des Hausherrn theilnehmen, verzehrt, theils an die „Freundschaft und Ar-
muthei" im Dorfe ausgegeben wird; wenn an der Kirmse die Freude des
Bauern darin besteht, viel Knchengäste bei sich zu haben; wenn in jedem
Hause der zur Tischzeit eintretende Fremde mit dem freundlichen „Zugelangt"
empfangen und im Wirthshause jedem eintretenden Bekannten „zugetrunken",
d. h. ihm der Bierkrug von allen Anwesenden dargereicht und von diesem nach
gethanen Trunke und mit warmfestem Händedruck zurückgegeben wird: so sind
dies nur einzelne, aber redende Züge von dem Sinn des Waldes. Und so
wird auch, wo man sich begegnet, im Haus und auf der Straße, herztraulich
gegrüßt und die eine Hand von der andern kräftig gedrückt. Die Grüße rich-
ten sich übrigens nicht blos nach der Tageszeit, sondern vielfach nach der
augenblicklichen Beschäftigung oder Ruhe. Ömgescnn, ruht sichs schön, geden¬
gelt, getts fleißig! solche Grußformeln kehren oft wieder und verrathen, daß
die Bewohner eines Dorfs sich als Glieder einer einzigen großen Familie an¬
sehen. Ebendaher entspringt die Sitte, daß die Bauernbursche in ihr Dorf
keinen fremden Dörfler hereinheirathcn lassen, vielmehr jedes derartige Bestre¬
ben mit Prügeln und Wasserläufen zu verhindern suche»; auch das Geben
von Spitznamen. Auf dem Wald wie an dessen Fußstrichen bezeichnet man
sich im täglichen Verkehr nicht nach den Zunamen, sondern nach Benennungen,
die Humor und scharfe Beobachtungsgabe erfinden. Man kann lange in einem
Dorfe des Waldes leben, ohne den rechten Namen des Dörflers zu keimen,
weil sein Spitzname allein gebraucht wird. Als im vorigen Jahrhundert der
Schultheiß eines Walddorfs seinem gestrengen Amtmann das Verzeichnis) der
Ortsnachbarn mit Gratsch, Matzen, bon jour, Weißkopf, Pickels, Knabens,
Nöther, Metzner, Rasens, Schöps, Langer, Ochsner, Kröckels und Schwarzer
ausgefüllt übergab, merkte der Vorgesetzte in seiner höhern Weisheit allmälig
die Sachlage und ließ sich die Spitznamen in die Zunamen übersetzen und
erhielt folgendes Verzeichnis;: Rensch, Müller, Pctschold, Gläser, Petschold,
Müller, Müller, Müller, Bauer, Müller, Lipfert, Petschold, Lipfert, Büchner,
Meimold. Der Herr Amtmann lernte nun, was die Bauern schon lange
wußten, daß die Unart der Spitznamen neben dem Spiel des Witzes und
Reckens auch ihre nützliche Einfachheit hat. So wars damit von jeher auf
dem Wald und wird so ferner bleiben. Nicht minder praktisch ist der allübliche
Gebrauch, daß man nicht einfach die einzelnen Dörfler bezeichnet, sondern ge¬
wöhnlich mit ihrem Vornamen die Namen des Vaters, Großvaters und selbst
des Urgroßvaters verbindet, wodurch die Genealogien der Bauernfamilien durch
mehre Generationen stets flüssig erhalten werden. So ist in „Matzens Gobes
Danels sei Jörg" die Reihenfolge vom Urgroßvater, Großvater und Vater
bis zum Sohn enthalten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/222>, abgerufen am 02.09.2024.