Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Plateau hat zufolge seiner hohen Seelage, seiner Neigung nach NO.
und seiner starken Waldungen eine bedeutend kühle Temperatur, im Jahres¬
mittel nur 3" N., dabei, wenngleich im Jahre alle 32 Winde der Seerose
ihren Durchzug halten, doch im ganzen eine große Gleichheit und Ruhe im
Wetter, weil nur einige Windströmungen lang, die übrigen kurz dauern; in den
engen Thalspalten dagegen gibt es nur zwei Windströmungen, und desungeachtet
große und rasche Sprünge der Temperatur. Haben die breiten Bergrücken,
auf denen nur zwei Jahreszeiten, ein langer weißer und ein kurzer grüner
Winter herrschen und wo kein einziger Monat vor Frost gesichert ist, einmal
ihren Schnee, so bleibt derselbe in der Regel bis in das späte Frühjahr fest
liegen, während in den Thälern und Schründen häusiger Wechsel zwischen
Thauen und Gefrieren stattfindet. Ist überhaupt reicher Schnee eine Wohl¬
that, ja Brot für den Wald, indem auf ihm eine Reihe schwerer, aber auch
einträglicher Arbeiten bewältigt werden, welche die Sommerzeit nicht ohne ver¬
mehrte Anstrengung und Unkosten geschehen läßt, so gewährt eben jene Stetigkeit
des Schneelagers, wie man erst jüngst erkannt hat, für den Winterfruchtbau
größere Gunst als für den Sommerbau, indem dieser zu spät und in noch zu
unsicherem Wetter zur Erde kommen kann, jener hingegen stark gewurzelt und
wetterfest hervorgeht, wenn die wilden Frühlingsstürme vorüber sind. Ebenso
liegt in'der größeren Gleichheit der Plateauwitterung ein gesünderes Behagen
als in den Temperaturschwankungen der Thäler. Die Lust hat auf den hohen
Bergtafeln ein ungemein frisches, belebendes Element, besonders die Ostwinde,
welche im Sommer und Herbst und im Spätwinter oft Monate lang wehen.
Ueberdies machen die Ausdünstungen der zahlreichen Harzwaldungen den ge-
sammten Strich zu einem großen, natürlichen Fichtennadelbad, wo krystallklare
Wasser, würzige Kräuter und Waldbeeren, Gelegenheit zu Ausflügen nach allen
Entfernungen, einfache Kost, vor allem gute Milch, als keine geringen Be¬
dingungen einer heilsamen Cur schwächlicher Thalbewohner gelten müssen. In
dem Bewohner selbst zeigt sich am anschaulichsten die Wirksamkeit des hohen
Lebens. Flachsköpsige Kinder springen barbes (barfuß) und als Hemdleuter
um Hemd) im Winter und im Sommer durch Schnee und Regen, über Eis
und Grün und wieder aus der Luft in die glutheiße Stube zurück, ohne Arzt
und Apotheke zu gebrauchen. Dieselbe wetterfeste Hautspannung, die mit den
extremsten Temperaturen fertig wird, bleibt, wenn nicht gesundheitwidrige Ar¬
beiten und Lebensweisen auf sie einwirken, dem Bewohner bis ins höchste Alter.
Er erträgt die "klimmer eiskalte Luft, die einen durch und durchschüttelt," weiß
sich im haushohen Schnee zurechtzuarbeiten und achtet des Regens nicht, der
auf dem Wald wie "aus Giebeln gegossen" auftritt; aber ebenso gern hockt er
wieder in seiner Glutstube, die im Januar und Juli fast gleich stark geheizt wird.
Große, "höllische" Oefen, kleine, aber windfeste Häuser -- dies alte, von der


Das Plateau hat zufolge seiner hohen Seelage, seiner Neigung nach NO.
und seiner starken Waldungen eine bedeutend kühle Temperatur, im Jahres¬
mittel nur 3" N., dabei, wenngleich im Jahre alle 32 Winde der Seerose
ihren Durchzug halten, doch im ganzen eine große Gleichheit und Ruhe im
Wetter, weil nur einige Windströmungen lang, die übrigen kurz dauern; in den
engen Thalspalten dagegen gibt es nur zwei Windströmungen, und desungeachtet
große und rasche Sprünge der Temperatur. Haben die breiten Bergrücken,
auf denen nur zwei Jahreszeiten, ein langer weißer und ein kurzer grüner
Winter herrschen und wo kein einziger Monat vor Frost gesichert ist, einmal
ihren Schnee, so bleibt derselbe in der Regel bis in das späte Frühjahr fest
liegen, während in den Thälern und Schründen häusiger Wechsel zwischen
Thauen und Gefrieren stattfindet. Ist überhaupt reicher Schnee eine Wohl¬
that, ja Brot für den Wald, indem auf ihm eine Reihe schwerer, aber auch
einträglicher Arbeiten bewältigt werden, welche die Sommerzeit nicht ohne ver¬
mehrte Anstrengung und Unkosten geschehen läßt, so gewährt eben jene Stetigkeit
des Schneelagers, wie man erst jüngst erkannt hat, für den Winterfruchtbau
größere Gunst als für den Sommerbau, indem dieser zu spät und in noch zu
unsicherem Wetter zur Erde kommen kann, jener hingegen stark gewurzelt und
wetterfest hervorgeht, wenn die wilden Frühlingsstürme vorüber sind. Ebenso
liegt in'der größeren Gleichheit der Plateauwitterung ein gesünderes Behagen
als in den Temperaturschwankungen der Thäler. Die Lust hat auf den hohen
Bergtafeln ein ungemein frisches, belebendes Element, besonders die Ostwinde,
welche im Sommer und Herbst und im Spätwinter oft Monate lang wehen.
