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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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eigenthümlichen Zauber ans. Gesungen wird bei Spiel und Arbeit, von der
Wiege an bis ans Grab, ebenso heiter als schwermüthig, in tausendfacher Weise.
Es ist ein schöner Naturdrang, die Mühen des Lebens mit Gesang zu versüßen,
aber auch in geselligen Vereinen Scherz und Freude in Liedern aufzuathmen.
Aus gleichem Drange liebt und pflegt man Musik, weshalb die meisten Wald-
dörfer ihre eignen Musikchöre haben, deren Glieder im musikalischen Eifer gleich,
in dem Aeußern oft wunderbare Formen sind, nach denen die Sonneberger
Modelleure ihre berühmten Musikchöre plastisch bilden. Der Hauptplatz ihrer
Thaten ist natürlich der Dorftanzboden, aber auch für größere musikalische
Compositionen besitzen sie die ausführende Geschicklichkeit, wie denn mancher
Waldort im Winter seine Concerte hat, bei denen man zuweilen bewundern
muß, daß Arbeiter, deren Hände täglich in schwerer Arbeit gehärtet werden,
solche künstlerische Fertigkeit erreichen können.

Nicht minder allgemein als diese Züge sind einige andre, die gleichfalls
den Waldbewohner rühmlich auszeichnen. Man durchschreite den ganzen süd¬
östlichen Wald und sehe, ob lästige Wegbettler, ob zudringliche Wegführer und
Gepäckschlepper, ob unheimlich auflauernde Gestalten, ob grobe, rohe Gesellen
Reisebegegnisse sind. Von dieser Belästigung, welche an den Eisenbahnrouten
und Wasserstraßen Deutschlands wie ein Schlinggewächs wuchernd zunimmt,
ist dies Berggebiet bis jetzt verschont geblieben. Diese Bergbewohner schämen sich zu
betteln und den Fremden durch Zudringlichkeit oder Unredlichkeit zur Last zu fallen.
"Lieber gebrannten Hunger leiden, als betteln," ist in den. Familien des Wal¬
des ein festliegendes goldnes Erziehungsmittel. Aus demselben Quell der Arbeit¬
samkeit fließt auch der redliche Sinn des thüringer Grauwackenbewvhners. Man
kann bei Tag und Nacht die Waldwege des ausgedehnten Distrikts durchwan¬
dern, es zeigt sich kein menschliches Raubthier, weil der Wald im Sinne der
Wäldner harmlosen Sängern und nicht der bösen That gehört. Gleich treu
und "richtig" d. h. rechtlich bewährt sich der Bewohner im Handel und Wandel
und wenn er gegen das Holz, das Gott um ihn her wachsen läßt, ein leichtes
Gewissen hat, so leitet er die Freiheit, das Holz in "holf" zu verwandeln, aus
demselben Naturrecht ab, das den Vögeln unter dem Himmel und den Fischen
im Wasser zusteht. In allem Uebrigen scheidet er scharf zwischen Recht und
Unrecht, empört sich deshalb gegen jeden Uebergriff, übt, wo er einen solchen
trifft, sofort das Faustrecht einzeln gegen den Einzelnen, oft in Massen gegen
Massen oder er spart, der Macht augenblicklich weichend, den Groll auf gelegne
Zeiten auf, wo sich dieser sturmweise auötvbt. Aus dem letztern Grund lassen
sich manche, im I. 1"i8 hier zu Tag getretene Erscheinungen erklären.

Zu der Redlichkeit des Wäldners kommt seine Gastfreundlichkeit und Höf¬
lichkeit, die er gegen Heimische und Fremde in gleicher Weise äußert. Wenn
am sogenannten Schlachttag ein großer Theil des geschlachteten Schweins beim


eigenthümlichen Zauber ans. Gesungen wird bei Spiel und Arbeit, von der
Wiege an bis ans Grab, ebenso heiter als schwermüthig, in tausendfacher Weise.
Es ist ein schöner Naturdrang, die Mühen des Lebens mit Gesang zu versüßen,
aber auch in geselligen Vereinen Scherz und Freude in Liedern aufzuathmen.
Aus gleichem Drange liebt und pflegt man Musik, weshalb die meisten Wald-
dörfer ihre eignen Musikchöre haben, deren Glieder im musikalischen Eifer gleich,
in dem Aeußern oft wunderbare Formen sind, nach denen die Sonneberger
Modelleure ihre berühmten Musikchöre plastisch bilden. Der Hauptplatz ihrer
Thaten ist natürlich der Dorftanzboden, aber auch für größere musikalische
Compositionen besitzen sie die ausführende Geschicklichkeit, wie denn mancher
Waldort im Winter seine Concerte hat, bei denen man zuweilen bewundern
muß, daß Arbeiter, deren Hände täglich in schwerer Arbeit gehärtet werden,
solche künstlerische Fertigkeit erreichen können.

Nicht minder allgemein als diese Züge sind einige andre, die gleichfalls
den Waldbewohner rühmlich auszeichnen. Man durchschreite den ganzen süd¬
östlichen Wald und sehe, ob lästige Wegbettler, ob zudringliche Wegführer und
Gepäckschlepper, ob unheimlich auflauernde Gestalten, ob grobe, rohe Gesellen
Reisebegegnisse sind. Von dieser Belästigung, welche an den Eisenbahnrouten
und Wasserstraßen Deutschlands wie ein Schlinggewächs wuchernd zunimmt,
ist dies Berggebiet bis jetzt verschont geblieben. Diese Bergbewohner schämen sich zu
betteln und den Fremden durch Zudringlichkeit oder Unredlichkeit zur Last zu fallen.
„Lieber gebrannten Hunger leiden, als betteln," ist in den. Familien des Wal¬
des ein festliegendes goldnes Erziehungsmittel. Aus demselben Quell der Arbeit¬
samkeit fließt auch der redliche Sinn des thüringer Grauwackenbewvhners. Man
kann bei Tag und Nacht die Waldwege des ausgedehnten Distrikts durchwan¬
dern, es zeigt sich kein menschliches Raubthier, weil der Wald im Sinne der
Wäldner harmlosen Sängern und nicht der bösen That gehört. Gleich treu
und „richtig" d. h. rechtlich bewährt sich der Bewohner im Handel und Wandel
und wenn er gegen das Holz, das Gott um ihn her wachsen läßt, ein leichtes
Gewissen hat, so leitet er die Freiheit, das Holz in „holf" zu verwandeln, aus
demselben Naturrecht ab, das den Vögeln unter dem Himmel und den Fischen
im Wasser zusteht. In allem Uebrigen scheidet er scharf zwischen Recht und
Unrecht, empört sich deshalb gegen jeden Uebergriff, übt, wo er einen solchen
trifft, sofort das Faustrecht einzeln gegen den Einzelnen, oft in Massen gegen
Massen oder er spart, der Macht augenblicklich weichend, den Groll auf gelegne
Zeiten auf, wo sich dieser sturmweise auötvbt. Aus dem letztern Grund lassen
sich manche, im I. 1«i8 hier zu Tag getretene Erscheinungen erklären.

Zu der Redlichkeit des Wäldners kommt seine Gastfreundlichkeit und Höf¬
lichkeit, die er gegen Heimische und Fremde in gleicher Weise äußert. Wenn
am sogenannten Schlachttag ein großer Theil des geschlachteten Schweins beim


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/221>, abgerufen am 01.09.2024.