Ueberdies machen die Ausdünstungen der zahlreichen Harzwaldungen den ge-
sammten Strich zu einem großen, natürlichen Fichtennadelbad, wo krystallklare
Wasser, würzige Kräuter und Waldbeeren, Gelegenheit zu Ausflügen nach allen
Entfernungen, einfache Kost, vor allem gute Milch, als keine geringen Be¬
dingungen einer heilsamen Cur schwächlicher Thalbewohner gelten müssen. In
dem Bewohner selbst zeigt sich am anschaulichsten die Wirksamkeit des hohen
Lebens. Flachsköpsige Kinder springen barbes (barfuß) und als Hemdleuter
um Hemd) im Winter und im Sommer durch Schnee und Regen, über Eis
und Grün und wieder aus der Luft in die glutheiße Stube zurück, ohne Arzt
und Apotheke zu gebrauchen. Dieselbe wetterfeste Hautspannung, die mit den
extremsten Temperaturen fertig wird, bleibt, wenn nicht gesundheitwidrige Ar¬
beiten und Lebensweisen auf sie einwirken, dem Bewohner bis ins höchste Alter.
Er erträgt die „klimmer eiskalte Luft, die einen durch und durchschüttelt," weiß
sich im haushohen Schnee zurechtzuarbeiten und achtet des Regens nicht, der
auf dem Wald wie „aus Giebeln gegossen" auftritt; aber ebenso gern hockt er
wieder in seiner Glutstube, die im Januar und Juli fast gleich stark geheizt wird.
Große, „höllische" Oefen, kleine, aber windfeste Häuser — dies alte, von der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281369"/>
            <p xml:id="ID_695" next="#ID_696"> Das Plateau hat zufolge seiner hohen Seelage, seiner Neigung nach NO.<lb/>
und seiner starken Waldungen eine bedeutend kühle Temperatur, im Jahres¬<lb/>
mittel nur 3" N., dabei, wenngleich im Jahre alle 32 Winde der Seerose<lb/>
ihren Durchzug halten, doch im ganzen eine große Gleichheit und Ruhe im<lb/>
Wetter, weil nur einige Windströmungen lang, die übrigen kurz dauern; in den<lb/>
engen Thalspalten dagegen gibt es nur zwei Windströmungen, und desungeachtet<lb/>
große und rasche Sprünge der Temperatur. Haben die breiten Bergrücken,<lb/>
auf denen nur zwei Jahreszeiten, ein langer weißer und ein kurzer grüner<lb/>
Winter herrschen und wo kein einziger Monat vor Frost gesichert ist, einmal<lb/>
ihren Schnee, so bleibt derselbe in der Regel bis in das späte Frühjahr fest<lb/>
liegen, während in den Thälern und Schründen häusiger Wechsel zwischen<lb/>
Thauen und Gefrieren stattfindet. Ist überhaupt reicher Schnee eine Wohl¬<lb/>
that, ja Brot für den Wald, indem auf ihm eine Reihe schwerer, aber auch<lb/>
einträglicher Arbeiten bewältigt werden, welche die Sommerzeit nicht ohne ver¬<lb/>
mehrte Anstrengung und Unkosten geschehen läßt, so gewährt eben jene Stetigkeit<lb/>
des Schneelagers, wie man erst jüngst erkannt hat, für den Winterfruchtbau<lb/>
größere Gunst als für den Sommerbau, indem dieser zu spät und in noch zu<lb/>
unsicherem Wetter zur Erde kommen kann, jener hingegen stark gewurzelt und<lb/>
wetterfest hervorgeht, wenn die wilden Frühlingsstürme vorüber sind. Ebenso<lb/>
liegt in'der größeren Gleichheit der Plateauwitterung ein gesünderes Behagen<lb/>
als in den Temperaturschwankungen der Thäler. Die Lust hat auf den hohen<lb/>
Bergtafeln ein ungemein frisches, belebendes Element, besonders die Ostwinde,<lb/>
welche im Sommer und Herbst und im Spätwinter oft Monate lang wehen.<lb/>
Ueberdies machen die Ausdünstungen der zahlreichen Harzwaldungen den ge-<lb/>
sammten Strich zu einem großen, natürlichen Fichtennadelbad, wo krystallklare<lb/>
Wasser, würzige Kräuter und Waldbeeren, Gelegenheit zu Ausflügen nach allen<lb/>
Entfernungen, einfache Kost, vor allem gute Milch, als keine geringen Be¬<lb/>
dingungen einer heilsamen Cur schwächlicher Thalbewohner gelten müssen. In<lb/>
dem Bewohner selbst zeigt sich am anschaulichsten die Wirksamkeit des hohen<lb/>
Lebens. Flachsköpsige Kinder springen barbes (barfuß) und als Hemdleuter<lb/>
um Hemd) im Winter und im Sommer durch Schnee und Regen, über Eis<lb/>
und Grün und wieder aus der Luft in die glutheiße Stube zurück, ohne Arzt<lb/>
und Apotheke zu gebrauchen. Dieselbe wetterfeste Hautspannung, die mit den<lb/>
extremsten Temperaturen fertig wird, bleibt, wenn nicht gesundheitwidrige Ar¬<lb/>
beiten und Lebensweisen auf sie einwirken, dem Bewohner bis ins höchste Alter.<lb/>
Er erträgt die &#x201E;klimmer eiskalte Luft, die einen durch und durchschüttelt," weiß<lb/>
sich im haushohen Schnee zurechtzuarbeiten und achtet des Regens nicht, der<lb/>
auf dem Wald wie &#x201E;aus Giebeln gegossen" auftritt; aber ebenso gern hockt er<lb/>
wieder in seiner Glutstube, die im Januar und Juli fast gleich stark geheizt wird.<lb/>
Große, &#x201E;höllische" Oefen, kleine, aber windfeste Häuser &#x2014; dies alte, von der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] Das Plateau hat zufolge seiner hohen Seelage, seiner Neigung nach NO. und seiner starken Waldungen eine bedeutend kühle Temperatur, im Jahres¬ mittel nur 3" N., dabei, wenngleich im Jahre alle 32 Winde der Seerose ihren Durchzug halten, doch im ganzen eine große Gleichheit und Ruhe im Wetter, weil nur einige Windströmungen lang, die übrigen kurz dauern; in den engen Thalspalten dagegen gibt es nur zwei Windströmungen, und desungeachtet große und rasche Sprünge der Temperatur. Haben die breiten Bergrücken, auf denen nur zwei Jahreszeiten, ein langer weißer und ein kurzer grüner Winter herrschen und wo kein einziger Monat vor Frost gesichert ist, einmal ihren Schnee, so bleibt derselbe in der Regel bis in das späte Frühjahr fest liegen, während in den Thälern und Schründen häusiger Wechsel zwischen Thauen und Gefrieren stattfindet. Ist überhaupt reicher Schnee eine Wohl¬ that, ja Brot für den Wald, indem auf ihm eine Reihe schwerer, aber auch einträglicher Arbeiten bewältigt werden, welche die Sommerzeit nicht ohne ver¬ mehrte Anstrengung und Unkosten geschehen läßt, so gewährt eben jene Stetigkeit des Schneelagers, wie man erst jüngst erkannt hat, für den Winterfruchtbau größere Gunst als für den Sommerbau, indem dieser zu spät und in noch zu unsicherem Wetter zur Erde kommen kann, jener hingegen stark gewurzelt und wetterfest hervorgeht, wenn die wilden Frühlingsstürme vorüber sind. Ebenso liegt in'der größeren Gleichheit der Plateauwitterung ein gesünderes Behagen als in den Temperaturschwankungen der Thäler. Die Lust hat auf den hohen Bergtafeln ein ungemein frisches, belebendes Element, besonders die Ostwinde, welche im Sommer und Herbst und im Spätwinter oft Monate lang wehen. Ueberdies machen die Ausdünstungen der zahlreichen Harzwaldungen den ge- sammten Strich zu einem großen, natürlichen Fichtennadelbad, wo krystallklare Wasser, würzige Kräuter und Waldbeeren, Gelegenheit zu Ausflügen nach allen Entfernungen, einfache Kost, vor allem gute Milch, als keine geringen Be¬ dingungen einer heilsamen Cur schwächlicher Thalbewohner gelten müssen. In dem Bewohner selbst zeigt sich am anschaulichsten die Wirksamkeit des hohen Lebens. Flachsköpsige Kinder springen barbes (barfuß) und als Hemdleuter um Hemd) im Winter und im Sommer durch Schnee und Regen, über Eis und Grün und wieder aus der Luft in die glutheiße Stube zurück, ohne Arzt und Apotheke zu gebrauchen. Dieselbe wetterfeste Hautspannung, die mit den extremsten Temperaturen fertig wird, bleibt, wenn nicht gesundheitwidrige Ar¬ beiten und Lebensweisen auf sie einwirken, dem Bewohner bis ins höchste Alter. Er erträgt die „klimmer eiskalte Luft, die einen durch und durchschüttelt," weiß sich im haushohen Schnee zurechtzuarbeiten und achtet des Regens nicht, der auf dem Wald wie „aus Giebeln gegossen" auftritt; aber ebenso gern hockt er wieder in seiner Glutstube, die im Januar und Juli fast gleich stark geheizt wird. Große, „höllische" Oefen, kleine, aber windfeste Häuser — dies alte, von der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/218>, abgerufen am 01.09.2024.